Graffiti und Streetart
Berlin Not for Sale
Bunte Schriftzeichen an Hochhäusern, riesige, aus Protest schwarz übermalte Figuren, Werbung mit Wandbildern – Graffiti in Berlin hat viele Gesichter. Goethe.de lädt zu einem besonderen Stadtspaziergang ein.
Mitte der 1980er-Jahre war die US-amerikanische Graffiti-Bewegung auch in Deutschland angekommen. Seitdem präsentiert sich Berlin als eine der vielfältigsten Streetart-Metropolen weltweit. Denn im Westteil der bis 1989 geteilten Stadt gab es von Anfang an viel Wohlwollen für die neue Jugendkultur – schließlich knüpfte sie an eine im Stadtbild schon länger präsente Tradition linker Protestbewegungen an, die Hauswände als Träger politischer Botschaften nutzten. Und es stand ein denkbar bestgeeignetes Trägermedium für die neu entstandene Straßenkunst zur Verfügung – die Berliner Mauer. Bereits Anfang der 1980er-Jahre war sie gänzlich von Graffiti bedeckt.
Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde die Stadt für die Szene noch interessanter, bedingt durch die hohe Leerstandsquote und ungeklärte Eigentumsverhältnisse vieler Häuser. In der Nachwendezeit entstanden zahlreiche legale oder zumindest geduldete Sprühflächen, sogenannte Halls of Fame. Masse, Vielfalt und Qualität der Graffiti machten Berlin zu einem beliebten Ziel für internationale Graffiti-Künstler.
Inzwischen hat sich die Kunstform in vielfältiger Art und Weise ausdifferenziert und die Rezeption wandelt sich stetig: Die reine Schriftkunst klassischer Graffiti wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Sogenannte Streetart-Arbeiten werden von einem größeren Publikum respektiert, an das sie sich – anders als die gesprühten Namenskürzel (Tags) oder die daraus entstehenden Schriftbilder (Pieces) – sogar gezielt wenden. Hierzu gehören vor allem große, teilweise aufwändig komponierte Wandbilder, sogenannte Murals, die immer öfter als legale Auftragsbilder entstehen. Aber auch eine im Illegalen operierende Szene ist weiterhin aktiv. Sie fühlt sich dem Ursprungsgedanken von Graffiti als stadtpolitisches Statement gegen die zunehmende Privatisierung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raums verpflichtet. Goethe.de hat in Zusammenarbeit mit dem Graffitiarchiv / Archiv der Jugendkulturen e.V. zehn der interessantesten Streetart-Arbeiten Berlins zusammengestellt. Sie erzählen sowohl eine Geschichte der Kunst wie auch der Stadt.
Ort: Selbstverwaltetes Hausprojekt Manteuffelstraße 39, Berlin-Kreuzberg
Ort: Cuvrystraße, Berlin Kreuzberg
Ort: Oppelner Str. 3, Berlin-Kreuzberg
Ort: Schlossstraße, Berlin-Steglitz
Ort: Heinrich-Heine-Str. 73, Berlin-Kreuzberg
Ort: Mühlenstraße 6, Berlin Kreuzberg
Ort: Mauerpark, Gleimstraße 55, Berlin-Prenzlauer Berg
Das 2009 fertiggestellte Mural auf einer Hotel-Außenwand im Berliner Bezirk Kreuzberg ist eines der größten Wandbilder Berlins. Entstanden ist es auf Initiative des Berliner Vereins Interbrigadas, der sich seit 2006 für den interkulturellen Austausch zwischen Europa und Lateinamerika engagiert. Im Bild treffen verschiedene kulturelle Strömungen und Stilrichtungen aufeinander. Prominent vertreten sind die von brasilianischen Streetart-Künstlern gerne verwendeten figürlichen Darstellungen. Eine weitere Referenz bildet eine spezielle, ebenfalls in Brasilien entwickelte Graffiti-Typografie, die an Runen erinnernden sogenannten Pichação. Diese an der Schriftkunsttradition orientierten Tags haben in Brasilien ein schlechtes Image, in Europa hingegen gibt es viele Anhänger.
