Mehr Street Art in Washington, DC
Farbgewaltig und hochpolitisch – so zeigen sich die neuen Street-Art-Kunstwerke, die die Wände ganz unterschiedlicher Stadtteile von Washington, D.C. zum Strahlen bringen. Sie sind bunt, laut und visualisieren auf vielfältige Weise die aktuellen gesellschaftspolitischen Strömungen der Stadt und des Landes. Sie adressieren politischen Protest und zeigen dabei die Menschen, deren Stimmen viel zu lange nicht gehört wurden und ihren Kampf um mehr soziale Gerechtigkeit. So gewähren die Wände der Stadt ihren Betracher*innen einen Einblick hinter die Fassaden ihrer stark polarisierten Öffentlichkeit.
We Are Anacostia
„We Are Anacostia“ lautet der Titel eines neuen und etwa 60 Meter langen Kunstwerks, das sich im gleichnamigen Stadtteil finden lässt. Seinen Titel trägt das Werk ganz prominent in weißen Großbuchstaben auf himmelblauem Untergrund. Fast wirkt es wie ein Ausruf, der gehört werden will. „Hier sind wir – die Menschen aus Anacostia! Schaut her!“ Inmitten des auffälligen Schriftzugs sind Personen unterschiedlichsten Alters zu erkennen. Der Künstler Luis Peralta Del Valle, der sich von der Gemeinde Anacostias’ inspirieren ließ, zeigt die Menschen des Viertels als Zeitstrahl. Zu sehen sind so beispielsweise zwei junge Kinder, die sich mit Objekten aus Technik und Wissenschaft befassen. Das Kunstwerk zeigt aber auch ein junges Paar mit einer deutlichen Botschaft: „Don’t mute us. Housing for us matters“, steht auf einem Plakat, das die beiden vor ihre Körper halten. „We Are Anacostia“ zeigt außerdem Amerikaner, die die Menschen in Anacostia in der Vergangenheit prägten, wie Marion Barry oder Frederick Douglass. So nimmt das Werk seine Betracher:innen mit auf eine Zeitreise, die zeigt, dass die dringenden Fragen um mehr soziale Gerechtigkeit und erschwinglichen Wohnraum zwar längst gestellt wurden, es aber auch in der Gegenwart noch lange keine Antwort darauf gibt.
Lifting as We Climb
„Lifting as We climb“ von Cita Sadeli, aka Miss Chelove | © Cita Sadeli aka Miss Chelove, Foto: Mike Maguire Das neue Street-Art-Kunstwerk im Stadtteil Ward 8 widmet sich dagegen einem ganz anderen Thema. Mit einer Installation aus drei Wandgemälden, die von drei Women of Color geschaffen wurden, feiert das Werk den 100. Jahrestag des Frauenwahlrechts. Die Künstlerinnen verwendeten dafür violette und goldene Farben, da diese die Farben der Frauenbewegung repräsentieren. Doch auch dieses Street‑Art‑Kunstwerk zeigt mehr, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Es weist darauf hin, dass mit dem 19. Verfassungszusatz weiße Frauen ab 1920 zwar wählen durften, doch Schwarze Frauen weiterhin mit Hindernissen zu kämpfen hatten. Obwohl Women of Color Teil der Frauenbewegung waren, erhielten einige das Wahlrecht erst mit dem Voting Rights Act von 1965. Auch heute noch wird People of Color nach Angaben der Washington Post der Zugang zur Wahl erschwert, zum Beispiel durch lange Schlangen und Wartezeiten vor den Wahllokalen.
CROWN Act
Schon mal vom CROWN Act gehört? Der CROWN Act wurde 2019 geschaffen, um die Diskriminierung von Haaren am Arbeitsplatz und in öffentlichen Schulen zu beenden. Auch wenn es unglaublich erscheint, dass es ein solches Gesetz überhaupt geben muss, haben bisher nur 13 Staaten das Gesetz verabschiedet, um den Schutz von unterschiedlichen Haartexturen und -stilen, wie Zöpfen, Locken, Twists oder Knoten, zu gewährleisten. Genau dies greift das Street‑Art‑Kunstwerk „CROWN Act“ von Candice Taylor auf. Zu finden ist das Werk in Anacostia bei Busboys and Poets, einem Unternehmen, das zum großen Teil von Schwarzen Frauen aufgebaut wurde, die dort auf allen Ebenen arbeiten. Es zeigt deutlich: Haare beeinträchtigen nicht ihre Fähigkeit, einen Job ausüben zu können. Dennoch ist die Diskriminierung Schwarzer Körper und Frisuren an vielen Arbeitsplätzen und Schulen in den USA nicht nur im Laufe der Geschichte, sondern auch heute noch präsent und höchst problematisch.
Go-Go City
„Go-Go City“ von Kaliq Crosby | © Kaliq Crosby, Foto: Mike Maguire Im Stadtteil Shaw, wo sich einst eine Schlacht um Musik, Kultur und den Umgang mit den Menschen im Viertel zusammenbraute, erstreckt sich heute eines der farbgewaltigsten Street‑Art‑Kunstwerke der Stadt. Es zeigt eine Hommage an die Junk Yard Band, die Soul Searchers und andere legendäre Gruppen, die zur Entstehung der Go‑Go‑Musik und der damit aufkommenden Kultur beigetragen haben. Künstlers Kaliq Crosbys’ Werk wurde an die Wand eines teuren, gemischt genutzten Gebäudekomplexes gegenüber eines Ladens gesprayt, der für laute Go‑Go‑Musik bekannt ist. Das Wandbild ist die Antwort auf eine vermeintliche Beschwerde eines Anwohners über zu laute Go‑Go‑Musik. Diese löste eine ganze Aktivismusbewegung aus. So zog die Bewegung an mehreren Abenden Anwohner*innen an, um zu protestieren und zu tanzen – natürlich zu Go‑Go‑Musik. Eine Petition zur Wiedereinführung der Musik erhielt nach Angaben der Organisator*innen mehr als 80.000 Unterschriften aus allen 50 Bundesstaaten und 94 Ländern. Viele sahen in der Beschwerde ein Symbol für die Verdrängung der Washingtoner Kultur durch Neuankömmlinge.
Das D.C. Walls Festival
Zum sechsten Mal fand 2021 außerdem das internationale Street‑Art‑Festival D.C. Walls statt, das vom 8. bis 18. September lokale, nationale und internationale Künstler angezogen hat. Zahlreiche neue und außergewöhnlich vielfältige Murals waren auf dem Open-Air-Festival zu bewundern. So zum Beispiel auch das Werk der venezolanisch-amerikanischen Künstlerin Ally Grimm aus Denver. Ihrer Arbeit beschäftigt sich mit dem Aufstieg des technologischen Zeitalters durch die Linse der menschlichen Erfahrung. Ihre Kunst, die beeinflusst wurde von Klängen elektronischer Musik, greift die Energie und Bewegung einer vollen Tanzfläche auf und übersetzt sie in fließende Linien und Muster.