"Autobiographisches Schreiben hat mich nie interessiert. Ich hatte kein besonders starkes Gefühl für mich als Person und es hat mich auch nie wirklich interessiert, mich selbst zu analysieren, über mich nachzudenken. Der Rest der Welt, die anderen Menschen interessieren mich viel mehr", betont Peter Stamm.
1. Ihr neuester Roman ”Ungefähre Landschaft” spielt u.a. nördlich des Polarkreises. Haben Sie ein spezielles Verhältnis zu dieser Region?
Ich war drei oder vier Mal über dem Polarkreis und habe sehr schöne Erlebnisse gehabt, insbesondere das Polarlicht war etwas vom Schönsten, was ich in meinem Leben gesehen habe. Und ich habe die Menschen im Norden als sehr offen und freundlich erlebt, auch als ich als Journalist dort unterwegs war. Aber ich mag auch den Osten, den Süden und den Westen. Ich reise einfach gern und besonders gern an Orte, wo nicht so viele Touristen sind.
2. Wirklichkeitsliteratur á la Karl Ove Knausgård ist ein wesentlicher Trend in der aktuellen Literaturszene. Wie ist die Mischung zwischen Fiktion und Fakten bei Ihrem Schreiben?
Autobiographisches Schreiben hat mich nie interessiert. Ich hatte kein besonders starkes Gefühl für mich als Person und es hat mich auch nie wirklich interessiert, mich selbst zu analysieren, über mich nachzudenken. Der Rest der Welt, die anderen Menschen interessieren mich viel mehr. Ich bin immer etwas erstaunt, wenn Leute mir erzählen, wie sie mich wahrnehmen, vielleicht, weil ich mich selbst nicht wirklich wahrnehme. Aber natürlich kommt alles in meinen Erzählungen in irgendeiner Weise aus meinem Leben und aus meinen Erfahrungen, nur eben nicht inhaltlich, eher, was die Themen angeht. Oft merke ich erst Jahre, nachdem ich einen Text geschrieben habe, was er mit mir zu tun hat. Ich sage immer, meine Literatur ist nicht autobiographisch, aber sehr persönlich.
3. Im Osloer Litteraturhuset unterhalten Sie sich mit der norwegischen Autorin Linn Ullmann. Wann und wie haben Sie sich kennengelernt?
Wir haben uns über unsere gemeinsame amerikanische Verlegerin kennengelernt, die mir ein Buch von Linn schickte, das mir sehr gefallen hat. Und dann haben wir erst gemailt und uns dann in Oslo getroffen. Linn und Niels Fredrik, ihr Mann, haben mich zu sich nach Hause eingeladen und wir haben zusammen mit einigen ihrer Freunde einen sehr schönen Abend verbracht. Wir haben nicht viel Kontakt, aber der gegenseitige Respekt vor der Arbeit des anderen verbindet.
4. Auch Ihre Protagonistin in ”Ungfähre Landschaft” Kathrine bricht aus vertrauter Umgebung aus. Thomas in ”Weit über das Land” verlässt ebenfalls sein gewohntes Leben. Gibt es ein gemeinsames Unbehagen bei ihren Romanfiguren?
Ich bringe meine Figuren gerne in Situationen, die sie aus ihrem Alltag herausreißen. Die Gründe, weshalb sie aufbrechen, sind allerdings in jedem Buch ganz andere. In «Ungefähre Landschaft» ist es eine missglückte Beziehung, in «An einem Tag wie diesem» die Angst vor einer Krankheit, nur in «Weit über das Land» wissen wir nicht wirklich, weshalb Thomas geht. Da könnte man am ehesten von einem Unbehagen sprechen. Aber noch lieber wäre mir, man würde Thomas Aufbruch nicht als eine Flucht vor etwas sehen sondern als ein «Auf-etwas-zu».
©Claudia Below
5. Die einen rühmen die Schlichtheit ihrer Romane, die anderen sehen gerade dieses Einfache als literarisch problematisch. Was antworten Sie Letzteren?
Ich habe nie versucht, Menschen von meiner Literatur zu überzeugen. Das wäre genauso sinnlos, wie jemanden, der nicht gern Rosenkohl hat, davon überzeugen zu wollen, dass er das beste Gemüse ist. Was mir aber manchmal auffällt: es gibt bei Literaturwissenschaftler und Kritikern einen seltsamen Konservativismus, der nur eine Sprache gelten lässt, die möglichst komplex und elaboriert ist. Oder böse gesagt kunsthandwerklich. Das ist eine Position, die in der bildenden Kunst spätestens seit dem Aufkommen der Impressionisten überwunden ist. Damals hiess es noch, die können ja gar nicht malen. Und dann hat man begriffen, dass es in der bildenden Kunst nicht nur darauf ankommt, wie gut jemand das Handwerk beherrscht. In der Literatur haben viele diesen Schritt noch nicht gemacht. Da wird immer nur von der Sprache gesprochen, aber das Verständnis für künstlerische Prozesse und Positionen fehlt fast völlig.
Plus
1: Welchen anderen Beruf hätten Sie gerne gewählt, wenn Sie nicht Autor geworden wären?
Ich habe ja eine Ausbildung zum Buchhalter gemacht und fand das keinen schlechten Beruf. Auch die Jahre, in denen ich am Flughafen Flugzeuge be- und entladen habe, haben mir sehr gefallen. Aber das würde meine Rücken heute wohl nicht mehr aushalten. Ich habe in den letzten Jahren oft in Schulen gelesen und habe mir ein paar Mal gedacht, dass Lehrer eigentlich ein sehr schöner Beruf sein könnte. Und auch ein sehr wichtiger.