Stadtkonturen Freiburg
Ökostadt mit Damenbad
Als Greencity hat sich Freiburg deutschlandweit einen Namen gemacht. Aber was steckt hinter dem Image? Unsere Autorin Gina Kutkat erkundet die Sonnenstadt im Breisgau, entdeckt Orte mit besonderem Flair, weltoffene Bewohner*innen und zeigt Konturen, die nicht auf den ersten Blick sichtbar sind.
Von Gina Kutkat
Heilige treffen auf Tofu-Stand
Wasserspeier am Freiburger Münster. | Foto (Detail): © Adobe Ob hoch hinauf oder einmal drum herum: In der Freiburger Altstadt steht das Freiburger Münster, das Wahrzeichen der Stadt, erbaut zwischen 1200 und 1530. Wer mag, erklimmt die 265 Stufen des 116 Meter hohen Turmes und genießt den spektakulären Blick von der Aussichtsplattform. Für Geschichtsinteressierte und Bodenständige hingegen ist wohl vor allem der Hochchor des Münsters interessant: Den zieren unzählige Figuren, darunter Heilige, Wasserspeier, aber auch Narren und dämonische Fratzen. Die abschreckenden Symbole sollen sowohl die allgemeinen Laster als auch die Todsünden anprangern. Wer sich noch nicht gut auskennt, nimmt das Münster als Orientierungspunkt. Auch für Einheimische ist das Münster samt Münstermarkt ein wichtiger Platz. Hier spielt sich das tägliche Leben ab: Zwischen bunten Marktständen und Tofu-Foodtrucks gibt es neben regionalen und saisonalen Produkten einiges zu entdecken. Den Käsekuchen von Stefan Linder zum Beispiel. Vor 17 Jahren entschied er sich, Käsekuchen nach einem Geheimrezept zu backen. Die ersten Exemplare verkaufte er auf dem Münstermarkt – und dort kann man das cremige Backwerk auch heute noch probieren. Mittlerweile hat der bei den Kunden so beliebte Kuchen seinen Weg auch über die Grenzen Freiburgs hinaus gefunden und wird auf diversen Märkten sowie in Delikatessgeschäften verkauft.
Darf’s ein bisschen links sein?
Auch das Radio Dreyeckland hat seinen Sitz auf dem Grethergelände.
| Foto (Detail): © Joergens.mi/Wikipedia CC-BY-SA-3.0
Steigende Mietpreise, Leerstand und Gentrifizierung – der Freiburger Wohnungsmarkt ist ziemlich aus den Fugen geraten. Es gibt Vermieter*innen, die Bewohner*innen durch vorgetäuschten Eigenbedarf vertreiben wollten. Und es gibt Aktivist*innen, die ein Zeichen gegen horrende Mieten und Verdrängung setzen wollen. Das erinnert an Freiburgs Hausbesetzungszeiten, aus denen unter anderem das Grethergelände hervorgegangen ist. Als die Fabrikgebäude der Firma Grether & Cie in den 1980er-Jahren abgerissen werden sollten, regte sich Widerstand – mit Erfolg.
Heute bietet das Mietshäuser Syndikat auf dem Gelände günstigen, innenstadtnahen Wohnraum für rund 100 Personen. Darüber hinaus ist das Grether selbstorganisierte Heimat für viele linke Projekte: Das feministische Frauenzentrum, die Rosa Hilfe, Radio Dreyeckland und das Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung haben hier ihre Büros. Man trifft sich im Strandcafé, einem offenen, nicht-kommerziellen Ort für Austausch und Begegnung, oder auf den legendären Hoffesten im Sommer.
Heiraten oder Füße kühlen
Bepflanzte Gummistiefel im Bächle. | Foto (Detail): © Adobe Ein romantisches Sprichwort sagt: „Wer ins Freiburger Bächle tritt, muss einen Freiburger oder eine Freiburgerin heiraten.“ Wie oft das schon passiert ist, ist nicht statistisch belegt. Es werden aber wohl einige sein, die schon einen Tritt gewagt haben: Rund 9,5 Kilometer Bächle („le“ ist die badische Verniedlichungsform) fließen seit dem Mittelalter durch die Straßen und Gassen von Freiburg. Wurden sie früher genutzt, um Tiere zu versorgen und Feuer zu löschen, haben sie heute vielfältige andere Funktionen: Im Sommer kühlt man darin seine Füße oder auch mal das Feierabendbier. Wer seinem Kind eine Freude machen will, schenkt ihm ein Bächleboot, das man auf dem Münstermarkt kaufen und auf den Bächle schippern lassen kann. Die Holzschiffchen mit bunten Minisegeln werden seit 2009 von einem Freiburger Sozialunternehmen gebaut und finden großen Anklang. Einen prominenten Bächletreter gibt es übrigens auch: Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder tappte beim Besuch von Jacques Chirac im Juni 2001 hinein.
