Frankfurter Geschichten
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![Ihr Lebensmotto hat Angelika Steiger in ihrem Literatursalon an die Wand gehängt. Foto: Sebastian Wenzel Ihr Lebensmotto hat Angelika Steiger in ihrem Literatursalon an die Wand gehängt. Foto: Sebastian Wenzel](/lrn/prj/mlg/mmo/priv/9050552-STANDARD.jpg)
Angelika Steigers Kunden starren auf ihre Lippen. Sie lauschen der Frankfurterin begeistert. Steiger flüstert über Drachen, erzählt von Wasserhexen und reimt über Prinzen. Dabei rollt sie das R und betont das K. Mal hallen ihre Worte durch den Raum, mal wispert sie. Mal zieht sie ihre Mundwinkel nach oben, mal eine Schnute. Steiger erweckt mit ihrer Stimme Märchen zum Leben. Ihre kleinen Zuhörer sind fasziniert von den großen Geschichten. Die professionelle Erzählerin hat heute Besuch von einer Gruppe des Kinderzentrums Weinstraße.
In Steigers Literatursalon Café Chocolat fleezen sich acht Kinder auf einer roten Matratze. Einige liegen auf dem Bauch und strecken die Beine in die Luft. Andere bevorzugen den Schneidersitz. Steiger thront vor ihnen auf einem Holzstuhl. Die 57-Jährige redet über den König Hupf, der zum Einschlafen immer auf seinem Bett herumspringt. Während Steiger murmelt, blickt sie den Kindern in die Augen, runzelt die Stirn und bewegt ihre Hände. „Wenn ich Märchen vorlesen würde, müsste ich dauernd ins Buch schauen. Durch das freie Erzählen stehe ich in einem viel intensiveren und direkten Kontakt mit den Zuhörern.“
Erst Krankenschwester, dann Erzählerin
![Gespannt lauschen die kleinen Gäste im Literatursalon den großen Geschichten von Angelika Steiger. Foto: Sebastian Wenzel Gespannt lauschen die kleinen Gäste im Literatursalon den großen Geschichten von Angelika Steiger. Foto: Sebastian Wenzel](/lrn/prj/mlg/mmo/priv/9050546-STANDARD.jpg)
Für die Kinder, die sie heute besuchen, hat Steiger neben der Geschichte vom König Hupf eine Geschichte aus der Türkei ausgesucht. Sie heißt Das Töpfchen und geht so: Ein armes Mädchen kauft einen Zauberkessel, den sie auf die Straße wirft. Aber der Topf wandert immer wieder zurück zu ihrem Haus und bringt erst Weinblattrouladen, dann Schmuck und schließlich einen Bräutigam. Das Märchen entdeckte Steiger in ihrem Arbeitszimmer. Hier stapeln sich auf sechs Metern Fachbücher: zum Beispiel die Enzyklopädie der Märchen, Sandmännchens Reise durchs Märchenland oder das Große Buch der deutschen Volkslieder. Wenn Steiger einen interessanten Text gefunden hat, beginnt die Arbeit. Sie fügt Dialoge hinzu, kürzt Sätze und ergänzt Wörter. Bei einigen Werken dauert das Jahre. „Ein gutes Märchen ist eine kleine Geschichte, in der etwas Wunderbares geschieht. Es berührt die Zuhörer und entführt sie in eine Traumwelt“, sagt die Frankfurterin. Das funktioniert nur mit einer lebendigen Sprache. Das Töpfchen steht also nicht einfach plötzlich vor der Tür, sondern es wandert „holterdiepolter huckediezuck“ zur Tür hinaus, die Straße hoch bis vor das Haus des Mädchens. Es klopft an die Tür, spricht und glänzt – mindestens genauso wie die Augen der kleinen oder großen Zuhörer.
Märchen für Groß und Klein
![Gespannt lauschen die kleinen Gäste im Literatursalon den großen Geschichten von Angelika Steiger. Foto: Sebastian Wenzel Gespannt lauschen die kleinen Gäste im Literatursalon den großen Geschichten von Angelika Steiger. Foto: Sebastian Wenzel](/lrn/prj/mlg/mmo/priv/9050550-STANDARD.jpg)
„Nein“, sagt Steiger. „Das tägliche Leben ist grausamer und viele Fernsehsendungen erst recht.“ Verbrennt in ihrer Geschichte eine Hexe, erzählt sie das in einem Satz. Auf Details verzichtet sie. Aber an dem Sachverhalt selbst führen keine Worte vorbei. Schließlich muss in Kindermärchen das Gute siegen – und deshalb enden so viele Geschichten mit dem Satz: „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“
ist freier Journalist und lebt in Wiesbaden.
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März 2012
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