Stadtkonturen Nürnberg
Ein Hauch von Bella Italia
Nürnberg, das ist pittoreskes Flair und Geschichte – auch belastete. Vor allem aber bietet die Stadt viel Lebenswertes: Unsere Autorin Clara Lipkowski zeigt Orte der Szenekultur, Kunst und Kurioses.
Von Clara Lipkowski
Unangefochtener Hingucker
Die Nürnberger Burg thront über der Altstadt. | Foto (Detail): © Adobe Sie ist und bleibt einfach der Hingucker der Stadt: die Nürnberger Kaiserburg. Auch wenn manche mäkeln, dass sie ja nicht mehr original sei (aus dem 12. Jahrhundert), sondern nach dem Krieg wiederaufgebaut wurde. Das Besondere: Anders als in anderen Städten liegt die Burg sehr zentral; bei einem Spaziergang durch die Stadt taucht sie immer wieder über den Dächern oder hinter einer Straßenecke auf. Der Aussichtspunkt an der Burg bietet einen der weitesten Blicke über die Stadt und kann schonmal von Tourist*innen gefüllt werden. Der etwas versteckte Burggarten zieht aber auch Ortsansässige an, die zum Lesen oder Boule-Spielen herkommen. Feuchtfröhlich wird es abends in den Gassen rund um die Burg, vor allem am Tiergärtnertorplatz, wo die Bars in den Hang gebaut sind. Entlang der Burgstraße zeigt sich Nürnberg sogar fast südeuropäisch. Das Alte Rathaus, ein rekonstruiertes Renaissancegebäude aus dem 14. Jahrhundert, bildet mit den umliegenden Gebäuden ein Ensemble, das an Bella Italia erinnert. Allein für diesen Blick hat sich noch jeder Aufstieg hoch zur Burg gelohnt.
Streetdance und Schäuferla liegen so nah beieinander
Verstecktes Kleinod: Die Hesperidengärten in der Nähe des Pegnitzufers. | Foto (Detail): © picture alliance / imageBROKER / Martin Siepmann Nürnberg ist auch Sportstadt. Klar, auch wegen des 1. FC Nürnberg, dem Fußball-Bundesligaclub, der ja, das nur am Rande, in Wahrheit nicht Club, sondern „Glubb“ heißt, weil die Fränk*innen in der lokalen Mundart alle harten Konsonanten weich machen. Sportstadt aber auch, weil sich halb Nürnberg zum Trainieren sowie zum Sehen-und-Gesehen-Werden auf den vielen Sportplätzen im Burggraben und vor allem an der Pegnitz trifft. Mehrere Kilometer kann man in den Flussauen ins benachbarte Fürth joggen, skaten oder radeln, und nicht wenige bezeichnen der Nähe wegen Fürth als erweiterten Stadtteil (wogegen die Fürther*innen naturgemäß Einspruch erheben). Wer nicht einmal unter der Theodor-Heuss-Brücke den Basketballspieler*innen, Boxer*innen und Streetdancer*innen zugesehen hat, hat einen entscheidenden Hotspot Nürnbergs verpasst. In der Nähe liegen etwas versteckt auch die Hesperidengärten, die ab dem 16. Jahrhundert entstanden. Neben einer alten Pinselfabrik lassen sich hier die Steinnymphen der griechischen Mythologie ablaufen. Dafür ein Tipp: den Eingang über das Lokal Barockhäusle nehmen. Das tischt für Nichtvegetarier*innen Schäuferla auf, die fränkische Speise schlechthin: Schweineschulter mit Kloß.
