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  •  © Sepp Gallauer / Theater in der Josefstadt
    Foto von der Premiere am Theater in der Josefstadt, Wien am 2. Feb. 2017
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    Foto von der Premiere am Theater in der Josefstadt, Wien am 2. Feb. 2017
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    Foto von der Premiere am Theater in der Josefstadt, Wien am 2. Feb. 2017

ÜBER DAS STÜCK


RECHTE
Verlag: Thomas Sessler Verlag GmbH
Übersetzerin des Stückes ins Russische: Natalia Bakshi

FÜRCHTET EUCH NICHT!

„HEILIG ABEND“ — HERBERT FÖTTINGER BRINGT DANIEL KEHLMANNS STÜCK „HEILIG ABEND“ AM WIENER THEATER IN DER JOSEFSTADT ZUR URAUFFÜHRUNG

Material von Martin Thomas Pesl für das unabhängige und überregionale Theaterfeuilleton www.nachtkritik.de

Wien, 2. Februar 2017. „Phrasen werden unterschätzt, sie sind sehr nützlich“, sagt der Vernehmungsbeamte, von dem wir nur aus dem Programmheft wissen, dass er Thomas heißt. Hier also eine Phrase: Die Zeit hat Daniel Kehlmanns neues Stück eingeholt! Echtweltereignisse verleihen der Uraufführung von „Heilig Abend“ im Theater an der Josefstadt eine noch aktuellere Aura, als Kehlmann und der Regisseur und Direktor Herbert Föttinger hoffen durften.
Im Stück wird eine Universitätsprofessorin, von der wir nur aus dem Programmheft wissen, dass sie Judith heißt, 90 Minuten vor dem vermeintlichen Hochgehen einer Bombe der Verantwortung für ebendiese bezichtigt. Aktualität pur: Erst vor zwei Wochen wurde in Wien ein Terrorverdächtiger angeblich vor Ausübung eines Anschlags festgenommen. Und: Vor nicht einmal zwei Wochen fand im neuen Wiener „Tatort“ ähnlich wie hier ein Wettlauf gegen die Zeit statt. Schuld war eine Philosophin, die nicht aus stumpfem Fanatismus heraus, sondern intellektuell fundiert Widerstand gegen die Gesellschaft einforderte.
Eine solche ist auch Kehlmanns Judith. Auf ihrem Computer hat man ein Bekennerschreiben für eine „Aktion“ zur Mitternacht des 24. Dezembers gefunden. „Das war nur für mein Seminar“, behauptet sie. Maria Köstlinger spielt sie beherrscht und unnahbar. Meist sitzt sie starr auf ihrem Verhörstuhl, während Bernhard Schirs Polizist für die aufbrausenden Bewegungen zuständig ist. Der Informationsvorsprung, den ihm sein Überwachungsapparat verschafft hat, lässt ihn vor Selbstbewusstsein strotzen. Würden die beiden nicht trotz Mikrofonierung großes, lautes Theater hinter der aus Polizeiserien bekannten Glaswand veranstalten, man könnte sie sich als hübsches Tatort-Pärchen vorstellen (apropos: Warum schreibt Daniel Kehlmann nicht mal einen Tatort?).

DIE UHR TICKT

Inspiriert von der großen Uhr im Western High Noon lässt der Autor sein Stück in Echtzeit
 © Sepp Gallauer / Theater in der Josefstadt ablaufen, gleich in zweifacher Ausführung prangt eine digitale Zeitanzeige über dem Geschehen. Um 22:31 Uhr geht es los. Der Ermittler beunruhigt die Verdächtige zunächst mit den vielen Details, die er über sie kennt, wobei er durchaus seine Methoden preisgibt (zum Beispiel: Eltern anrufen und so tun, als plane man eine geheime Geburtstagsüberraschung!). Die Frau Professor wirkt über all das ehrlich überrascht, erscheint mehr als Opfer denn als Täterin. Über weite Strecken ist sie die Identifikationsfigur für die angesichts der Totalüberwachung entrüsteten Zuschauer. Unser System, empört sie sich einmal, sei unverwundbar und erlaube sich wegen einiger weniger „Dschihad-Idioten“ die Behauptung, bedroht zu werden.
Rasch ist die scheinbare Brisanz des Stückes widerlegt: Terror wird im realen Leben derzeit nun einmal von „Dschihad-Idioten“ ausgeführt, die intellektuellen Anschläge gibt es nur in den Tatorten — und selbst dort wurden sie mittlerweile schon zur Genüge durchbesprochen. Überhaupt bleibt der theoretische Überbau eher allgemein, man hat ja keine Zeit zu verlieren: Bis zur Mitternacht will Thomas auch von seiner Ex-Frau erzählen, die ihn hasst. Es muss Flirtversuche geben. Und die Bühne muss sich einmal komplett drehen, damit wir sehen, dass hinter der Zelle Beamte des Verfassungsschutzes in einer Schaltzentrale mit vielen leuchtenden Knöpfen sitzen, das Verhör auf zwölf Bildschirmen verfolgen. Noch 60 Minuten, noch 30 Minuten, noch 10 Minuten, dann…
Ja, dann. Das ist so ein Theaterabend, bei dem es gemein wäre, das Ende zu verraten, weil diejenigen, die hingehen wollen, das wohl einzig wegen des Suspense-Faktors tun werden. Nach diesen 90 Minuten und tosendem Applaus verlässt man jedenfalls unbefriedigt das Theater und hat deshalb kurz ein schlechtes Gewissen: Timing und Energie der Mitwirkenden haben doch gestimmt, Kehlmanns glatte Sprache holperte nie. Profundes Diskurstheater hat man von ihm, der kürzlich die lupenreine Horrorerzählung „Du hättest gehen sollen“ veröffentlicht hat, sowieso nicht erwartet, und so eine tickende Echtzeitbombe hat doch ihren Reiz.

KEIN THEATER-HITCHCOCK

Aber der Countdown zum Showdown hat ein Problem: Da von Anfang an Zweifel an der Echtheit der Gefahr geschürt werden, hat man als Zuschauer nichts, wovor man sich fürchten soll. Man weiß nicht, was um Mitternacht passieren und wer eigentlich darunter leiden wird, und doch ordnet der Autor die gesamte Situation seinem High Noon-Prinzip unter. Für uns diesseits der Glaswand steht also absolut nichts auf dem Spiel. Bleibt nur, die ganze Zeit auf die Uhr zu schauen: ein Leerlauf gegen die Zeit.
 © Sepp Gallauer / Theater in der Josefstadt

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