Für Nachtmenschen und Kulturliebhaber*innen
Der Bis Späti – Freiburgs erster Spätkauf im Stadtteil Stühlinger. | Foto (Detail): © Bis Späti Das Freiburger Nachtleben hat nicht gerade einen guten Ruf, und in den letzten Jahren mussten viele Clubs und Bars schließen. Im Freiburger Stadtteil Stühlinger, liebevoll Stühli genannt, gibt es noch einige Möglichkeiten auszugehen. Hier befindet sich seit Sommer 2019 auch Freiburgs erster Spätkauf – ein Kiosk, der auch außerhalb der üblichen Ladenöffnungszeiten und somit vor allem abends und nachts geöffnet ist. Ein Kollektiv von acht jungen Menschen verkauft hier alles, was das Herz begehrt, und veranstaltet dazu Konzerte und kleine Events, wie zum Beispiel einen offenen Mittagstisch auf Spendenbasis. Was der Stühli sonst noch zu bieten hat: In der Eschholzstraße in der Beat Bar Butzemann oder Bar am Funkeneck geht’s zum Biertrinken, im Artik in der Haslacher Straße findet der beliebte Freestyle-Rap-Abend Rap Anker statt und der Slow Club nebenan sorgt dafür, dass auch Musikliebhaber*innen anderer Stilrichtungen wie Postpunk, Elektro, Psychedelic oder Doom Rock auf ihre Kosten kommen. Nicht umsonst nennt sich der Club auch Verein für notwendige kulturelle Maßnahmen. Extra Kulturtipp: Im Theater der Immoralisten läuft modernes Theater – unbedingt anschauen!
Ein Pool mitten in der Stadt
Menschen an der Dreisam. | Foto (Detail): © picture alliance/Patrick Seeger/dpa Wer herausfinden möchte, wie die Freiburger*innen ticken, geht am besten dorthin, wo sie sich am liebsten aufhalten: an die Dreisam. Der Fluss fließt durch die ganze Stadt und es gibt viele Möglichkeiten, das kühle Nass zu genießen. Sobald sich die Sonne zum ersten Mal blicken lässt – also etwa Mitte Februar –, trifft man hier eigentlich alle. Die einen joggen, radeln, spazieren, die anderen hängen ihre Hängematte oder die Slackline auf, plantschen im Wasser und chillen. Zwischen Greifeneggbrücke und der Dreisamschaukel am Mariensteg lädt die Fischtreppe zum Baden ein. Die Riesenrampe soll eigentlich Fischen die Dreisam hochhelfen, ist aber auch als Pool mitten in der Stadt beliebt. Weiter östlich, zwischen Sandfangweg und Jugendherberge, kann man die Dreisam zum Bachwandern nutzen. Entspannt wird sich auf der Sandfangwiese oder am kilometerlangen Dreisamufer.
Autos müssen draußen bleiben
Niedrigenergiehäuser im Viertel Vauban | Foto (Detail): © picture alliance/Daniel Schoenen/imageBROKER Freiburg ist bekannt dafür, grün zu sein. Als eine der ersten Städte Deutschlands hatte Freiburg einen grünen Oberbürgermeister, Fahrradfahrer*innen sind die Sieger*innen auf den Straßen und in Weingarten-West steht Deutschlands erstes Hochhaus in Passivbauweise – also ein besonders gut gedämmtes Gebäude, bei dem man kaum Energie für Gebäudeheizung aufwenden muss . Zudem hat die Stadt sogar eine autoreduzierte Zone. Mit der Straßenbahn gelangt man ins Vorzeigeviertel Vauban, das auf dem Gelände eines ehemaligen französischen Militärstützpunkts erbaut wurde. 1993 wollten Student*innen und Hausbesetzer*innen hier ein Viertel schaffen, das umweltbewusst und familienfreundlich ist. Heute sieht das so aus: Die Bewohner*innen beziehen ihr heißes Wasser aus Erdwärme und leiten ihre organischen Abfälle zu einer Biogas-Anlage. Spaziergänger*innen entdecken Hühnerställe und Kompostiermaschinen, aber keine Autos – denn die parken in den vier Parkhäusern am Rande des Viertels.