Ort: Mercure Hotel, Luckenwalder Straße 11, 10963 Berlin
Ort: Kottbusser Tor, Berlin Kreuzberg
Ort: Wilhelmstraße 9, Berlin Kreuzberg
Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde die Stadt für die Szene noch interessanter, bedingt durch die hohe Leerstandsquote und ungeklärte Eigentumsverhältnisse vieler Häuser. In der Nachwendezeit entstanden zahlreiche legale oder zumindest geduldete Sprühflächen, sogenannte Halls of Fame. Masse, Vielfalt und Qualität der Graffiti machten Berlin zu einem beliebten Ziel für internationale Graffiti-Künstler.
Inzwischen hat sich die Kunstform in vielfältiger Art und Weise ausdifferenziert und die Rezeption wandelt sich stetig: Die reine Schriftkunst klassischer Graffiti wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Sogenannte Streetart-Arbeiten werden von einem größeren Publikum respektiert, an das sie sich – anders als die gesprühten Namenskürzel (Tags) oder die daraus entstehenden Schriftbilder (Pieces) – sogar gezielt wenden. Hierzu gehören vor allem große, teilweise aufwändig komponierte Wandbilder, sogenannte Murals, die immer öfter als legale Auftragsbilder entstehen. Aber auch eine im Illegalen operierende Szene ist weiterhin aktiv. Sie fühlt sich dem Ursprungsgedanken von Graffiti als stadtpolitisches Statement gegen die zunehmende Privatisierung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raums verpflichtet. Goethe.de hat in Zusammenarbeit mit dem Graffitiarchiv / Archiv der Jugendkulturen e.V. zehn der interessantesten Streetart-Arbeiten Berlins zusammengestellt. Sie erzählen sowohl eine Geschichte der Kunst wie auch der Stadt.
Berlin not for Sale (2014), von den Kollektiven orangotango, Pappsatt und Reclaim Your City (Deutschland)
An einer Hausfassade im Stadtteil Kreuzberg entstand im Sommer 2014 ein von mehreren Graffiti-Kollektiven gestaltetes Wandbild, das die aktuellen Auseinandersetzungen um Gentrifizierung in diesem Berliner Stadtteil darstellt. Das Bild erinnert an einen Monopoly-Spielplan und visualisiert verschiedene Strategien des Widerstands gegen Privatisierung und Verdrängung: Miet-Proteste, Lärmdemonstrationen, Hausbesetzungen, Blockaden von Zwangsräumungen und andere Mittel der Aneignung städtischen Raums. Dabei knüpfen die klare politische Botschaft und die verständliche grafische Umsetzung an eine Tradition öffentlicher Interventionen an, die mit der codierten Bildsprache der US-amerikanischen Graffiti-Schriftzüge nur wenig zu tun hat. Diese linke politische Fassadenkunst war mit ihren auf Hauswände gesprühten Parolen vor allem während der Studentenbewegung Ende der 1960er-Jahre populär. Eine weitere Referenz bildet die in Lateinamerika wurzelnde Tradition des sogenannten Muralismo, die in großformatigen Wandbildern die Geschichte linken Protestes festhält und weitererzählt.Ort: Selbstverwaltetes Hausprojekt Manteuffelstraße 39, Berlin-Kreuzberg
Cuvry-Graffiti (2007/8), von BLU (Italien)
Die bekanntesten Graffiti an der sogenannten Cuvry-Brache sind zwei großflächige Fassadenbilder (Murals) des italienischen Streetart-Künstlers BLU am Rande eines lange brachliegenden Baugrundstücks. 2007 entstanden zwei weiße Figuren, die versuchen, sich jeweils unter die maskierten Gesichter zu schauen, 2008 kam eine kopflose Gestalt mit am Handgelenk zusammengeketteten Uhren hinzu. Beide erinnern an die beginnende Kommerzialisierung und die Schwierigkeiten einer zusammenwachsenden Stadt im Nachwende-Berlin. Das rund 12.000 Quadratmeter umfassende Areal war als Teil eines umstrittenen Bauprojekts immer wieder Gegenstand stadtpolitischer Auseinandersetzungen. Zwischenzeitlich wurde das Gelände als temporäre Wohnfläche genutzt und 2014 nach einem Brand geräumt. Aus Protest gegen die Stadtentwicklungspolitik Berlins und aus Angst vor einer Vereinnahmung seiner Kunst durch den künftigen Besitzer des Grundstücks ließ BLU die Wandbilder im Dezember 2014 mit schwarzer Farbe übermalen. Im Januar 2017 begannen die Bauarbeiten zu einem Bürokomplex.Ort: Cuvrystraße, Berlin Kreuzberg
