Dank eines städtebaulichen Entwicklungsplans konnte sich die baskische Stadt Bilbao von ihrem industriellen Niedergang Ende des 20. Jahrhunderts eindrucksvoll erholen. Im Rahmen dieses Plans wurde 1997 das Museum Guggenheim Bilbao eröffnet. Mittlerweile zieht es jährlich eine Million Besucher in die Stadt, die früher von Touristen gemieden wurde.
Das Guggenheim Museum erhebt sich auf dem Gelände einer ehemaligen Holzfabrik, die dem Verfall preisgegeben worden war. Wenige Meter davon entfernt lagerten Dutzende von Containern, die Handelsschiffe über die Ría del Nervión dorthin transportiert hatten. Doch parallel zur Errichtung und Einweihung des Museums im Jahr 1997 konnte sich Bilbao Schritt für Schritt vom Image einer grauen und hässlichen Industriestadt befreien. Man reinigte die Fassaden in der Innenstadt und bereitete Touristen und Kongressteilnehmern einen freundlichen Empfang.
Guggenheim – das war vor 20 Jahren das spektakuläre Symbol für die Transformation von Bilbao. Dank der ikonischen Ausstrahlung des nach den Plänen des US-amerikanischen Architekten Frank O. Gehry errichteten Gebäudes wurde die Welt auf eine Stadt aufmerksam, in der sich Besucher von außerhalb bis dahin höchstens wenige Stunden aufhielten, um eilig ihre Geschäfte abzuwickeln.
Einzigartiger Bilbao-Effekt
War es einzig und allein das architektonisch herausragende Museum, das diesen Wandel in Gang setzte? Warum sind – mit Ausnahme von Abu Dhabi, wo es allerdings eine Verzögerung um mehrere Jahre gibt – mehr als zweihundert Institutionen beim Versuch gescheitert, diese Strategie nachzuahmen, und dafür die Guggenheim-Foundation in New York um Unterstützung gebeten hatten? Gibt es so etwas wie ein
Bilbao-Modell? Und wenn ja, steht dann hier eine städteplanerische, wirtschaftliche oder kulturpolitische Strategie dahinter?
Um zu verstehen, was in Bilbao passierte, hilft es, einen Blick auf die Gründe zu werfen, die die Verwaltungen der kommunalen, regionalen und autonomen Ebene dazu bewogen hatten, mit einer ausländischen Stiftung zu verhandeln: Man wollte Kunstwerke präsentieren und erstklassige Ausstellungen ausrichten. Bedingung war, dass zu diesem Zweck ein einzigartiges Bauwerk in Bilbao entstehen sollte.
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Foto: Miguel Angel González © El Correo
Blick auf die alte Holzfabrik auf der Campa de los Ingleses (Rain der Engländer), wo das künftige Guggenheim-Museum entstehen sollte
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Frank Gehry, Autor des Entwurfs des Guggenheim-Museums Bilbao, vor einem Modell seines Entwurfs
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Ansicht des Grundstücks vor dem Baubeginn des Guggenheim-Museums
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Foto: Bernardo Corral © El Correo
Nahezu fertiger Rohbau des Guggenheim-Museums Bilbao
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Luftaufnahme von Bilbao und der Ría mit dem Guggenheim-Museum
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Foto: Fernando Gómez © El Correo
Besucherandrang vor dem Guggenheim-Museum. Bilbao, 08.09.2016.
Im Jahr 1991, als die Verhandlungen begannen, steckte die baskische Stadt mitten in einer wirtschaftlichen Phase des Niedergangs mit ungewissen Zukunftsaussichten. Die Wunden des industriellen Umbruchs waren längst nicht verheilt, die Jugendarbeitslosigkeit erreichte mancherorts 50 Prozent (aktuell liegt sie in der Provinz Biskaya bei 29 Prozent). Zur selben Zeit bereitete sich Sevilla auf die Weltausstellung vor und Barcelona auf die Ausrichtung der Olympischen Spiele. Die politischen Vertreter Bilbaos erfasste das Gefühl, dass die eigene Stadt ins Hintertreffen geriet. Man musste etwas tun.
Das Guggenheim-Museum schafft 9.000 Arbeitsplätze
Der Bau des Guggenheim-Museums war Bestandteil eines großangelegten städtebaulichen Plans. Schon 1996 wurde die vom britischen Architekten Sir Norman Foster entworfene Metro eröffnet. Architekten wie Arata Isozaki, Rafael Moneo und Álvaro Siza zeichneten für weitere neue Gebäude. Unter der Federführung der Baskischen Nationalistischen Partei (PNV) kam man auf sämtlichen Verwaltungsebenen zu der Übereinkunft, dass die Stadt vorwärts gerichtete Impulse brauchte und dass das Museum einer dieser Impulse sein könnte. „Bilbao wäre nicht das, was es heute in der Welt ist, wenn es das Guggenheim-Museum nicht gegeben hätte. Aber das Museum wäre nicht so bekannt geworden, wenn sich nicht die gesamte Stadt so grundlegend verändert hätte“, meint rückblickend Pablo Otaola, derzeitiger Geschäftsführer des Projekts Zorrozaurre, jener Zone, in der sich Bilbao zurzeit erweitert.
