Rosinenpicker
Schmiede, Krieger & Helden
Markus Heitz zeigt eindrucksvoll was Fantasy kann: eine bildgewaltige Welt erschaffen, die einem vertraut und gleichzeitig fremd vorkommt, und eine Geschichte kreieren, die mit überraschenden, aber dennoch logischen Wendungen nie langweilig wird.
Von Julian Karl
Mit Das Herz der Zwerge 1 geht die erfolgreichste deutsche Fantasy-Saga in die nächste Runde. Hier sind nicht Menschen, Elben oder Zauberer die Protagonisten, sondern im Zwergen-Epos sind die Kleinsten die Größten – oder denken dies zumindest. Um den siebten Band der Reihe Die Zwerge zu verstehen, muss man nicht die sechs vorherigen Bände gelesen haben. Denn obwohl einige Protagonisten des „Geborgenen Landes“ erneut auftreten, steht die Geschichte für sich. Wie üblich im Fantasy-Genre, entwickelt sich die Handlung aus unterschiedlichen Erzählsträngen, die aufeinandertreffen und sich wieder trennen, sich verflechten oder in einem Kampf lautstark zusammenprallen – immer mit Cliffhanger am Ende eines Kapitels, immer den Drang zum Weiterlesen anregend. Wegen der vielen dramatischen Ereignisse bleibt die Handlung stets spannend, und die detaillierten Beschreibungen fiktionaler Schauplätze lassen beim Lesen eindrucksvolle Bilder entstehen.
„Bei Vraccas und Lorimbur!“
So führt die Geschichte über den Zwergenheld Goïmron, der in der Großstadt Mellaniaswacht trotz seiner Edelstein-Zauberkräfte, dem mächtigsten aller Zauber – der Liebe – unterliegt, zunächst zu einer Moorhexe, die auf einem Rachefeldzug, getarnt als Scherenschleiferin, so manche Schere in die Kehlen von Orks, Zwergen und Menschen fliegen lässt. Schließlich trifft Goïmron auf den Haupt-Antagonisten Mostro, der sich im „Gebiet der Wunder“ angesiedelt hat und als ungeliebter „Famulus“ mit seinen Zauberkräften das gesamte Reich unterwerfen will. Eine unerwartete Wendung bekommt die Handlung, als aus dem Nichts ein mysteriöser Zwerg auftaucht und Anspruch auf den Thron des Großkönigs erhebt: „Auf dem schwergepanzerten Wagen stand ein muskulöser Zwerg im mittleren Alter, dessen prächtiger hellblonder Bart ebenso wie seine gleichfarbige Mähne geradezu leuchtete. Ich bin Vraccimbur Schlaufaust aus dem Clan der Immersieger von den Allfünfen.“ Ebenso wie der Schaukämpfer versucht, die Zwergenvölker zu vereinen, verbindet sein selbst gegebener Name die beiden größten Götter der Geschichte: Vraccas und Lorimbur. Doch um als Anführer das „Herz der Zwerge“ werden zu können, muss er den Zwergenstämmen erst beweisen, dass er würdig ist, den Titel zu tragen.Über Orks und Sklaven
Die Erzählungen von prachtvollen Städten und loyalen Zwergen-Freundschaften erhalten durch das Auftreten von düsteren Figuren einen dunklen, mächtigen Schatten. Die Orks sind klassische Charaktere der Fantasy-Literatur und kontrastieren oft die Erscheinungen von Elben oder Menschen. Auch Markus Heitz lässt die „Bestien aus der Unterwelt“ eine entscheidende Rolle spielen. Doch bei ihm folgen die Fantasy-Wesen, wie so oft, nicht den vorgeschriebenen Mustern. Die normalerweise brutalen und blutdürstigen Ungeheuer haben in seiner Geschichte Feingefühl, sind belesen und „reinlicher als gedacht“. Auch ihr Anführer, der Orkfürst Borkon, der mit nachtblauer Haut und weißen Tätowierungen das Cover des Buches ziert, wird als ebenso redegewandt wie angsteinflößend dargestellt. Seine Ziele sind nicht nur für die Lesenden undurchsichtig.Als wären Orks und dunkle Zauberer nicht genug, erhebt sich zudem ein rätselhaftes Sklavenvolk, das, um ihrem Gott Doul zu huldigen, unterwürfig jeden Auftrag erfüllt, insgeheim aber ein ausgeklügeltes Spionage-Netzwerk betreibt. „Wir Doulia müssen ausharren und Sklaven sein, wie es uns Doul auftrug. Bis zum Erwachen. Erst danach sind wir frei.“ Ein Zusammenschluss zwischen den allsehenden Augen der Doulia und der brachialen Kraft der Orks scheint zu einem gefährlichen Ende zu führen. Doch gemäß einer zwergischen Redensart sollten sie nicht zu siegessicher sein. Denn: „Wer über den Berg ist, kann immer noch auf der anderen Seite hinabfallen.“
Fantastische Abenteuer
Fantasy-Romane beschreiben meist eine fiktive, traumhafte Welt und werden deshalb oft als realitätsfern abgestempelt. Doch genau darin liegt die Stärke des Genres. Die übernatürliche Welt mit allen ihren Zaubern und magischen Figuren kann die Liebe, Freundschaft und Sehnsucht, aber auch Verrat, Kämpfe und den Tod auf eine Weise abbilden, die im höchsten Maße berührend und fesselnd ist. So fiebert man auch bei Markus Heitz mit dem archetypischen Zwergen-Held Goïmron mit, begleitet ihn bei seinen Abenteuern und kann die Angst, seine Liebe zu gestehen, nur zu gut nachempfinden.Mit dem ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, Wahrhaftigkeit und Hinterlist oder Fortschritt und Zerfall hält Markus Heitz seiner Leserschaft einen fantastischen Spiegel vor; man muss sich nur trauen hineinzusehen.
München: Knaur Verlag, 2022. 478 S.
ISBN: 978-3-426-22785-5
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