The Yellow Man (2007) von Os Gêmeos (Brasilien)
Das großformatige Wandbild entstand 2007 im Rahmen des Graffiti-Festivals Backjumps, eines der wichtigsten Graffiti- und Streetart-Ausstellungsprojekte in Berlin, das vielen internationalen Künstlern auf legalem Weg Zugang zu großen Wandflächen ermöglichte. The Yellow Man stammt von dem brasilianischen Streetart-Duo Os Gêmeos. Die eineiigen Zwillinge gehören zusammen mit Künstlern wie Banksy zu den international bekanntesten Vertretern von Streetart. Große Teile des Bildes sind, wie in Brasilien üblich, wegen des verhältnismäßig hohen Preises von Sprühdosen mit Streichfarbe gemalt. Motivisch arbeiten Os Gêmeos mit Referenzen zur indigenen Bevölkerung und den rebellischen Wurzeln von Graffiti in Brasilien. Ihr Markenzeichen sind große, oft vermummte Figuren, ihre Werke findet man mittlerweile auf großen Kunstfestivals und in Galerien. Obwohl sie inzwischen auch hochdotierte Auftragsarbeiten annehmen, sehen sie sich weiterhin der Tradition sozialkritischer Straßenkunst verpflichtet.Ort: Oppelner Str. 3, Berlin-Kreuzberg
Bierpinsel (2011), von Flying Förtress, Honet, Sozyone, Craig KR Costello (international)
Das 1976 gebaute, über 40 Meter hohe, futuristisch anmutende Gebäude ist eines der wenigen erhaltenen architektonischen Konzeptbauten aus dieser Zeit. Der Spitzname Bierpinsel hatte sich schon im Eröffnungsjahr 1976 durchgesetzt – wegen der Form und der vorwiegend gastronomischen Nutzung. Mit Ausnahme kleinerer Kunstaktionen und Events steht das Gebäude seit 2006 leer. 2011 wurden der Bierpinsel und der unmittelbar angrenzende U-Bahnhof-Schlossstraße auf Initiative eines Kunstprojektes von internationalen Graffiti-Künstlern gestaltet. Bemerkenswert ist die Beauftragung von Sprühern, die zum damaligen Zeitpunkt auch durch illegale Arbeiten bekannt waren. Im Zuge einer Generalsanierung des Gebäudes ist geplant, die Graffiti wieder zu entfernen. Seit Januar 2017 steht der Bierpinsel unter Denkmalschutz.Ort: Schlossstraße, Berlin-Steglitz
Face Time (2015), von Various & Gould (Deutschland)
Das aus Patchwork-Gesichtern zusammengesetzte Porträt ist Teil der Serie Face Time. Das Künstler-Duo Various & Gould beschreibt es als Charakterstudie in Form kollagierter, an Phantombilder erinnernder Köpfe. Ziel sei die Schaffung dadaistischer Patchwork-Identitäten, die gängige Schönheitsideale unterwandern und die menschliche Vielfalt zelebrieren. Das 350 Quadratmeter große Mural ist in Absprache mit einem Berliner Architekturbüro entstanden, das den Bau einer neuen Wohnsiedlung in Berlin-Kreuzberg verantwortet. Solche Kooperationen werden in der Graffiti-Szene in der Regel nicht unkritisch gesehen, da sie nur noch wenig mit dem Grundgedanken der Wiederaneignung von Stadtraum gemein haben. Allerdings hatten die Künstler, die in ihren Bildern sozial relevante Themen aufgreifen, bei der Gestaltung der Wand freie Hand – im Unterschied zu Graffiti-Künstlern, die vorgegebene Kundenaufträge umsetzen.Ort: Heinrich-Heine-Str. 73, Berlin-Kreuzberg
Fassade East-Side-Hotel (seit 2014), von verschiedenen Künstlern
