Inês Lohr: Deutschsprachige Literatur in Schweden
Von Currywurst bis Gustav Mahler

Currywurst und Gustav Mahler
Gustav Mahler Foto: Moritz Nähr

Von Inês Lohr

Als Bernhard Schlinks Der Vorleser vor über 20 Jahren auf Schwedisch erschien, war der Jubel groß. Der Roman, dessen Verfilmung auch sehenswert ist, begeisterte einen Großteil meiner Kundschaft der Buchhandlung Lohrs Pocket MedMera. Es blieb nicht bei diesem einen Bestseller. Uwe Timms Roman Die Entdeckung der Currywurst, von meinen Kunden liebevoll „Die Currywurst“ genannt, hätte Schlink im Jahr 2010 fast noch überholt.

Beide Titel waren in Deutschland sehr erfolgreich und fanden auch in Schweden viel Beachtung. Das ist allerdings nicht immer so. Was in Deutschland gut ankommt, funktioniert nicht automatisch in Schweden. Die Menschen sind unterschiedlich, selbst wenn sie sich kulturell nahestehen.

Unsere unabhängige Buchhandlung in Göteborg verkauft erlesene Literatur an belesene Kunden, die oft wissen, was sie wollen. Robert Seethalers Der letzte Satz über Gustav Mahlers letzte Lebensjahre fand viele begeisterte Leser. Es ist schön, wenn uns Kunden ihren Eindruck schildern und erzählen, dass sie durch die Lektüre die Musik von Mahler entdeckt haben.

Der kleine anspruchsvolle Verlag Ersatz, der 1994 von Ola Wallin und Anna Bengtsson gegründet wurde, geht seinen eigenen Weg. Das Verlagsprogramm besteht hauptsächlich aus Übersetzungen aus dem Russischen und Deutschen und trifft genau den Geschmack meiner Kunden, sowohl die Krimis von Volker Kutscher als auch Christian Krachts Eurotrash, das im Frühjahr 2022 erscheinen wird.

Doch welche Bücher werden verlegt? Oft sind die eigenen Vorlieben der Verleger ausschlaggebend sowie Empfehlungen von Freunden und Agenten. Der Besuch von Buchhandlungen in Deutschland und ein Blick ins Feuilleton der deutschen Zeitungen, kommt laut Ola Wallin dazu. Nicht viel anders als im Buchhandel.

Die Anzahl der Übersetzungen aus dem Deutschen ins Schwedische ist noch immer recht überschaubar, Tendenz steigend. Nach Angaben des schwedischen Nachschlagewerks Nationalbiografie steht Schwedisch inzwischen an vierter Stelle als häufigste Übersetzungssprache. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass von den insgesamt 2.775 Übersetzungen ins Schwedische, die 2020 erschienen sind, 115 Bücher im Original auf Deutsch geschrieben waren. Nicht viel, aber auch nicht wenig, und die Nachfrage steigt generell. Bestimmte Klassiker dürfen einfach nicht fehlen, wie die Buddenbrooks und die Bücher von Fallada, und nicht zu vergessen Die Schachnovelle von Stefan Zweig, die derzeit auf dem schwedischen Markt vergriffen ist.

Anna Seghers Das siebte Kreuz, das 2021 vom Nilsson Verlag auf Schwedisch herausgebracht worden ist, fand eine große Leserschaft. Der Verlag legt großen Wert auf seine Übersetzer*innen und betont ihren wichtigen Beitrag bei der Herausgabe von Büchern. Aus diesem Grund wird auch der Name der Übersetzer*in auf dem Titelumschlag erwähnt. Der Verleger Henrik Nilsson ist stets bemüht, renommierte Übersetzer*innen zu engagieren, die erfahren sind und sich einen Namen gemacht haben, aber manchmal kommen auch junge Talente zum Zug. Diese Strategie zahlt sich jedenfalls aus, denn sein guter Ruf eilt dem Verlag voraus.

Meine Kunden sprechen gern mit mir über die Qualität von Übersetzungen, und bei Weitem nicht alle Werke haben vor diesen kritischen Lesern Bestand. Da ich zweisprachig bin, kann ich das gut einschätzen. Oft werden in einer Übersetzung gerade die feinen Nuancen nicht korrekt wiedergegeben. Worte sind nicht identisch, Sprachen sind verschieden. Vor allem schlampig übersetzte Bücher aus dem Englischen fallen beim Leser durch.

