Loreley – „Ein Märchen aus alten Zeiten“


„Ich weiß nicht was soll es bedeuten, / Dass ich so traurig bin; / Ein Märchen aus alten Zeiten, / Das kommt mir nicht aus dem Sinn“, dichtete 1823 Heinrich Heine über den Loreley-Mythos. Doch ist die Geschichte des todtraurigen Mädchens, das sich aus Kummer von einem Felsen in den Rhein stürzt, wirklich ein „Märchen aus alten Zeiten“? Oder haben die Dichterfürsten der Romantik hier eine unvergessliche deutsche Legende geschaffen?
Zwischen St. Goar und St. Goarshausen ragt ein gewaltiger Schieferfelsen 132 Meter hoch in den Rhein hinein. Von seinem Kamm soll sich einst die wunderschöne Loreley in den Tod gestürzt haben. Loreley – das ist mal eine wunderschöne Zauberin, die alle vorbeifahrenden Matrosen ins Verderben zieht, mal ein unschuldiges, jungfräuliches Mädchen mit gebrochenem Herzen, ein Wesen zwischen femme fatale und femme fragile. Im Bild der Loreley vereinigen sich Eigenschaften von Wasserfrauen, Dämonen, Hexen und Nymphen – ein Konglomerat aus verschiedenen Motiven der Literaturgeschichte. Ist der Loreley-Mythos daher Ergebnis langer mündlicher Tradierung oder das ausgeklügelte Werk eines Literaturgenies?
Alter Begriff, neuer Mythos

Zu dieser Zeit ist der Lurleifelsen bereits berüchtigt für sein markantes Echo und die gefährliche Strömung, die viele Schiffsbrüchige forderte. Verantwortlich wurden dafür nicht selten Zwerge, Nymphen oder Berggeister gemacht. Auch als um 1700 der Rheintourismus einsetzt, erfreuen sich die Besucher des Rheintals hauptsächlich an dem außergewöhnlichen Echo. Zum 18. Jahrhundert wechselt das vergnügliche Interesse in ein romantisch-subjektives. Von einer Frauengestalt ist bis zu diesem Zeitpunkt aber keine Rede.
Ein Mythos ist geboren
Diese inhaltliche Komponente und die volkstümliche Form der Ballade werden in den folgenden Jahren die Mythifizierung des Stoffes erheblich vorantreiben – und Brentano selbst hat, wenn wahrscheinlich auch unbewusst – den Grundstein dazu gelegt. Die Verwebung bekannter Topoi der Literaturgeschichte wie das Nixen- und Sirenenmotiv mit dem regional bekannten Echo, einem bürgerlichen Liebeskonzept und einer volkstümlichen Form bilden den idealen Mix für die Geburt einer Legende.
So wundert es kaum, dass der Historiker und Dichter Nicolaus Vogt (1756–1836) zehn Jahre später die Loreley-Ballade in der Bildergalerie des Rheins, einer Sammlung mittelrheinischer Volkssagen, veröffentlicht. Vogt war vermutlich davon ausgegangen, dass Brentano, der auch als Sammler von Volkssagen bekannt war, in seinen Recherchen auf den Loreley-Mythos gestoßen war. Mit dieser falschen Annahme löst sich die Loreley-Gestalt endgültig von ihrem Erschaffer Brentano und wird zu einem „alten deutschen Märchen“, wie es später Heinrich Heine formuliert. Doch vor Heine wird der Stoff von den Dichtern der Romantik zahlreich adaptiert: Joseph Freiherr von Eichendorff und Otto Heinrich Graf von Loeben sind nur einige Autoren, die sich der vermeintlichen Legende annehmen und weitere Loreley-Gedichte erschaffen.
Ein verkommenes Klischee?
Heinrich Heine ist es, der dem Stoff letztendlich zur Popularisierung und Standarisierung verhilft. Er prägt unser Bild von der blonden Schönheit, die auf dem Felsen sitzend permanent ihr Haar kämmt und mit ihrem himmlischen Gesang den Sirenen der antiken Mythologie gleich die Rhein-Schiffer ins Verderben stürzt. Einen hohen Bekanntheitsgrad gewinnt Heines Loreley-Gedicht durch die Vertonung von Friedrich Silcher im Jahre 1837. Vertonungen von Franz Liszt und Clara Schumann folgen.hat Germanistik und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft studiert. Sie arbeitet in der Internet-Redaktion des Goethe-Instituts in München.
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März 2012
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