Joseph Beuys und der Wille zu handeln
Was wäre, wenn das Fällen eines Baumes einem Mord gleichkommen würde?
Joseph Beuys hatte viele Facetten und seine Ideen wirken bis heute. Mit dem Beuys-Experten Prof. Dr. Eugen Blume reden wir über Beuys‘ Willen, die ökologische Bewegung voranzubringen und uns Menschen zu zeigen: Wir alle können handeln.
Von Lena Kronenbürger
Herr Prof. Dr. Blume, Sie sind Beuys-Experte und leiten gemeinsam mit Catherine Nichols das Projekt „beuys 2021“. Was genau „feiern“ Sie neben dem offensichtlichen Jubiläum, dem 100. Geburtstag von Joseph Beuys?
Im Grunde genommen feiern wir nicht die heroische Figur Beuys, sondern wir diskutieren die ungewöhnlichen Fragen, die Beuys der Gesellschaft gestellt hat und versuchen diese in unserer Gegenwart auf den Prüfstand zu stellen.
Beuys lebte von 1921 bis 1986. Welche gesellschaftlichen Probleme hat Beuys zu seinen Lebzeiten gesehen, die heute in Frankreich, Deutschland, vielleicht auch weltweit relevant sind?
Gerade in seiner letzten Lebensphase hat sich Beuys aus dem Museumsbetrieb herausgelöst; Er hat sich großen sozialen, ökologischen Projekten gewidmet. Er war interessiert daran, in der ökologischen Bewegung aktiv zu sein, Zeichen zu setzen und dabei nicht mehr nur zu theoretisieren, sondern praktisch zu arbeiten.
Ein berühmtes Beispiel seiner praktischen Arbeit ist seine Aktion zur documenta 7 im Jahr 1982: Mehrere Jahre lang pflanzte Beuys mit freiwilligen Helfer*innen 7.000 Eicheln in Kassel. Würden Sie sagen, dass Joseph Beuys' berühmter Satz „Jeder Mensch ist ein Künstler“ hier konkret umgesetzt wurde, in dem Sinne: Jeder kann einen Baum pflanzen, jeder kann das politische und gesellschaftliche Leben mitgestalten?
Ja, absolut. Dieser Satz „Jeder Mensch ist ein Künstler“ ist – so banal er auch klingen mag – erstaunlich tiefgründig: Das erste Wort lautet „jeder“. Das bedeutet, jeder Mensch, der auf diesem Planeten lebt, ist einbezogen, egal welches Geschlecht, welche Hautfarbe, welche kulturelle Herkunft er hat. Der Mensch wird nicht aufgefordert, Künstler zu werden, sich zum Künstler zu entwickeln, sondern er ist Künstler. Was heißt das? Wenn jeder Mensch ein Künstler ist, was kann ich mir darunter vorstellen? Es kann unmöglich der traditionelle Künstler gemeint sein, also jemand, der auf eine geniale Weise zeichnen, schreiben oder Theater spielen kann. Gemeint ist etwas, was jeder Mensch in sich trägt, nämlich die kreativen Kräfte und Möglichkeiten, schöpferisch tätig zu sein. Beuys verbindet den Menschen und seine Fähigkeit, denken zu können, mit dem Schöpfungsprozess und der Möglichkeit zu handeln. Er setzt voraus, dass alle Menschen diese Fähigkeiten haben, auch wenn sie oftmals gar nicht wissen, dass sie sie besitzen. Es muss also ein Weg gefunden werden, wie jeder Mensch ungehindert dieses Potential in sich freisetzen kann.
Nicht warten, bis uns jemand auffordert, sondern beginnen zu handeln, lautet die Devise. Heute ist Greta Thunberg ein gutes Beispiel, die bewiesen hat, wie weit eine solche Initiative reichen kann.
Eugen Blume
Beuys hat nicht nur den Menschen, sondern auch der Natur viel zugetraut: Er hat sie als Subjekt begriffen. In wenigen Ländern, wie zum Beispiel Ecuador, ist das schon Realität. Dort wird die Natur als ein Rechtssubjekt begriffen, und auf dieser Grundlage werden ihr Rechte zugesprochen. Inwiefern hat Beuys sich mit der Frage beschäftigt, was wäre, wenn die Tiere und die Natur selbst ein eigenes Recht haben würden?
Tiere tauchten schon früh in Beuys' Werk auf. In den 1950er-Jahren, als er noch als herkömmlicher Bildhauer und Zeichner unterwegs war, tauchen in seinen Werken eine ganze Reihe von Tieren auf, besonders Hirsche und Hasen spielen eine große Rolle. Beuys war bald überzeugt, dass diese traditionellen Formen und Skulpturen nicht mehr die richtigen Mittel waren, um tatsächlich etwas verändern zu können. Deshalb wurde er Lehrer und Politiker. 1967 gründete er die Deutsche Studentenpartei, deren Mitglieder zumeist Tiere waren.
Dass er Tiere als reguläre Mitglieder einer Partei betrachtet hat, verweist darauf, dass Beuys sehr früh forderte, dass alle Lebewesen, also auch Pflanzen und Tiere, einen Rechtsstatus bekommen sollten.
Eugen Blume
Sie haben Beuys-Ausstellungen kuratiert und noch im Studium ihre Diplomarbeit über den Künstler geschrieben. Was fasziniert Sie nach wie vor an Beuys?
Seine Vorstellung, dass die Kunst die einzige Möglichkeit ist, die Gesellschaft zu reformieren. Damals habe ich mir gedacht: Mein Gott, das muss ja ein Wahnsinniger sein! Aber diese Möglichkeit, die Gesellschaft und die Welt von der Kunst her neu zu denken, hat mich nicht mehr losgelassen. Beuys ist in dieser Hinsicht eine Ausnahmefigur geblieben. Es gibt keinen vergleichbaren Künstler, der die Grenzen so weit überschritten hat, wie er.
Joseph Beuys und Frankreich
Durch die Französische Revolution von 1789 hatte Beuys eine enge Beziehung zu Frankreich. Er verwendete deren Motto „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, das er in seiner Dreigliederung auf Wirtschaft, Recht und Geistesleben bezogen hatte: Gleichheit vor dem Recht, Freiheit für den Geist und Brüderlichkeit in der Wirtschaft. Der Revolutionär Anacharsis Cloots stammte aus Kleve und wurde unter Robespierre hingerichtet. Beuys identifizierte sich mit ihm so weit, dass er zeitweise mit Anacharsis Beuyscloots signierte. Wichtig war, dass Cloots die Revolutionsideen internationalisierte und die Performance als politische Aktion einführte.
Über den Interviewpartner
Prof. Dr. Blume war bis 2016 Leiter der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin. Er ist Kurator der Sammlung Marx sowie Honorarprofessor an der Kunsthochschule in Braunschweig. Aktuell leitet er das Projekt beuys 2021 des Landes NRW in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
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