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19:30 Uhr

The Wild Blue Yonder - Mittwochskino

Dokumentarfilm, FSK 12 | Regie: Werner Herzog, 2005, Farbe, 81 min

  • Goethe-Institut Peru, Lima 15072

  • Sprache Deutsch mit Spanisch UT
  • Preis Eintritt frei, begrenzte Sitzkapazität

The Wild Blue Yonder ©Werner Herzog Film

The Wild Blue Yonder © Werner Herzog Film

The Wild Blue Yonder, ein Film von Werner Herzog

Ein Außerirdischer berichtet über seine Flucht von einem erkalteten Planeten in einer fernen Galaxie; er erzählt von den Versuchen, sich auf der Erde einzurichten und gibt schließlich sein geheimes, auch bei der CIA erworbenes Wissen über eine Reise in die Gegenrichtung preis. Auf der Suche nach einem neuen Lebensraum reisen fünf Astronauten ins All und erkunden den verlassenen Planeten, die „Wilde Blaue Ferne“. Bei ihrer Rückkehr nach 820 Jahren ist die Erde menschenleer.

Hier der Trailer zum Film!


MEHR ZUM FILM

Eingangs bezeichnet Werner Herzog seinen Film als „Science Fiction Fantasy“. Das Ungewöhnliche daran ist, dass so gut wie nichts inszeniert und fast alles beobachtet, also dokumentarisch ist und die „Fantasy“ erst durch den neuen Kontext entsteht, in den die Dokumente, vor allem Archivmaterial, gebracht werden. Immer wieder überführt Herzog die Realität in die Fiktion, wie zum Beispiel den berühmten „Roswell-Incident“: 1947 hatte der Absturz eines Wetterballons in New Mexiko eine große Ufo-Hysterie ausgelöst. Inszeniert ist einzig der Schauspieler Brad Dourif (ein Star seit EINER FLOG ÜBER DAS KUCKUCKSNEST, 1975) als „Alien“. Er befindet sich in einer Geisterstadt südlich von Los Angeles; Herzog soll die Einstellungen mit den Erzählungen des Außerirdischen an einem einzigen Drehtag realisiert haben. Alles andere besteht aus einer kühnen Kompilation von Bildern, in deren Mittelpunkt Aufnahmen vom Space-Shuttle-Flug „Atlantis“ (Oktober 1989) stehen. Angeblich hat Herzog diese Bilder zufällig in einem alten Lagerhaus in Los Angeles gefunden; im Abspann bedankt sich der Filmemacher unter anderem auch bei der NASA – „für ihren Sinn für Poesie“.

THE WILD BLUE YONDER ist in vielerlei Hinsicht eine Summe der Filme von Werner Herzog. Das beginnt schon mit der zweiten Sequenz, in der die Kamera eine gigantische Windfarm abschwenkt; die Einstellung verweist auf LEBENSZEICHEN, Herzogs ersten Spielfilm. Der Anblick unzähliger Windmühlen mit ihren rotierenden Flügeln gibt dem angeschlagenen Helden Stroszek psychisch den Rest. Darin steckt das Herzog’sche Leitmotiv der Kreisbewegung: für ihn kein Zeichen der Harmonie, sondern der Ausweglosigkeit. Auch in COBRA VERDE taucht das Bild der rotierenden Flügel wieder auf. Brad Dourif als redseliger, enttäuschter und wütender Alien bedeutet die ultimative Inkarnation des Herzog’schen Außenseiters; er hat nicht nur sein Volk verloren und ist der letzte seines „Stammes“ (wie viele andere auch bei Herzog). Der fremde Mann hat offensichtlich auch die Menschheit überdauert, weil er am Ende von der Rückkehr der Astronauten auf eine menschenleere Erde berichten kann. Zugleich steckt darin eine rituelle Dimension, denn der Erzähler muss das Ende seiner Erzählung überleben.