Verstörende Vergangenheit
Doppelt so groß wie das Kolosseum sollte sie werden: Blick auf den Innenraum der geplanten Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichparteitagsgelände. | Foto (Detail): © Adobe Ein Besuch auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände im Südosten der Stadt, auf dem im Nationalsozialismus Adolf Hitler seine großen Propagandaveranstaltungen abhielt, sollte Pflicht sein für alle Nürnberg-Besucher*innen. Hitler hatte Nürnberg 1933 zur „Stadt der Reichsparteitage“ erklärt – damit war sie „Führerstadt“ und sollte architektonisch entsprechend umgestaltet werden. Das Reichsparteitags-Areal diente als gigantischer Aufmarschplatz, steinerne Riesenbauten wurden errichtet. Manch einer sagt, man muss wohl einmal im Leben an die Kolosse herangetreten sein, um den Größenwahnsinn der Nazi-Architektur wirklich zu verstehen. In die Kongresshalle hätten zu NSDAP-Tagungen 50.000 Menschen passen sollen, sie sollte fast doppelt so groß werden wie das Kolosseum in Rom. Doch während des Kriegs wurden die Bauarbeiten abgebrochen. Ob man die Bauten als Mahnung erhalten und teuer sanieren soll, sie verfallen lässt oder gar abreißt – darüber wird seit Jahrzehnten gestritten. Überlegt wird nun, Künstler*innen den Raum für Ateliers zu überlassen. Skurriler Fakt am Rande: Schon seit Jahren finden Volksfeste, Konzerte und Autorennen auf dem Gelände statt.
Linksautonome und Twitterexpert*innen im Szeneviertel
Das ist Gostenhof: Zwischen Schankwirtschaft und 1.-Mai-Graffiti präsentiert eine Jugendliche ihre T-Shirt-Kollektion „Ich liebe Goho“. | Foto (Detail): © picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand Bunt ist es auch in Gostenhof im Westen der Stadt – oder „GoHo“, wie einige in Anlehnung an „SoHo“ sagen. Wobei es für einen Vergleich mit den Szenevierteln in London oder New York dann doch, nun ja, zu überschaubar ist. In GoHo leben Gutverdienende in luxussanierten Altbauten neben ehemaligen Häftlingen in Sozialpensionen. Irgendwo dazwischen haben sich Digitalagenturen angesiedelt, die „Twitterperlen“ etwa sind hier zu Hause, die täglich die lustigsten Tweets sammeln und damit in Deutschland Hunderttausende Social-Media-Nutzer*innen erreichen. Was einmal renoviert wurde, wird selten sozialverträglich wiedervermietet. Am Petra-Kelly-Platz, einem Altbau-Traum, liegen Hipster-Café, Weinbar und uralter Computerladen nebeneinander, nur eine Straße weiter säumen Läden mit türkischen Lebensmitteln und sonstigen Produkten die Bürgersteige, weshalb einige auch von „Gostanbul“ sprechen. Linksautonome haben in Gostenhof ihren Szenetreff, fürchten um „ihr Viertel“ und protestieren gegen steigende Mieten, was ab und an ein Stelldichein mit der Polizei zur Folge hat. In dem wohl linksten Nürnberger Stadtteil beginnt auch die 1.-Mai-Demo, die ebenfalls häufig in Zusammenstößen mit den Ordnungshüter*innen endet. Besonders schön sind Streifzüge durch die vielen versteckten Hinterhöfe, in denen auch Flohmärkte stattfinden.
Gerichtssaal von Weltruhm
Blick in den Gerichtssaal während der Nürnberger Prozesse 1945/46. | Foto (Detail): © picture alliance / ZB / Agentur Voller Ernst Der Saal 600 ist nicht nur ein herausragender Ort für Nürnberg selbst, sondern auch für die Weltgeschichte, das kann man ohne Übertreibung sagen. In dem holzvertäfelten Raum im Nürnberger Justizpalast fanden vor dem Internationalen Militärgerichtshof ab dem 20. November 1945 die Nürnberger Prozesse statt. Führende Nationalsozialist*innen wie Hermann Göring wurden hier verurteilt. Der Saal wurde damals eigens aufwendig umgebaut, unter anderem für die internationale Presse. Erst seit März 2020 gibt es im Saal keine Gerichtsverhandlungen mehr. Wer den Ort heute besichtigt, kann verstörende Tonaufnahmen aus den Prozessen hören und der Geschichte des damals erst 27-jährigen US-Chefanklägers Benjamin Ferencz nachgehen, der heute, 101-jährig, in Florida lebt.