Auch die großen etablierten Verlage geben natürlich Übersetzungen heraus, vorwiegend Klassiker und zeitgenössische erfolgreiche Autoren wie Jenny Erpenbeck und Lutz Seiler. Die Aufträge gehen an hochkarätige Übersetzerinnen wie Aimeé Delblanc oder Ulrika Wallenström, die im vergangenen Jahr für ihr künstlerisches Schaffen vom schwedischen König mit einer Medaille ausgezeichnet worden ist. Besonders viel Engagement zeigen jedoch die stetig zunehmenden kleinen Verlage, darunter Weyler und Thorén & Lindskog.

Der Stockholmer Buchverlag Faethon, der seit 2015 „hochwertige Belletristik, philosophische und geisteswissenschaftliche Titel und andere Bücher mit Niveau“ veröffentlicht, ist mittlerweile ein wichtiger Akteur. Er veröffentlicht zahlreiche Übersetzungen aus dem Deutschen ins Schwedische, zuletzt mehrere Werke von Max Frisch. Unsere Kunden haben uns auf den Verlag aufmerksam gemacht und wir beziehen viele Bücher von dort.

Was früher galt, nämlich dass sich deutsche Übersetzungen in Schweden schlecht verkaufen, trifft also nicht mehr zu. Im Gegenteil, der Ruf nach einer größeren Auswahl wird laut. Unsere geschichtsinteressierten Kunden greifen zu den Romanen von Volker Weidermann, der als Literaturwissenschaftler Literatur mit Geschichte zu verbinden weiß, oder zu Harald Jähners Wolfszeit – Deutschland und die Deutschen 1945-1955. Historische Sachbücher – nicht nur über den Zweiten Weltkrieg – sind gefragt, aber das Angebot deckt nicht ansatzweise die Nachfrage. Viele interessieren sich für die Geschichte der DDR, aber auch die Zeit der Weimarer Republik, die 1960er und 1970er Jahre in Deutschland oder die aktuelle Politik bieten spannende Themen für schwedische Übersetzungen. Das Interesse an Biografien ist dagegen eher gering, so verkauften sich zum Beispiel Bücher über Angela Merkel eher schlecht in Schweden.
 
Der deutschsprachige Buchmarkt ist groß und bietet viele Möglichkeiten für Übersetzungen. Kinderbücher aus Deutschland, wie die von Christine Nöstlinger, Cornelia Funke, Paul Marr oder Jörg Mühle, sind schon lange auf dem schwedischen Markt etabliert und begeistern auch schwedische Leser.
Die erwachsenen Leser bevorzugen Bücher mit „Inhalt“, die gut durchdacht sein müssen und ihren Erwartungen entsprechen. Die Bücher sollen in die Tiefe gehen. Wenn ein Kunde schnelle Unterhaltung sucht, greift er eher zum Krimi. 

Da wir den deutschen Buchmarkt recht gut kennen und einen deutschsprachigen Lesezirkel veranstalten, gelingt es uns ganz gut, das Interesse der Kunden zu wecken. Außerdem haben wir ein kleines Sortiment an Büchern auf Deutsch (auch aus Österreich und der Schweiz) und nehmen sogar Bestellungen von Kunden entgegen.

Die deutsche Sprache ist wieder im Kommen, aber es könnte noch mehr zeitgenössische deutschsprachige Literatur auf Schwedisch geben. Die Verlage sollten auf die Wünsche der schwedischen Leser*innen hören. Warum nicht mal Jens Biskys umfassende Berlin-Biographie (976 Seiten) veröffentlichen, wo doch alle dort hinwollen, oder den jährlichen Gewinner des Deutschen Buchpreises?

Ich bin zuversichtlich, dass es in Zukunft noch mehr Übersetzungen aus dem Deutschen geben wird und tue mein Bestes, damit die Bedeutung deutschsprachiger Literatur in den Blickpunkt rückt. Ich empfehle meinen Kunden gelungene Übersetzungen und mache Verlage auf „Schätze“ aufmerksam, die es auch auf Schwedisch geben sollten.


 

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