Krabat: Reise in eine magische Welt
„Ein Buch, das so spannend ist, dass man es den Eltern nicht zeigen darf, sonst nehmen sie es einem weg und lesen es selbst“, schrieb seinerzeit die Süddeutsche Zeitung über Otfried Preußlers Jugendbuchklassiker Krabat, die Geschichte eines Betteljungen, der in einer Mühle in der Lausitz nicht nur das Müllerhandwerk erlernt, sondern auch die Kunst der schwarzen Magie. Basierend auf einer sorbischen Volkssage schuf der Kinder- und Jugendbuchautor vor dem gesellschaftshistorischen Hintergrund des 17. Jahrhunderts eine märchenhafte Geschichte um dunkle Mächte, Freundschaft, Liebe und den Glauben an sich selbst.
Der deutsche Harry Potter?
„Komm nach Schwarzkollm in die Mühle, es wird nicht zu deinem Schaden sein!“ raunt eine Stimme dem vierzehnjährigen Krabat im Traum zu. Warnungen, sich von der gespenstischen Mühle fernzuhalten, schlägt der verwaiste Betteljunge in den Wind. Stattdessen folgt er dem Ruf des Meisters in eine Welt voller ihm anfangs unerklärlicher Bräuche und Rituale. Magisch geht es zu in Preußlers 1971 erschienenem Jugendbuch, bis heute beliebte Schullektüre: Einfache Müllerburschen können sich in Raben verwandeln, unsichtbar machen oder es urplötzlich schneien lassen. Wer bei Krabat allerdings einen deutschen Harry Potter vor Augen hat, irrt gewaltig. Aufsehenerregende Zaubertricks sucht man bei Preußler, der sich darauf versteht, in schlichter, klarer Sprache poetische Bilder längst vergangener Tage entstehen zu lassen, nämlich vergeblich.
Sagengestalt Krabat
Mit jeder Zeile seiner fantastischen Geschichte, mehr Märchen als Jugendbuch, konserviert Otfried Preußler den Geist der sorbischen Sagengestalt Krabat für Generationen von Lesern. In der ostdeutschen Region namens Lausitz, wo die Volksgemeinschaft der Sorben bis heute ihre Heimat hat, wird gemunkelt, das Krabat tatsächlich gelebt habe. Glaubt man der Ableitung von „Hrvat“, was so viel wie Kroate bedeutet, könnte Krabat ein kroatischer Oberst gewesen sein, dem Kurfürst Johann Georg III. im Jahr 1691 aufgrund seiner Heldentaten gegen die Türken das Landgut Groß Särchen vermacht hat. Vielleicht war es die tollkühne Erscheinung des Kroaten – sicher ist, dass sich Krabat in den mündlichen Erzählungen der Folgezeit zur Sagengestalt mit Heldenzügen ausbildete. Erste Aufzeichnungen sollen von Pfarrern stammen, die den Sorben zu eigenem Schriftgut verhelfen wollten.Ende des 19. Jahrhunderts schafft die Sage den Sprung zum fesselnden Literaturstoff. Seither hat der sorbische Faust, wie die Geschichte wegen ihres Pakts mit dem Bösen auch genannt wird, unzählige Weiterentwicklungen erfahren. Ist in der Fassung von Joachim Leopold Haupt aus dem Jahre 1837 noch „von einem bösen Herrn in Groß-Särchen“ die Rede, setzt Krabat seine Zauberkräfte in späteren Interpretationen, bevor er schließlich in hohem Alter stirbt, bevorzugt dazu ein, die Not unterdrückter Bauern zu lindern.
Preußlers Krabat
Im Gegensatz dazu beschränkt sich Preußler, der Versatzstücke bestehender Erzählungen zu einem eindrücklichen Plot verdichtet, auf die drei Lehrjahre des Müllerburschen Krabat. Aus Preußlers Feder, der sich selbst als Geschichtenerzähler bezeichnet, stammen beliebte Kinderbücher wie Die kleine Hexe (1957) oder Der Räuber Hotzenplotz (1962). Krabat aber war dem Autor, der insgesamt 32 Bücher verfasst hat, ein Herzensprojekt, an dem er insgesamt zehn Jahre gearbeitet hat. Seit seiner Kindheit war dem einstigen Lehrer die Sage vom Zauberer Krabat bekannt, die Gegend um Schwarzkollm hat er dagegen nie betreten. Dennoch sind Preußlers Landschaftsbeschreibungen so detailgenau, als wäre er dort aufgewachsen. Das touristische Potenzial der malerischen Heiden und verwunschenen Wälder haben die umliegenden Gemeinden indes längst erkannt. Wer sich auf die Spuren des Zauberlehrlings begeben möchte, radelt – und löscht unterwegs seinen Durst mit Krabat-Pils – am besten entlang des Krabat-Weges bis zum Dörfchen Schwarzkollm, das selbstverständlich ein Mühlrad im Wappen führt.Dass es in der Mühle nicht mit rechten Dingen zugeht, bemerkt Preußlers pfiffiger Held schnell: Auf Anweisung des unheimlichen Meisters mahlen die zwölf Müllergesellen in Neumondnächten Knochensplitter und durchwachen Osternächte, bevor zu jedem Jahreswechsel einer von ihnen sein Leben lassen muss. Christliche Feiertage, bedeutungsvolle Träume und archaische Kulte bilden den geheimnisvollen Handlungsraum, in dem Krabat als Protagonist dem jugendlichen Leser eine Identifikationsplattform bietet. Motive wie Freundschaft und Zuneigung gewinnen bei Preußler daher an Bedeutung und lassen Krabat am Ende zu einem verantwortungsbewussten Mann reifen: Nachdem der Müllerbursche die Machenschaften des Meisters durchschaut hat, gelingt es ihm mit Hilfe von Freunden und der Liebe eines Mädchens, sich aus den Fängen des Bösen zu befreien.
Faszination Krabat: Theater, Mode, Film
Düster und spannend, aber auch voller Lebensweisheiten inspirierte Preußlers Buch zu diversen Theaterinszenierungen, einer Krabat-Oper und selbst junge Modedesigner wie Simon Hannibal Fischer haben beim Entwurf ihrer Kollektionen bisweilen den zaubernden Müllerburschen im Kopf. Bis sich jedoch jemand daran machte, Preußlers Kultroman auf die Leinwand zu bannen, zogen etliche Jahre ins Land. Erst 2008 brachte Regisseur Marco Kreuzpaintner einen Film mit beachtlicher Besetzung (unter anderem mit David Kross und Daniel Brühl) in die Kinos, der Zauberei frei von gängigen Klischees darstellt und nicht versucht, die Romanvorlage mit übertriebenen Computereffekten auszustechen. Das wäre vermutlich auch nicht geglückt: Preußler hat mit Krabat ein zeitloses Werk geschaffen, das an Werte wie Vertrauen und Mut erinnert und die wundersame Botschaft birgt, dass auch ein armer Müllerbursche Ungeheures zu leisten vermag, wenn er nur will.
arbeitet als freie Autorin und Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache in München.
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März 2012
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