Planschen unter Frauen
Planschen nur für Damen: das Lorettobad. | Foto (Detail): © picture-alliance/Rolf Haid/dpa Früher die Regel, heute nur noch in Freiburg zu finden: ein Schwimmbad mit getrenntem Damenbad. Schon seit 1841 wird im Lorettobad – kurz Lollo – geplanscht. War es zuerst ein reines Männerbad, kam 1886 ein separates Damenbad hinzu. Das war im deutschen Kaiserreich keine Besonderheit, vielmehr war Geschlechtertrennung im Schwimmbad durchaus üblich. Besonders ist aber, dass dieser Bereich bis heute ausschließlich Frauen und kleinen Kindern vorbehalten ist. Die meisten verlieben sich schon beim ersten Besuch in das nostalgische Bad und kommen immer wieder. Männer übrigens auch: Die dürfen sich im angrenzenden Familienfreibad aufhalten. Für die niedlichen Kabinen, die man mieten kann, gibt es lange Wartelisten. Auch die Klassikkonzerte, die von den Freunden des Lorettobads e.V. veranstaltet werden, sind beliebt.
Ein Hausberg für alle
Ausblick von der Schauinslandbahn. | Foto (Detail): © picture alliance/Patrick Seeger/dpa Schauinsland: Bei Freiburgs Hausberg ist der Name Programm. Auf 1284 Metern Höhe kann man den schönsten Panoramablick auf die Stadt genießen. Schon die rund 40-minütige Anfahrt aus der Innenstadt ist wunderschön: mit Straßenbahn und Bus nach Günterstal – hier kann man einen kleinen Zwischenstopp bei den jungen Kaffeeröstern von Günters Coffee Roasters einlegen –, zur Bergstation der Schauinslandbahn, dann in 20 Minuten mit der Gondel nach oben schweben. Generationen von Freiburger*innen sind auf dem Berg zum ersten Mal Schlitten gefahren oder lernten hier Skifahren. Ob zum Spazieren, Biken, Rodeln, Winterwandern oder Einkehren: Ein Tag auf dem Schauinsland gehört zu Freiburg wie der Münstermarkt zum Münster.
Mein Fahrrad und ich
Fahrräder, wohin das Auge blickt. | Foto (Detail): © Adobe Freiburg ist das Mekka der Fahrradfahrer*innen: Sie beherrschen die Straßen und sind bei Wind und Wetter draußen, immer getreu dem Motto „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“. Zum Glück gilt Freiburg als Toskana Deutschlands, als Region mit den wohl meisten Sonnenstunden. Auch die mehr als 400 Kilometer Radnetz tragen dazu bei, dass das Fahrrad das beliebteste Fortbewegungsmittel der Stadt ist. Über ein Drittel der Verkehrswege werden mit dem Drahtesel zurückgelegt und über den Fahrradzähler an der Blauen Brücke sprinten schon mal 14.000 Radler*innen am Tag. Doch es sollen noch mehr werden – das jedenfalls sieht das Radverkehrskonzept Freiburg vor, das eine weitere Steigerung des Radverkehrsanteils und eine deutliche Senkung der Fahrradunfälle zum Ziel hat. Passend dazu wird auch der Kaffee in Freiburg mit dem Rad serviert: Der Lastenradbarista fährt bei gutem Wetter täglich zum Platz der Alten Synagoge – natürlich stilecht aus dem Vauban kommend.
Geliebter Todesstern
Die Universitätsbibliothek wird auch „Todesstern“ genannt.
| Foto (Detail): © picture alliance/Helmut Meyer zur Capellen/imageBROKER
Die etwa 25.000 Student*innen der Albert-Ludwigs-Universität prägen das Stadtbild von Freiburg. Seit 2015 dürfen sie in einem futuristischen Objekt lernen: der Universitätsbibliothek, auch Todesstern genannt, die vom Basler Architekten Heinrich Degelo entworfen wurde. Die einen lieben sie, die anderen lachen über sie, denn seit ihrer Eröffnung hat sie sich einen Ruf als Problemkind erarbeitet. 53 Millionen Euro Baukosten und ein Wehwehchen nach dem anderen: Platzmangel, undichte Fassade, ein schwarzer Blendschutz für die Autofahrer*innen, die sonst durch das auf der Glas- und Chromstahlwand reflektierende Sonnenlicht geblendet würden. Als im August 2018 Teile aus der Fassade fielen, wurde zum Glück niemand verletzt. Trotz aller Pannen bleibt die Bibliothek aber ein echter architektonischer Hingucker und beliebter Lernort Tausender Student*innen.
Stadtkonturen
Schrebergärten in Berlin oder Nacktbaden in München: Wir erkunden mit Euch deutsche Städte – auch gegen den Strich. Wir skizzieren klassische Orte, Gruppen und Events, die nicht aus dem Stadtbild wegzudenken sind – und ziehen neue Konturen, indem wir das ein oder andere Klischee ins Wanken bringen.
Kommentare
Kommentieren