Gregor Sander, geb. 1968 in Schwerin, studierte einige Semester Medizin, Germanistik und Geschichte. Davor schloss er Ausbildungen zum Schlosser und Krankenpfleger ab. Nach dem Besuch der Berliner Journalistenschule lebt er heute als freier Autor in Berlin.
2004 wurde er mit dem Förderpreis zum Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Homburg ausgezeichnet. Sein Romandebüt »Abwesend« wurde für den Deutschen Buchpreis nominiert. 2009 erhielt er bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt den 3sat-Preis.
Der Erzählungsband »Winterfisch« wurde mit dem Preis der LiteraTour Nord (2012) und dem »Deutschen Erzählerpreis« (2013) ausgezeichnet. 2014 erschien sein zweiter Roman »Was gewesen wäre«.
Weißrussland? Da ist doch noch richtig Diktatur! So oder so ähnlich hat jeder reagiert, dem ich von meiner Reise erzählt habe. Mehr kam nicht. Keine Tipps, keine Wünsche. Nichts. Und wie habe ich mir Weißrussland vorgestellt? Eigentlich gar nicht.
Von Minsk habe ich am Morgen ein bisschen gesehen. Viel monumentale Stalinzeitarchitektur, der extrem breite Unabhängigkeitsprospekt, dann wieder Plattenbauten, die aber selten in so Schuhschachtelform sind wie bei uns, sondern gern auch rund, gedankenlose Investorenarchitektur aus den Neunzigern.
Um neun Uhr werde ich durch die Festung Brest geführt. Der Morgen ist kalt und grau. Über dem backsteinernen Eingang liegt ein riesiger Betonriegel, in den ein Sowjetstern gehauen wurde. Erdrückend groß. Am Morgen des 22. Juni 1941 wurde die Festung von den Deutschen angegriffen. Mit dem Ziel, sie bis zum Mittag einzunehmen.
Alhierd Bacharewitsch und Yulia Tsimafeeva zeigen mir das literarische Minsk. Aber schon auf dem Weg zur belarussischen Sektion des internationalen PEN-Clubs, deren stellvertretende Vorsitzende Yulia ist, beschließen wir uns lieber anzusehen, was uns am Wegrand auffällt. Und da sind gleich in der Nähe des Goethe-Instituts die fünf Hochhäuser, die aussehen wie Maiskolben und von der Bevölkerung auch genauso genannt werden.
Ich lese gemeinsam mit Alhierd im unabhängigen Buchladen von Minsk im Kulturzentrum „Kurzes U“. Benannt nach einem Buchstaben, den es nur in der belarussischen Sprache gibt. Alle sprechen in diesem Land Russisch, aber viele auch noch Belarussisch. Ihar Lohwinau, der den Buchladen betreibt, führt auch noch einen Verlag in einem winzigen fensterlosen Hinterzimmer des Geschäfts.
Du musst dir noch die Hipsterstraße angucken, haben mir die Belarussen empfohlen, da sehe es ein bisschen aus wie in Berlin. Also gehe ich in die Straße des Oktobers in einem Industriegebiet hinter dem Hauptbahnhof und bin tatsächlich erstaunt, über die staatlich geduldeten und geförderten großen Graffiti an alten Fabrikgebäuden. Harmlose Katzen, Blumen und Mädchen mit wallenden Haaren.