Die klar artikulierten Bedürfnisse von Seiten der Stadt und der politische Konsens auf allen Ebenen waren die wichtigsten Gründe für den Erfolg des Bilbao-Modells; dazu kamen die Kraft und der unerschütterliche Wille, das Museumsprojekt ohne jegliches Zaudern umzusetzen – anders als bei ähnlichen Guggenheim-Vorhaben in Salzburg oder 2016 in Helsinki. Ebenso muss man sich zweier weiterer Faktoren bewusst sein , die im Eröffnungsjahr des Museums eine Rolle spielten: der gute Zustand der Weltwirtschaft 1997 und die mediale Aufmerksamkeit, die Gehrys Bauwerk auf sich zog. Seit der Eröffnung des Museum Pompidou in Paris 1977 hatte man dergleichen nicht mehr erlebt.
Im Jahr 2016 kamen rund 1.1700000 zahlende Besucher ins Guggenheim Museum Bilbao, das waren sechs Prozent mehr als im Jahr zuvor. 66 Prozent von ihnen reisten aus dem Ausland an, darunter bildeten die Franzosen die mit erheblichem Abstand größte Gruppe, gefolgt von Deutschen, Briten und US-Amerikanern. Den Angaben des Museums zufolge trägt der wirtschaftliche Erlös damit 424,6 Millionen Euro zum Bruttoinlandsprodukt des Baskenlandes bei und sorgt für mehr als 9.000 Beschäftigungsverhältnisse. Vor der Eröffnung des Museums fanden etwa 80 branchenorientierte Veranstaltungen pro Jahr in Bilbao statt. Heute sind es mehr als 1.000. Der Industriesektor hält weiterhin einen Anteil von 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Provinz Biskaya, dabei haben sich die Unternehmen der technologischen Erneuerung verschrieben und sich außerhalb der Stadt niedergelassen. Der Tourismus erreicht einen Anteil von sechs Prozent.
Das Guggenheim-Museum galt von Beginn an als ökonomisches und urbanes Fanal innerhalb einer breiter angelegten Modernisierungsstrategie, wobei es in diesem Rahmen einen bedeutenden Beitrag leisten sollte. Als die Kontakte nach New York zur Guggenheim Foundation schon fest geknüpft waren, kam auch das kulturelle Moment zum Tragen, das den Bürgern den Zugang zu den Werken der Avantgarde ermöglichen und für die Verbesserung der künstlerischen Infrastruktur des Baskenlandes sorgen sollte.
So belegen die mehr als 16.500 Mitglieder des Fördervereins der Freunde des Museums – nach Verein des Museo del Prado in Madrid der zweitgrößte in Spanien –, dass die Unterstützung des Museumsbaus seitens der Bevölkerung sehr deutlich ausfiel. Allerdings zeigten sich auch anders verlaufende Tendenzen. Erwartungen, denen zufolge durch die Präsenz des Guggenheim-Museums die Kunstgalerien insgesamt wegen einer gesteigerten Nachfrage des Publikums mehr Gewinn erzielen würden, konnten sich nicht immer erfüllen. Alteingesessene Kunstgalerien wie Windsor mussten ihre Pforten nach fast einem halben Jahrhundert ihres Bestehens sogar schließen. Die Zeit war noch nicht reif für den Generationswechsel innerhalb der baskischen Sammlerszene, und die Touristen zeigten wenig Neigung, Werke von ihnen unbekannten Künstlern zu kaufen.
Die Kunstszene jenseits des Museums
All jenen Galeristen aber, die schon seit Längerem Kontakte ins Ausland hatten, konnte das Guggenheim Museum mitsamt seiner Auswirkung auf das Image der Stadt dabei helfen, ihre Position zu verbessern. „Die Sammler kannten die Stadt doch nur als Industriestandort und wegen des Terrorismus. Sobald das Guggenheim eröffnet war, kam es zu einem radikalen Wandel. Die Sammler begannen, uns in ihre Reiseplanungen aufzunehmen“, erklärt Nacho Múgica, Mitinhaber von CarrerasMugica, der erfolgreichsten Galerie in Bilbao und im gesamten Baskenland.
Zusätzlich zu dieser Entwicklung hat sich in einem Teil der Altstadt von Bilbao (
Bilbao la Vieja), wo es weiterhin von sozialer Marginalisierung geprägte Orte gibt, eine kreative Szene mit Ateliers und Wohnungen von Künstlern, mit Bars und Restaurants angesiedelt. Die Künstlerin und Forscherin Oihane Sánchez Duro hat unter dem Titel
Bilbao Dé-Tour-Nement einen umfangreichen Katalog der künstlerisch-kulturellen Räumlichkeiten und Aktivitäten in der Stadt veröffentlicht. „Es gibt viele Angebote, die unabhängig vom Guggenheim entstanden sind. Einige werden institutionell getragen, andere kommen von den Rändern her oder existieren nur dort; es sind Formate, die man mikro, assoziativ, kollaborativ nennen könnte, ihnen gemeinsam sind die Selbstverwaltung und prekäre Arbeitsbedingungen“, erklärt sie. Die Ziele des Museums und die Ziele, die solche Initiativen verfolgen, sind meist sehr verschiedene, konzediert die Autorin. Hier ist weder ein Gewinn noch ein Verlust durch die Existenz des Museums erkennbar.
20 Jahre nach seiner Eröffnung ist das Guggenheim Museum das Symbol der Veränderung der Stadt, die auch den kulturellen Bereich umfasst. Ohne den politischen Konsens und einen weitsichtigen Stadtentwicklungsplan, ohne die günstige Situation der Weltwirtschaft und die Idee eines einzigartigen Gebäudes in einer Zeit, in der nicht sehr viele einzigartige Gebäude entstanden, wäre es dazu nicht gekommen.
Der Bilbao-Effekt ist das Ergebnis des Zusammenwirkens dieser Faktoren zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Und genau deshalb ist es so schwierig, diesen Effekt andernorts oder noch einmal zu produzieren.