Nachhaltige Gemeinschaften
Hofgemeinschaft Stedorf: modernes, nachhaltiges Landleben
Von Marina Bierbrauer
Die Hofgemeinschaft Stedorf liegt in Dörverden (Niedersachsen), gut 50 km südöstlich von Bremen. Auf dem historischen Hof mit mehreren Gebäuden auf einem riesigen Grundstück befinden sich acht Wohneinheiten mit 638 m² Wohnfläche. In kleinen Appartements, Familienwohnungen und WGs leben rund 25 Menschen von klein bis groß zusammen. Das Projekt besteht bereits seit 1997 und wird von der AllerWohnen e.G. genossenschaftlich selbstverwaltet. Jutta – langjährige Bewohnerin – hat sich einen Nachmittag lang für mich Zeit genommen, mir das Projekt gezeigt und bei leckerem Apfelsaft aus Äpfeln aus dem eigenen Garten meine Fragen beantwortet.
Nachhaltige Lebensweise in verschiedensten Bereichen
Die Hofgemeinschaft Stedorf legt einen großen Wert auf eine nachhaltige und ökologische Lebensweise und setzt diese in diversen Bereichen des alltäglichen Lebens um. Schon bei der Restaurierung und Renovierung der historischen Gebäude wurde auf umweltschonende Materialien – u. a. beim Dämmmaterial und den Inhaltsstoffen von Farben – geachtet sowie diese – z. B. benötigtes Bau- und Brennholz – soweit möglich regional bezogen. Eine Solaranlage betreibt die Heizung und sorgt für warmes Wasser. Für die seit Kurzem defekte Photovoltaikanlage für die Stromversorgung ist gerade eine neue Lösung in Planung. Das 10.000 m² große Grundstück bietet nicht nur viel Platz zum Entspannen, Spielen oder Grillen, sondern auch naturbelassenen Lebensraum für viele Tiere von Vögeln über Insekten bis zu Wasserbewohnern im extra angelegten Teich.Mehrere Ansätze einer nachhaltigen Ernährung
Beim Thema Ernährung liegt der Fokus auf Bio-Qualität, Regionalität und Saisonalität. Mit über 50 Obstbäumen, Beerensträuchern, einem großen, bunten Gemüse- und Kräuterbeet, einer kleinen Hühnerfamilie und dem Bienenkollektiv kommt ein Teil der Lebensmittel direkt aus dem Garten. Weitere frische Lebensmittel kommen über eine Gemüseabokiste. Fast alles, was sonst noch gebraucht wird, findet sich in der Foodcoop: Die Bewohner*innen beziehen Lebensmittel in größeren Mengen vom Biogroßhandel – das hat zwei große Vorteile: ein günstigerer Preis und viele Produkte können unverpackt geliefert werden. In der Foodcoop kann sich jede*r nach Bedarf bedienen, bezahlt wird monatlich. Jutta erzählt mir, dass sie fast nur noch Toilettenpapier auf „normale“ Art und Weise einkaufen muss.Nachhaltige Mobilität und Sharing Economy
Im gemeinsamen Besitz ist ein Elektroauto, das aber gar nicht so oft benötigt wird. Wann immer möglich wird das Fahrrad genutzt und durch den nahe gelegenen Bahnhof sind trotz der ländlichen Lage die nächsten größeren Städte – Bremen und Verden – schnell erreicht. Auch sonst setzt die Gemeinschaft auf Sharing Economy: Bücher, Werkzeuge, Kleidung, Zelte uvm. werden geteilt, sodass nicht jede*r alles für sich anschaffen muss. Insbesondere bei nicht täglich benötigten Gegenständen spart das Ressourcen.Und noch etwas sehr Wichtiges wird geteilt: Fähigkeiten. In der Gemeinschaft kann jede*r das individuelle Talent einbringen und Aufgaben von Handwerksarbeiten über Gartenpflege bis zur Imkerei werden je nach persönlicher Vorliebe aufgeteilt. Auch tritt die Gemeinschaft durch politisches Engagement in Erscheinung, um umweltpolitische Themen zu vertreten und mehr Bewusstsein dafür zu schaffen.
Zusammenleben und Konfliktmanagement
Wie funktioniert das Zusammenleben in einer so großen Gruppe? Als Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Miteinander nennt Jutta die Bereitschaft zur Selbstregulation und zur gemeinsamen Entscheidungsfindung nach Konsensprinzip statt Mehrheitsentscheidung. Probleme bei der Mitgliedersuche gibt es nicht – im Gegenteil: Die Nachfrage ist schon lange größer als das Angebot an Wohnraum. Bei der Entscheidung für oder gegen neue Mitbewohner*innen verlässt sich die Gruppe auf ihre Erfahrung, meistens findet ein Probewohnen statt.Natürlich verläuft nicht alles konfliktfrei. Zur Stärkung der Gruppe sowie zur Besprechung und Klärung möglicher Probleme findet daher zweimal pro Monat der Hofrat statt. Außerdem gibt es die Möglichkeit der Mediation durch befreundete Wohnprojekte. Eine neutrale, außenstehende Person übernimmt dann die Moderation. Insgesamt sieht Jutta beim Leben im Wohnprojekt durch Aufgabenteilung weniger alltägliche Verpflichtungen, z. B. im Haushalt, dafür mehr Aufwand für Kommunikation.
Nachhaltige Finanzierung und Perspektive
Das Projekt wird genossenschaftlich durch die AllerWohnen e.G., zu der inzwischen fünf Projekte gehören, selbstverwaltet und finanziert. Jedes Genossenschaftsmitglied zahlt eine Einlage, die nach Kündigung zurückgezahlt wird. Die Hofgemeinschaft Stedorf zahlt zudem eine Gesamtmiete an die Genossenschaft. Diese wird je nach Wohnungs- bzw. Zimmergröße unter den Bewohner*innen aufgeteilt. Dabei wird auch die individuelle, finanzielle Situation berücksichtigt. Die Genossenschaft hat außerdem positive Erfahrungen mit KfW-Förderkrediten zur Realisierung größerer Projekte oder Bauvorhaben gemacht.Die Finanzen der AllerWohnen e.G. sind auf der Website transparent einsehbar.
Neben dem Fortbestand der bereits realisierten, gut laufenden Projekte kommen perspektivisch weitere hinzu. Dabei erwirbt die Genossenschaft jedoch nicht aus Eigeninitiative neue Grundstücke oder Immobilien. Viel mehr kommen Gruppen mit einer konkreten Idee und dem Wunsch einer Aufnahme auf die Genossenschaft zu. Als Genossenschaftsprojekt lässt sich ein neues Wohnprojekt deutlich leichter realisieren und finanzieren als allein neu anzufangen.