Berlinale Blogger 2018
Ist die Debatte "Kino vs. Fernsehen" noch relevant?
In den letzten Jahren ist eine Debatte darüber entstanden, ob der Status des Kinos durch den Erfolg von Fernsehserien unterwandert würde. Meiner Meinung nach ist diese Frage falsch gestellt.
Von Yun-hua Chen
Probieren Sie bei dieser Berlinale mal folgendes: Finden sie einen Kinobsucher, der noch nie eine Episode von Game of Thrones, Black Mirror oder The Handmaid's Tale geschaut hat. Ich war bislang erfolglos. Serien wie die drei oben genannten haben während der letzen zehn Jahre in atemberaumender Weise an Reichweite und Popularität gewonnen und haben in ihrer Optik längst cinematische Qualität erreicht. Wir sehen gerade den Anfang einer neuen Ära, in der Abonennten von Streamingdiensten wichtiger werden, als Kinobesucher, die diversen Bildschirme zuhause der Kino-Leinwand den Rang ablaufen und Technologieunternehmen immer tiefer in das Filmgeschäft eindringen, dass sie mithilfe ihrer scheinbar endlosen finanziellen Mittel grundlegend verändern. Dies wurde mir spätestens im Jahr 2017 mit dem Konflikt zwischen den Internationalen Filmfestspielen von Cannes und Netflix bewusst, als die von Netflix produzierten Filme Okja und The Meyerowitz Stories gezeigt wurden und für Aufsehen sorgten, da beide Filme direkt auf der Streamingplattform verfügbar waren, ohne offiziellen Kinostart in Frankreich und damit den Protest der Französischen Filmföderation auf sich zogen. Daraufhin wurden die Regeln geändert, so dass in Zukunft keine Filme mehr im Wettbewerb um die Goldene Palme erlaubt sind, die keine Kinofreigabe haben. Diesem Konflikt liegt nichts anderes zugrunde als die Frage danach, was einen Film – und folglich, ein Filmfestival – ausmacht. Die diesjährige Berlinale bietet eine gute Gelegenheit, diese Debatte und die grundsätzlichen Fragen dahinter zu überdenken.
Mit der Sektion Berlinale Series (vormals Berlinale Special Series), hat sich das 68 Jahre alte Filmfest 2015 erstmals eine kuratierte Auswahl herausragender Serien zugelegt. In dieser Auswahl waren in letzten Jahren schon Better Call Saul (2015 - ), The Night Manager (2016 – 2018) und 4 Blocks (2017 - ) zu sehen. Dieses Jahr gehören Christian Schwochows Bad Banks (2017 - ), Dan Futtermans The Looming Tower (2018 - ) und Keren Margalits Sleeping Bears (2018 - ) dazu. Die neue Serie Bad Banks wird dabei beispielsweise in einem Kontext mit Lauren Greenfields Generation Wealth (2018) in der Sektion Parnorama gezeigt, einer Dokumentation, die 25 Jahre kollektiver Bessenheit mit Reichtum und Ruhm dokumentiert und in der Greenfield auch den ehemaligen Hedge Fund Manager Florian Homm interviewt, der 2007 wegen Betrugs verurteilt wurde. Beide Beiträge unterscheiden sich in Länge und Format, doch Schwochows Post-Krisen-Blick auf den Bankensektor spiegelt die in Genereation Wealth gezeigte Welt auf interessante Weise wider. Außerdem präsentiert die Panorama- Sektion noch die internationale Premiere zweier Folgen der Schweizer Mini-Fernsehserie Ondes de Shoc, bei denen jeweils Lional Baier und Ursula meier Regie geführt haben. Beide Folgen erkunden die Nachwirkungen eines Kriminalfalls auf feinsinnige Weise und mit cineastischem Anspruch.
Die wachsende Bedeutung des Fernsehindustrie in Filmkreisen lässt sich auch an der diesjährigen Wahl von Tom Tykwer als Kopf der Berlinale-Jury ablesen. Obwohl Tykwer seinen Status in der Filmwelt vor allem dem Sensationserfolg Lola rennt (1998) zu verdanken hat, ist er zuletzt vor allem mit der erfolgreichen Fernsehserie Babylon Berlin (2017) in Erscheinung getreten. Tatsächlich gibt es immer wieder Filmemacher, die sich an Fernsehserien versuchen, sowie Spike Lee (She’s Gotta Have It), Nicolas Winding Refn (Too Old To Die Young), die Coen Brüder (The Ballad of Buster Scruggs), und Paolo Sorrentino (The Young Pope). Selbst der Goldene Palmen-Gewinner Michael Haneke schloss sich dem Trend an, als er kürzlich sein neuestes Projekt vrkündete: eine 10-teilige Fernsehserie mit dem Titel Kelvin's Book, ein auf Englisch gedrehtes Drama das in der nahen Zukunft spielt und wesentlich ambitionierter scheint, als seine früheren Produktionen für das Österreichische Fernsehen wie Lemminge (1979) oder Das Schloß (1997). Er selbst sagte dazu: „Nach zehn TV-Filmen und zwölf Kinofilmen hatte ich Lust, auch einmal eine längere Geschichte zu erzählen“.
Was wir also sehen, ist weniger ein Wettbewerb zwischen Fernsehen und Kino, sondern vielmehr die Verwischung der Grenze zwischen beiden Medien. Das ist übrigens ein internationales Phänomen. In der chinesischen Medienlandschaft gibt es ganz ähnliche Dynamiken, in der die Grenzen fließender werden. Dazu zählen auch Parallelproduktionen. 25 Jahre nach dem Erfolg von Zhang Yimous Berlinale-prämierten Films Red Sorghum (红高粱, 1988), wird der Stoff des gleichnamigen Romans von Mo Yan nun als Fernsehserie aufbereitet und von der berühmten Schauspielerin Zhou Xun (周迅), die nach zehn Jahren erstmals wieder im Fernsehen zu sehen ist, reinterpretiert. Der Fernsehregisseur xx feierte derweil mit der romantischen Komödie xx seinen ersten Kinoerfolg. Der Filmschauspieler Chen Kun wiedeum, kehrte 2017 zum Fernsehen zurück, nachdem er in den letzten acht Jahren ausschließlich Kinofilme drehte. Der Fantasy-Roman Three Lives Three Worlds, Ten Miles of Peach Blossoms (三生三世十里桃花) wurde 2017 sowohl für das Fernsehen als auch für das Kino verfilmt.
Egal, ob wir auf die Berlinale schauen, auf Hollywood oder auf den chinesischen Filmmarkt, der Austausch zwischen und die zunehmende Verschränkung von Kino und Fernsehen in Hinblick auf Schauspieler, Produktionsteams, Investoren und Zuschauer setzt sich fort und zwingt uns zu immer wieder neuen Antworten auf die Frage: Was ist ein Film?
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