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Rosinenpicker | Literatur
Vom Suchen und Finden der familiären Wurzeln

Mirrianne Mahn auf der 49. Bundesdelegiertenkonferenz der Partei Bündnis 90/Die Grünen am 24.11.2023
© picture alliance / dts-Agentur

Mit ihrem Romandebüt setzt Mirrianne Mahn ihren Wunsch um, eine Geschichte über starke Frauen in Kamerun und Deutschland zu schreiben. Entstanden ist ein Kunstwerk von immenser Kraft, das bis in die deutsche Kolonialzeit in Kamerun zurückreicht.

Von Laura Riedner

„Diese Geschichte ist meine Geschichte und gleichzeitig ist sie fiktional. Nicht alles darin ist wahr, aber alles daran ist echt“, so beschreibt Mirrianne Mahn ihren Debütroman Issa, erschienen im Frühjahr 2024. Schon lange wollte die Aktivistin, Politikerin und Theatermacherin ein intersektional-feministisches Buch schreiben, das unterhält und berührt. Das ist ihr mit Issa auf kraftvolle und eindringliche Weise gelungen.

Die Familiengeschichte verfolgt die Schicksale von fünf Frauen in Kamerun und Deutschland, deren Leben über ein Jahrhundert auseinanderliegen. Und doch sind sie eng miteinander verbunden.
 

Es ist die Geschichte von starken Frauen.
Es ist eine Geschichte vom Muttersein und Mutterwerden.
Es ist die Geschichte von Schmerz und der Liebe einer Familie.
Es ist die Geschichte eines Landes, Kamerun.
Und es ist eine Geschichte über Kolonialismus.

Mahn: Issa (Buchcover) © Rowohlt

 

Der Beginn einer Reise

Im Jahr 2006 reist die hochschwangere deutsch-kamerunische Issa aus Frankfurt am Main in ihre Heimatstadt Buea, nachdem ihre Mutter sie dazu überredet hat. Dort trifft sie auf ihre Großmütter und einen traditionellen Heiler, der mit ihr Initiationsrituale anlässlich ihrer Schwangerschaft durchführen soll. Issa ist zunächst nicht sonderlich begeistert von der Idee ihrer Mutter, doch erkennt sie nach einiger Zeit die heilsame Schönheit der Rituale an. Auch nimmt sie sich die gut gemeinten, wenngleich manchmal sehr blumigen Worte ihrer Uroma Marijoh zu Herzen. So wie Issa nach und nach ihre Wurzeln immer besser kennenlernt, werden die Lesenden stetig tiefer in Issas Familiengeschichte hineingeführt. Dabei ändert sich im Roman auch die Erzählperspektive: Bis ins Jahr 1903 reicht die gesamte Geschichte. In dem Jahr bringt die Ahnin Enanga Issas Uroma Marijoh zur Welt. Ebenso wie das Leben der Protagonistin Issa kann das Lesepublikum nun auch Marijohs Leben Anfang des 20. Jahrhunderts verfolgen.

Die Figuren des Romans von Mirrianne Mahn sind nicht eindimensional, sondern werden von der Autorin sorgfältig und sensibel mit vielschichtigen Charakterzügen, Biografien und einer guten Prise Humor ausgestattet. In einem Livestream auf Instagram betont Mahn, genau das sei ihr besonders wichtig gewesen. Außerdem wollte sie nicht in einem belehrenden Ton schreiben. Auf die Wörter Rassismus oder Kolonialismus verzichte sie bewusst in ihrem Buch.

Dekolonisierung und Alltagsrassismus

Eindringlich öffnet sich für die Lesenden eine Welt, in der ohne viele Erklärungen sichtbar wird, wie Schwarze Personen Anfang des 20. Jahrhunderts in Kamerun das Leben feiern möchten und gleichzeitig gezwungen sind, es unter der deutschen, britischen und französischen Kolonialzeit irgendwie zu bewältigen. Der Roman wirft einmal mehr die Frage auf, ob Deutschland sein Kolonialverbrechen ausreichend aufgearbeitet hat und in der Gegenwart dekolonisierend handelt. Für diesen Themenkomplex leisten Romane wie Issa einen wertvollen Beitrag.

Mehr noch: In der Gegenwart lernt Issa ihr Heimatland Kamerun etwa im Frisörsalon oder auf dem Markt mit bunten Stoffen und einer beeindruckenden Früchte-Vielfalt zwar ganz anders kennen als es ihrer Urgroßmutter damals vergönnt war. Trotzdem teilen sie das gleiche Schicksal. So kämpft Issa damit, in Deutschland zu Schwarz und in Kamerun zu Weiß zu sein. Sie denkt zurück an ihre Kindheit, in der sie immer wieder rassistische Erfahrungen machen musste. So hatte sie einst über rassistische Witze mitgelacht, um weiter zu ihrer Clique dazuzugehören. Weiße Personen lesen in Issa vom Alltagsrassismus, dem Schwarze Menschen in Deutschland heute noch täglich ausgesetzt sind.

Unbedingter Liebes- und Lebenswille

Die Geschichte wird zudem von einem feministischen Anliegen getragen. Egal ob in Deutschland oder Kamerun: Anhand der fünf Frauenschicksale erzählt Mirrianne Mahn von einem patriarchalen System und davon, wie Frauen versuchen, sich selbst zu ermächtigen, trotz aller Sackgassen. „Was Patriarchat bedeutet, sieht man an meinen Figuren“, sagt Mahn in einem Interview mit dem Rowohlt-Verlag, „Jede von ihnen ist davon betroffen, dass irgendwo auf der Welt ein Mann eine Entscheidung trifft und eine Frau deshalb leidet.“ Und doch überwiegt im Nachklang des Buches der unbedingte Liebes- und Lebenswille dieser starken Frauen.

Issa,– eine Geschichte, die aufrüttelt, schmerzt, gleichzeitig viel Humor hat und empowered – sollte gerade heutzutage dringend gelesen werden.
 
Mirrianne Mahn: Issa. Roman
Hamburg: Rowohlt, 2024. 304 S.
ISBN: 978-3-498-00390-6
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe

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