Nürnberg kann Plätze. Teilweise.
Bei nächtlicher Beleuchtung ist er doch schon gar nicht mehr sooo hässlich – Blick auf den Plärrer von oben. | Foto (Detail): © picture alliance / dpa / Daniel Karmann Zugegeben, nicht alle Plätze in Nürnberg sind schön, und oft wird der Stadt bescheinigt, dass der Wiederaufbau nach dem Krieg eher mäßig gelungen sei. Der Platz am Weißen Turm samt Brunnenskulptur gilt als einer der hässlichsten in Nürnberg. Mithalten kann der Plärrer, ein Beton-Straßen-Ungetüm, aber zentraler Verkehrspunkt, an dem auch die fahrerlose, vollautomatische U-Bahn hält – Deutschlands erste übrigens. Aber: Nicht weit entfernt liegt der Platz am Köpfleinsberg. Unterhalb eines Kriegerdenkmals sitzt man auf Treppen oder in Cafés wie auf einer italienischen Piazza. Die Größe des Platzes ist zugegeben überschaubar, doch der Blick auf die Burg ist einer der schönsten. Konkurrenz macht – kein Witz – ein Parkhaus ganz in der Nähe. In der Adlerstraße auf dem Parkdeck im siebten Stock zeigt sich die Burg in ihrer vollen Größe und die rostroten Dächer der Altstadt leuchten in der Sonne.
Lieblingsorte der Nürnberger Hipster
Wer es pittoresk mag, zückt jetzt das Smartphone: Die Weißgerbergasse ist der wohl meistfotografierte Ort in Nürnberg. | Foto (Detail): © Adobe Orte, die vor allem von Hipstern angesteuert werden, die sich unter nackten Glühbirnen in „Industrial Look“-Cafés wohlfühlen, gibt es auch in Nürnberg. So ein Ort ist wohl das Café Bergbrand. Es bietet hochwertigen Kaffee zu entsprechend hohen Preisen und das Volk kommt in Scharen an die Ecke zur Weißgerbergasse. Die Gasse allein ist ein Ort für sich – wer es pittoresk mag, wird jetzt das Smartphone zücken: Fachwerk, Geranien, Kopfsteinpflaster, leichter Anstieg, kleine Läden, kurzum der wohl meistfotografierte Winkel in Nürnberg. Von hier zieht es viele zur Hallerwiese mit ihren roten Liegestühlen – im Sommer der „place to be“, mitunter überfüllt und ballermann-esk. Vor allem vor dem Café Schnepperschütz, eingebaut in ein altes Klohaus, stapeln sich die Besucher*innen mit ihrem Hellen, Wein oder Avocadobrot.
Umnutzung durch Kreativköpfe
„Auf AEG“ wird Kunst gezeigt.
| Foto (Detail): © picture alliance / dpa / Daniel Karmann
Als zweitgrößte Stadt Bayerns wird Nürnberg auch gerne mal als „kleine Schwester Münchens“ bezeichnet. Immerhin eine halbe Million Menschen leben hier. Aber Nürnberg trumpft mit kulturellen Orten auf, die einen ganz eigenen Charme haben. Nachdem hier in der Vergangenheit Unternehmen im großen Stil pleitegegangen sind, haben Kreative die verlassenen Werksgelände für sich erobert. Der Elektrokonzern AEG etwa schloss 2006 nach langen Protesten sein Werk mit 1700 Arbeitsplätzen – ein Schock für die Stadt. Doch dann mieteten sich Modesigner*innen, Bildhauer*innen und andere Künstler*innen günstig in einen alten AEG-Gebäuderiegel ein, „auf AEG“ wurde nun Kunst gezeigt. Mittlerweile mussten sie zwar weichen, denn Nürnberg soll hier eine Technische Uni bekommen. Ein kleiner Ausflug lohnt aber auch, weil sich der alte Werksgelände-Flair erhalten hat.
