Das Beutelchen mit zwei Talern (Rumänien)
„Ach, schau mal einer an,“ sagte die Alte, die sehr geizig war. „Wenn du Eier willst, musst du deinen Hahn richtig verdreschen, dass er dir auch welche legt. Ich habe mein Huhn ordentlich verhauen und schau nur, wie fleißig es Eier legt.“ Der gierige Alte fing vor Wut geschwind den Hahn und versetzte ihm eine tüchtige Tracht Prügel, wobei er sprach: „Wehe dir, entweder legst du ein Ei oder du verschwindest aus meinem Haus, damit wir kein Futter mehr an dich vergeuden.“ Nachdem der Hahn mit knapper Not entkommen war, rannte er von zu Hause weg und lief verzweifelt umher.
Und als er so herumirrte, entdeckte er auf einmal ein Beutelchen mit zwei Talern. Und wie er es fand, pickte er es mit dem Schnabel auf und rannte damit nach Haus. Auf dem Weg begegnete ihm eine Kutsche, darin ein Bojar und einige Damen. Der Bojar betrachtete den Hahn genau, sah das Beutelchen in seinem Schnabel und sprach zu dem Kutscher: „He, steig ab und schau nach, was der Hahn da im Schnabel hat.“ Der Kutscher stieg vom Bock herab, fing mit List den Hahn, nahm sich das Beutelchen und reichte es dem Bojaren. Der Bojar steckte es ein und die Kutsche fuhr weiter. Der Hahn aber ließ sich nicht einschüchtern, lief dem Wagen nach und schrie in einem fort:
„Kikeriki, Bojaren ihr,
gebt sofort den Beutel mir "
Verärgert sagte der Bojar dem Kutscher, als sie an einem Brunnen vorbeikamen: „He, greif dir diesen frechen Hahn und wirf ihn in den Brunnen!“ Der Kutscher stieg wieder vom Bock herab und schmiss ihn in den Brunnen. Als der Hahn sah, was ihm drohte, was konnte er da tun? Er begann das Wasser zu trinken; und trank und trank bis er das gesamte Wasser aus dem Brunnen getrunken hatte. Danach flog er hinaus, nahm die Verfolgung der Kutsche wieder auf und rief dabei:
„Kikeriki, Bojaren ihr,
gebt sofort den Beutel mir "
Als er dieses sah, staunte der Bojar nicht schlecht und sprach: „Zum Teufel mit diesem Hahn. Na lass nur, dir werd ich’s schon zeigen, du Gehörnter, du Gespornter!“
Als sie zu Hause ankamen, sagte er einer alten Küchenfrau, sie solle den Hahn nehmen, ihn in einen Backofen voller Glut werfen und eine Steinplatte vor die Öffnung des Ofens stellen. Die kaltherzige Alte tat, was der Herr ihr befohlen hatte. Als der Hahn dieses große Unrecht sah, begann er das Wasser auszuspeien; und er vergoss das ganze Wasser des Brunnens über die Glut, bis das gesamte Feuer erloschen war und der Ofen sich abkühlte. Schon bald strömte das Wasser durch das Haus, so dass die alte Küchenhexe fuchsteufelswild wurde. Danach stieß er die Steinplatte von der Öffnung des Ofens, sprang unversehrt hinaus, lief zum Fenster des Bojaren und begann mit dem Schnabel an die Scheibe zu schlagen und sagte:
„Kikeriki, Bojaren ihr,
gebt sofort den Beutel mir "
„Ach je, da habe ich mir ja was eingebrockt mit diesem Ungeheuer von einem Hahn, sagte der Bojar aufgebracht. Schaff ihn mir vom Hals und schleuder ihn in die Herde zu den Ochsen und Kühen. Vielleicht macht sich irgendein wütender Bulle über ihn her, nimmt ihn auf die Hörner und wir sind den ganzen Ärger los.“
Der Kutscher schnappte sich wieder den Hahn und schleuderte ihn in die Herde. Das war eine Freude für den Hahn. Das hätte man sehen müssen, wie er die Bullen, Ochsen, Kühe und Kälber verschlang; bis er die ganze Herde verschlungen hatte und er einen großen Bauch bekam, so groß wie ein Berg. Danach kam er wieder ans Fenster, streckte die Flügel in Richtung Sonne, so dass er das gesamte Haus des Bojaren verdunkelte, und fing wieder an:
„Kikeriki, Bojaren ihr,
gebt sofort den Beutel mir "
Der Bojar, nachdem er auch noch diese Schlamassel ansehen musste, schäumte vor Wut, denn er wusste nicht mehr, was er noch machen könnte, um diesen Hahn loszuwerden. Lange saß der Bojar und grübelte, bis ihm wieder etwas in den Sinn kam. Ich werde ihn in die Kammer mit den Talern bringen lassen; vielleicht wird er die Goldmünzen fressen und eine von denen bleibt ihm im Hals stecken und wir sind ihn los.
