Ein deutsch-russisches Kunstprojekt zur Erinnerung an die Blockade Leningrads
Die Blockade Leningrads zählt neben dem Holocaust zu den größten Verbrechen in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Die Belagerung der Stadt nahm den Zeitraum vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944 ein, mehr als eine Million Menschen kamen ums Leben als Opfer des Völkermordes, der verbrecherischen Politik des Hitlerregimes, meist wegen extremer Unterernährung. In ihren Ausmaßen bleibt diese Tragödie nahezu unvorstellbar.
Wenn die Blockade Teil des kollektiven Gedächtnisses in der Sowjetunion und dem heutigen Russland geworden ist, so bleibt in Deutschland die tragische Erfahrung Leningrads nicht nur etwas „Unvorstellbares“, sondern auch wenig Bekanntes. Anders als für viele andere Opfergruppen des Nationalsozialismus gibt es in Deutschland kein Denkmal für die Hungertoten von Leningrad. Diese im öffentlichen Bewusstsein Deutschlands fehlende Erkenntnis bildete den Ausgangspunkt des Projekts „900 und etwa 26.000 Tage“. 2014 kamen junge Künstlerinnen und Künstler aus Hamburg, Moskau und St. Petersburg auf Einladung des Goethe-Instituts zusammen, um gemeinsam und unter Leitung ihrer Professoren Ludmila Belova (The PRO ARTE Foundation, St. Petersburg), Haim Sokol (The Rodchenko Art School, Moskau) und Michaela Melian (Hochschule für Bildende Künste, Hamburg) am historischen Ort in St. Petersburg zu recherchieren und über Möglichkeiten des künstlerischen Gedenkens zu reflektieren. Ergebnis ist eine Kunstausstellung, die zunächst im Hamburger Kunstverein gezeigt wurde und im Februar 2017 nach St. Petersburg kommt.
Fragen, mit denen sich die Künstler befassten, waren z.B., ob es für Nachgeborene überhaupt möglich ist, sich eine so schreckliche massenhafte Vernichtung von Menschen vorzustellen? Mit welchen Mitteln kann an ein unfassbares Verbrechen erinnert werden? Auf welche Weise und in welcher Form können die Ereignisse der Vergangenheit vergegenwärtigt und somit Teil des kollektiven Gedächtnisses gemacht werden? In ihrem Buch „Der lange Schatten der Vergangenheit: Erinnerungskultur und Geschichtspolitik“ betont die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann die aktuelle Bedeutung dieser Fragen: „Präsentationsprobleme sowie die damit zusammenhängenden ästhetischen und ethischen Entscheidungen stellen sich immer wieder und vor jeder Generation.“ Monumente der Erinnerung haben eine besondere Aufgabe, die historischen Ereignisse der Vergangenheit zu vergegenwärtigen und somit zur Schaffung kollektiver Selbstbilder beizutragen. In diesen Prozessen spielt die Kunst eine besondere Rolle: „Die Zukunft der Erinnerung wird von ihrer Fähigkeit zur Erneuerung abhängen. Gegen die stets drohende Engführung in sprachliche und bildliche Stereotypen werden besonders die Künste gebraucht, die in ihren verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten und Medien die historische Imagination durch prägnante Formen der Vergegenwärtigung von Vergangenheit erweitern.“
2017 ist das 60. Jahr der Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und St. Petersburg, des ersten Abkommens zwischen einer westdeutschen und einer sowjetischen Stadt. Sogar in den Jahren des kalten Krieges wurden die Beziehungen aufrechterhalten. In diesem Jahr kommt die Ausstellung nach St. Petersburg. Sie soll zum weiteren Kulturaustausch sowie der Festigung des Andenkens an die gemeinsame Geschichte beitragen.
Ein Kooperationsprojekt, initiiert vom Goethe-Institut, der Rodschenko Art School, Moskau, der PRO ARTE Foundation, St. Petersburg, der Hochschule für Bildende Künste, Hamburg, sowie dem Kunstverein in Hamburg, der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, der Landeszentrale für Politische Bildung Hamburg und dem Neuen Museum, St. Petersburg.