Der Alien sieht einem Menschen täuschend ähnlich. Natürlich meint der Filmemacher mit dem fernen, untergegangenen Planeten auch die Erde, er hat ihre Entwicklung vorweggenommen und evoziert nun das Gefühl endgültiger Vergeblichkeit. Die Versuche einiger Kritiker, THE WILD BLUE YONDER als Warnung vor der Klimaerwärmung zu deuten, bleiben dennoch zu vordergründig. Hier gerät die Menschheit in Not, weil die Experten mit dem gefundenen Raumschiff von „Wild Blue Yonder“ zu achtlos umgegangen sind und „etwas heraussickerte, unsichtbar und potentiell tödlich. Die Wissenschaftler trugen es in die Welt.“ Das ist weit genereller zu verstehen, im Sinn des Mythos der „Büchse der Pandora“, mit deren leichtsinnigen Öffnen alle Plagen über die Erde gekommen sind.

Die Untergangsvision von THE WILD BLUE YONDER knüpft auch an FATA MORGANA an, mit den Bildern vom Schrott und Müll der Menschheit – und mit den „Experten“; damals war es der Waran-Forscher, jetzt sind es die Wissenschaftler, real existierende, berühmte Mathematiker wie der Amerikaner Martin Lo mit seiner Theorie von den Schleichwegen im Universum und dem Spiel mit den Anziehungskräften anderer Himmelskörper, die die Raumschiffe auf ihren Fahrten durchs All beschleunigen sollen – ein Prinzip, das die NASA längst praktiziert.

Wenn Lo zum ersten Mal ins Bild kommt, zeigt Herzog für einige Augenblicke sein stummes, starres Gesicht; der asiatisch aussehende Mann erinnert in dieser Einstellung eher an die Schurken-Klischees der James-Bond-Filme. Wenig später wird er sich als freundlicher Herr erweisen, wie die anderen prominenten Wissenschaftler auch, aber ihre Formeln und Ausführungen bleiben für den Laien völlig unverständlich; ihre Erkenntnisse und ihre Sprache haben sich vom „normalen“ Menschen gelöst und lassen sich nicht mehr vermitteln. Diese vom „common sense“ wegführende Entwicklung wirkt gleichzeitig bedrohlich und absurd komisch. Hier führt sie auch dazu, dass die Astronauten in ihrem Raumschiff, in dem die Rotation des Bildes das Motiv Kreisbewegung erneut aufgreift, sich endlos weit von unserer Galaxie entfernen können und damit alle bekannten und verlässlichen Fixpunkte verlieren, bis sich „erste Zeichen von Chaos“ einstellen. Der in Herzogs Filmen immer wieder ersehnte Schwebezustand hat jedwedes Gefühl von Harmonie verloren.

Herzogs geniale „Erfindung“ sind die Bilder, die er als Dokument von „Wild Blue Yonder“ ausgibt, vom fernen Planeten, der von Helium umgeben ist. Diese Unterwasser-Aufnahmen wurden von dem amerikanischen Gitarristen und Hobbytaucher Henry Kaiser in der Antarktis gedreht. Das Meereswasser wird zum flüssigen Gas, die Eisdecke erscheint als Himmel und das Loch für die Taucher, durch die das Tageslicht schimmert, sieht aus wie eine nur noch kalt leuchtende Sonne. Flora und Fauna bleiben fremd und rätselhaft, die Menschen in ihren Tauchanzügen (im Kontext des Films: die Astronauten) sehen klein und verloren aus in dieser bizarren, faszinierend schönen und gleichzeitig auch unwirtlichen Welt, in der sie keine neue Heimat finden können. Aber ein Wissenschaftler empfiehlt vor der Kamera die Kolonisierung des Alls, mit der Errichtung von Zwischenreichen – „Shopping Malls“ zum Beispiel. Und er glaubt: „Wir können vorhersehen, wie große Teile der Menschheit außerhalb der Erde leben werden. Wir können die dort vorhandenen Resourcen nutzen. Dann wird die Erde mehr zu einer Art geschütztem Nationalpark.“ So sieht sie auch am Ende dieses Films aus. Nur sind eben keine Menschen mehr da.


Ort

Goethe-Institut Peru
Jirón Nazca 722
Jesús María
Lima 15072
Peru