Das Versandhaus Quelle ging 2009 pleite. Im Heizhaus am Quelle-Park trifft sich heute das „Quell-Kollektiv“, ein Haufen Kreativer, die Vorträge und Diskussionsnächte veranstalten. Und auch sonst ist Nürnberg reich an Kultur. Wer einmal die modernen Choreografien von Goyo Montero gesehen hat, muss gar nicht unbedingt nach München, um beeindruckende zeitgenössische Kunst zu erleben. Das Germanische Nationalmuseum ist das größte kulturgeschichtliche Museum im deutschsprachigen Raum. Nicht zu vergessen das Neue Museum, das Moderne Kunst zeigt und schon allein wegen des Glasbaus von Volker Staab architektonisch ein Must-See ist. Außerdem entsteht gerade das „Zukunftsmuseum“, ein Ableger des Münchner Deutschen Museums – okay, Punkt für die Landeshauptstadt. Ganz unumstritten ist das Museum ohnehin nicht, da dem Freistaat vorgeworfen wird, dafür viel zu viel Miete zu zahlen. Doch davon abgesehen, kann sich Nürnberg in Sachen Kultur definitiv sehen lassen.
Brücken, Brücken, Brücken
Die wohl romantischste Brücke der Stadt: Der Kettensteg ist die angeblich älteste erhaltene Kettenbrücke in Kontinentaleuropa. | Foto (Detail): © Adobe Die Pegnitz durchfließt die gesamte Altstadt und an etlichen Stellen verweilen die Nürnberger*innen mit Apérol oder Bier auf Brücken. Das Leben findet praktisch an und auf mal mehr, mal weniger schönen Brücken statt. An der Insel Trödelmarkt etwa kann man gut die Füße ins Wasser halten. Als Highlight gilt allgemein der Henkersteg. Noch romantischer aber ist der Kettensteg, die angeblich älteste erhaltene Kettenbrücke in Kontinentaleuropa. Abends wird sie angeleuchtet, und dann glänzen das Wasser und die an den Fluss gebauten Altstadthäuser hier am schönsten.
Strand in der Stadt und andere Eigenheiten
Markus Söder wollte einen Strand. Er bekam den Strand – und eine ganze Flotte Flamingo-Tretboote. | Foto (Detail): © Adobe Nichts Geringeres als ein „Herzensprojekt“ sei es gewesen, betont der bayrische Ministerpräsident Markus Söder gerne, wenn er anfängt, vom Wöhrder See zu reden. Der CSU-Mann und bekanntliche Nürnberger hat – das muss man ihm zugestehen – den See schöner machen lassen. Früher diente die hier gestaute Pegnitz vor allem dazu, Überschwemmungen aus der Altstadt fernzuhalten. Heute kann man baden. Markus Söder wollte einen Strand, er bekam den Strand. Und er wird nicht müde zu betonen, was er alles für Nürnberg tut (er holte bayerische Ministerien in die Stadt, das Zukunftsmuseum allerdings ging auch auf ihn). 30 Millionen Euro flossen in die Seeverschönerung, steile Ufer wurden zu flachen Zugängen, es gibt jetzt einen Panoramasteg, der leuchtet, und klar, das kommt gut an. Wenn Söder dann mal wieder sein Zutun in Instagramposts oder Tweets kundtut, nehmen das die Nürnberger*innen mit der typischen, fränggischen Gelassenheit. Die Stadt hat so vieles hervorgebracht. Nürnberger Bratwürstchen, Lebkuchen, Albrecht Dürer und eben jetzt einen Ministerpräsidenten, der a weng eigen ist.
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