Märchen der Romantik

Loreley – „Ein Märchen aus alten Zeiten“

Statue der Loreley, Foto: Georg Dahlhoff, cc-by-sa-2.0-deStatue der Loreley, Foto: Georg Dahlhoff, cc-by-sa-2.0-deBei Bacharach am Rhein sitzt sie auf dem Felsen, kämmt ihr goldenes Haar und stürzt die vorbeisegelnden Schiffer ins Verderben – Loreley. Ein alter deutscher Mythos oder Geschöpf der Romantik?

„Ich weiß nicht was soll es bedeuten, / Dass ich so traurig bin; / Ein Märchen aus alten Zeiten, / Das kommt mir nicht aus dem Sinn“, dichtete 1823 Heinrich Heine über den Loreley-Mythos. Doch ist die Geschichte des todtraurigen Mädchens, das sich aus Kummer von einem Felsen in den Rhein stürzt, wirklich ein „Märchen aus alten Zeiten“? Oder haben die Dichterfürsten der Romantik hier eine unvergessliche deutsche Legende geschaffen?

Zwischen St. Goar und St. Goarshausen ragt ein gewaltiger Schieferfelsen 132 Meter hoch in den Rhein hinein. Von seinem Kamm soll sich einst die wunderschöne Loreley in den Tod gestürzt haben. Loreley – das ist mal eine wunderschöne Zauberin, die alle vorbeifahrenden Matrosen ins Verderben zieht, mal ein unschuldiges, jungfräuliches Mädchen mit gebrochenem Herzen, ein Wesen zwischen femme fatale und femme fragile. Im Bild der Loreley vereinigen sich Eigenschaften von Wasserfrauen, Dämonen, Hexen und Nymphen – ein Konglomerat aus verschiedenen Motiven der Literaturgeschichte. Ist der Loreley-Mythos daher Ergebnis langer mündlicher Tradierung oder das ausgeklügelte Werk eines Literaturgenies?

Alter Begriff, neuer Mythos

Blick von Urbar (linke Rheinseite) auf die Loreley und das Obere Mittelrheintal. Hinten Links der Hafen und ein Teil der Stadt St. Goarshausen, unten links der Campingplatz von St. Goar. 18.08.2005, Autor: Felix Koenig, CC BY-SA 3.0 Im gesamten Mittelalter ist das Felsental am Rhein bekannt als Lurleifelsen. Erstmalig urkundlich erwähnt wird der Felsen im Jahre 920 nach Christus im Besitzverzeichnis des Klosters Prüm.

Zu dieser Zeit ist der Lurleifelsen bereits berüchtigt für sein markantes Echo und die gefährliche Strömung, die viele Schiffsbrüchige forderte. Verantwortlich wurden dafür nicht selten Zwerge, Nymphen oder Berggeister gemacht. Auch als um 1700 der Rheintourismus einsetzt, erfreuen sich die Besucher des Rheintals hauptsächlich an dem außergewöhnlichen Echo. Zum 18. Jahrhundert wechselt das vergnügliche Interesse in ein romantisch-subjektives. Von einer Frauengestalt ist bis zu diesem Zeitpunkt aber keine Rede.

Johann Köler: „Lorelei needmine munkade poolt“, 1887, Öl, Public Domain Erst im Jahre 1801 entsteht mit der volkstümlichen Ballade Zu Bacharach am Rheine die Verbindung von Fels und Frau. Clemens Brentano (1778–1842) bettet in seinen Roman Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter die Geschichte einer Jungfrau, der alle Männer verfallen, ein. Brentano tauft die schöne „Zauberin“ Lore Lay. Diese stürzt sich von dem Lurleifelsen in den Tod. Am Ende der Ballade wird die Geschichte einem Matrosen in den Mund gelegt. Damit rückt die Erzählung in entfernte Vergangenheit und wirkt wie eine mündlich tradierte Sage. Das bekannte Felsenecho wird zur Stimme der Loreley.