Gesagt getan, griff er sich den Hahn an einem Flügel und warf ihn in die Kammer mit den Talern. Denn der Bojar wusste gar nicht, wie viele Taler er besaß. Da verschlang der Hahn gierig alle Taler und hinterließ nur leere Truhen.
Danach entschlüpfte er von dort, er wusste wie, begab er sich ans Fenster des Bojaren und begann von Neuem:
„Kikeriki, Bojaren ihr,
gebt sofort den Beutel mir "
Da schleuderte der Bojar, nach all dem, was passiert war, ihm den Beutel hin, denn er sah, dass es nichts mehr gab, was er noch machen könnte. Der Hahn nahm ihn freudig und ging seines Weges und ließ den Bojaren in Frieden. Die gesamte Hühnerschar des Bojarenhofes lief, als sie von den Heldentaten des Hahnes erfuhren, ihm hinterher, als ob es eine Hochzeit gewesen wäre und nichts anderes. Der Bojar aber schaute sehnsüchtig, wie die Hühnerschar davonzog und seufzte: „Hol’s der Teufel, aber alles! Nur gut, dass ich die Plage los bin, denn die Dinge hier waren nicht geheuer.“
Der Hahn jedoch lief stolz, und die ganze Hühnerschar hinter ihm her, und er lief und lief, bis er zu Hause beim Alten ankam und vom Tor her begann er zu singen: „Kikeriki, Kikeriki!“ Der Alte lief, als er die Stimme des Hahns hörte, erfreut nach draußen. Und, als er seinen Blick auf das Tor richtete, was sah er da? Sein Hahn sah zum Fürchten aus! Ein Elefant würde dir neben ihm wie ein Floh vorkommen. Und anschließend kam eine unzählige Hühnerschar hinter ihm her, eines schöner als das andere, noch dicker, noch prächtiger. Der Alte öffnete, als er seinen Hahn so groß und bepackt sah, und umringt von einer so großen Hühnerschar, das Tor. Da sagte der Hahn zu ihm: “Herr, leg eine Decke hier mitten im Hof aus.”
Der Alte, flink wie ein Wiesel, legte eine Decke aus. Daraufhin setzte sich der Hahn auf die Decke, schlug kräftig mit den Flügeln und sofort füllte sich der Hof und der Garten des Alten neben den Hühnern auch mit Rindern; dann überschüttete er die Decke mit einem Berg von Goldmünzen, die in der Sonne glitzerten, dass es einen blind machte. Als er diese Reichtümer sah, wusste der Alte gar nicht, was er vor Freude machen sollte, und küsste immerzu sein Hahn und liebkoste ihn. Da kam die Alte, ich weiß auch nicht woher, und als sie das alles sah, gab es nur böse funkelnde Augen in ihrem Gesicht und sie schäumte vor Wut.
„Alter,“ sagte sie beschämt, „gib mir auch ein paar Goldmünzen.“
„Na, darauf kannst du lange warten, Alte. Als ich dich nach Eiern gefragt hatte, weißt du noch, was du mir da geantwortet hast? Schlag doch jetzt du dein Huhn, damit es dir Goldmünzen bringt. So habe ich meinen Hahn geschlagen, du weißt ja warum… und schau, was er mir gebracht hat!“
Die Alte ging auf die Wiesen, schnappte das Huhn, packte es am Schwanz und gab ihm eine Tracht Prügel, dass du vor Mitleid hättest heulen können. Das verprügelte Huhn machte sich, nachdem es aus den Händen der Alten entkommen konnte, auf und davon. Und als es so herumirrte, fand es eine Glasperle und verschluckte sie. Dann kehrte es geschwind nach Hause zur Alten zurück und rief vom Tor: „Pok, pok, pokpok.“ Die Alte lief freudig dem Huhn entgegen. Das Huhn sprang über die Pforte, huschte flink an der Alten vorbei und legte sich ins Nest. Und, nachdem es einige Zeit gesessen hatte, sprang es gackernd aus dem Nest. Da spurtete die Alte herbei, um zu sehen, was das Huhn gemacht hatte. Und als sie in das Nest schaute, was sah sie da? Das Huhn hatte eine Glasperle gelegt. Die Alte, als sie sah, dass das Huhn sie veralbert hatte, schlug und schlug es, bis sie es totgeprügelt hatte. Und so blieb der geizigen und jähzornigen Alten nur noch arme, harte Erde und trockenes Stroh anstatt der Eier.
Der Alte jedoch war reich; und er baute sich ein großes Haus und legte wunderschöne Gärten an und lebte sehr gut. Die Alte machte er aus Mitleid zur Geflügelhüterin, und den Hahn trug er überallhin mit sich, mit einer goldenen Kette um den Hals, und mit goldenen Stiefeln bekleidet und mit Sporen an den Fersen, dass man denken könnte, er sei ein stolzer Herodes, aber kein Hahn, aus dem man Borscht macht.
Übersetzt aus dem Rumänischen von Martin Schönemann
Im Zuge der Einheitlichkeit und der besseren Lesbarkeit wurden alle Übersetzungen der internationalen Märchen an die neue Rechtschreibung angepasst.