Ein Mythos ist geboren

Diese inhaltliche Komponente und die volkstümliche Form der Ballade werden in den folgenden Jahren die Mythifizierung des Stoffes erheblich vorantreiben – und Brentano selbst hat, wenn wahrscheinlich auch unbewusst – den Grundstein dazu gelegt. Die Verwebung bekannter Topoi der Literaturgeschichte wie das Nixen- und Sirenenmotiv mit dem regional bekannten Echo, einem bürgerlichen Liebeskonzept und einer volkstümlichen Form bilden den idealen Mix für die Geburt einer Legende.

„Andenken an den Rhein: eine Sammlung der schönsten Ansichten des Rheins zwischen Mainz und Cöln“, gezeichnet und gestochen von J. J. Tanner, 1840, Public Domain So wundert es kaum, dass der Historiker und Dichter Nicolaus Vogt (1756–1836) zehn Jahre später die Loreley-Ballade in der Bildergalerie des Rheins, einer Sammlung mittelrheinischer Volkssagen, veröffentlicht. Vogt war vermutlich davon ausgegangen, dass Brentano, der auch als Sammler von Volkssagen bekannt war, in seinen Recherchen auf den Loreley-Mythos gestoßen war. Mit dieser falschen Annahme löst sich die Loreley-Gestalt endgültig von ihrem Erschaffer Brentano und wird zu einem „alten deutschen Märchen“, wie es später Heinrich Heine formuliert. Doch vor Heine wird der Stoff von den Dichtern der Romantik zahlreich adaptiert: Joseph Freiherr von Eichendorff und Otto Heinrich Graf von Loeben sind nur einige Autoren, die sich der vermeintlichen Legende annehmen und weitere Loreley-Gedichte erschaffen.

Ein verkommenes Klischee?

Heinrich Heine ist es, der dem Stoff letztendlich zur Popularisierung und Standarisierung verhilft. Er prägt unser Bild von der blonden Schönheit, die auf dem Felsen sitzend permanent ihr Haar kämmt und mit ihrem himmlischen Gesang den Sirenen der antiken Mythologie gleich die Rhein-Schiffer ins Verderben stürzt. Einen hohen Bekanntheitsgrad gewinnt Heines Loreley-Gedicht durch die Vertonung von Friedrich Silcher im Jahre 1837. Vertonungen von Franz Liszt und Clara Schumann folgen.

Loreley-Felsen, Deutschland, 17. Juni 2005, Autor: Sondrekv, Public DomainDie permanente Auseinandersetzung mit dem Loreley-Sujet in der Kunst – auch im Ausland – festigt mehr und mehr das Bild der Rezipienten. Längst sind der Felsen und besonders das Panorama mit Ausblick auf die beiden Städte St. Goar und St. Goarshausen sowie auf die Burgen Katz und Rheinfels zu Touristenmagneten geworden. In St. Goarshausen findet sich in der Hafenmole des Loreleyhafens eine Loreley-Statue, in der Nähe des Felsens befindet sich die Freilichtbühne „Loreley“ und verschiedene Schifffahrtgesellschaften haben eine Fahrt durch das Tal der Loreley im Programm. Als Besucher des Oberen Mittelrheintals, das zum UNESCO Welterbe ernannt wurde, wird man heutzutage nicht mehr an der Loreley vorbeikommen. Ist die einstige Femme Fatale damit zu einem Klischee verkommen? Mag sein. Aber auch wenn die Loreley als Stoff für die Kunst an Substanz verloren hat, bleibt sie ein Symbol für ein Stück deutschen Kulturguts, das das Rheintal auf seine spezielle Weise prägt und als Legende kaum in Vergessenheit geraten wird.

Virginia Gerard
hat Germanistik und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft studiert. Sie arbeitet in der Internet-Redaktion des Goethe-Instituts in München.

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März 2012

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