Anders als das Face-Time-Fassadenbild von Various & Gould sind die Wandbilder des Berliner Design-Studios XI-Design gut dotierte Werbe-Auftragsarbeiten. XI-Design, geführt von einem Tattoo-Artist und zwei ehemaligen Sprühern, hat sich darauf spezialisiert, auf Hauswänden Anzeigen im Graffiti-Stil umzusetzen. Anfang 2017 hatte XI-Design deutschlandweit rund 100 Wände im Angebot, 80 davon in Berlin. Kommt ein Deal zustande, werden freie Graffiti-Künstler beauftragt. In der Regel – aber nicht immer – sind die auf höchstem handwerklichen Niveau angefertigten Murals auch als Werbung zu erkennen. Die Szene diskutiert höchst kontrovers über Auftragsagenturen wie XI-Design. Der Firma wird andererseits zugute gehalten, mit den Einnahmen aus Werbe-Deals wiederum Projekte zu finanzieren, die die freie Szene unterstützen.Ort: Mühlenstraße 6, Berlin Kreuzberg
Hall of Fame, Mauerpark (seit 1989), von verschiedenen Künstlern
Der 1994 zur Grünanlage umfunktionierte Mauerpark war ursprünglich ein Teil des sogenannten Todesstreifens der Berliner Mauer. Genauer betrachtet geht es um den Bereich zwischen der eigentlichen Mauer auf West-Seite und einer kleineren, sogenannten Hinterlandmauer auf Ost-Seite. Ein Teil dieser Hinterlandmauer wird seit der öffentlichen Zugänglichkeit des Geländes 1989 von Graffiti-Künstlern genutzt. Obwohl die Mauer inzwischen unter Denkmalschutz steht, wird das Anbringen von Graffiti seit 2014 auch ohne individuelle schriftliche Genehmigung geduldet. Aktuell ist der Mauerpark die größte und bekannteste Hall of Fame (eine legale Sprühfläche) in Berlin und ein beliebter Austragungsort diverser Graffiti-Veranstaltungen.Ort: Mauerpark, Gleimstraße 55, Berlin-Prenzlauer Berg
Interbrigadas – Fassade Mercure Hotel (2009), von verschiedenen Künstlern
Das 2009 fertiggestellte Mural auf einer Hotel-Außenwand im Berliner Bezirk Kreuzberg ist eines der größten Wandbilder Berlins. Entstanden ist es auf Initiative des Berliner Vereins Interbrigadas, der sich seit 2006 für den interkulturellen Austausch zwischen Europa und Lateinamerika engagiert. Im Bild treffen verschiedene kulturelle Strömungen und Stilrichtungen aufeinander. Prominent vertreten sind die von brasilianischen Streetart-Künstlern gerne verwendeten figürlichen Darstellungen. Eine weitere Referenz bildet eine spezielle, ebenfalls in Brasilien entwickelte Graffiti-Typografie, die an Runen erinnernden sogenannten Pichação. Diese an der Schriftkunsttradition orientierten Tags haben in Brasilien ein schlechtes Image, in Europa hingegen gibt es viele Anhänger.
Ort: Mercure Hotel, Luckenwalder Straße 11, 10963 Berlin
Hochhaus am Kottbusser Tor (2012), von Berlin Kidz (Deutschland)
In seiner frühen Form galt Graffiti oftmals als eine Art Extremsport. An diese Tradition knüpft die Berliner Graffiti-Crew Berlin Kidz an, die seit etwa 2010 mit spektakulären Aktionen für großes Aufsehen in der Szene sorgt. Dazu gehört zum Beispiel das Abseilen von Hochhausdächern oder das sogenannte Surfen – gemeint ist das Mitfahren auf den Dächern von S-oder U-Bahn-Waggons. Neben ihren halsbrecherischen Aktionen, die viel akrobatisches Geschick und Mut erfordern, werden Berlin Kidz von der Szene vor allem für ihre Rückbesinnung auf das Politische und Rebellische der Graffiti-Bewegung gelobt. Auch die Graffiti-Kunst der Crew orientiert sich an den US-amerikanischen Anfängen gesprühter Schriftkunst, wobei offenbar Wert darauf gelegt wurde, einen möglichst unverwechselbaren Stil zu kreieren: arabesk anmutende, im Stadtbild fast filigran wirkende Tags in roten und blauen Farbtönen, die sich wie Tattoos an Hauswänden entlangschlängeln.Ort: Kottbusser Tor, Berlin Kreuzberg
Tommy-Weisbecker-Haus (1989), von verschiedenen Künstlern
Die 1989 fertiggestellten Wandbilder am sogenannten Tommy-Weisbecker-Haus in Berlin-Kreuzberg erinnern an die Tradition linker Protestparolen und -symbole in Westberlin Ende der 1960er-Jahre. Das heute weltweit bekannte Peace-Zeichen tauchte als europäischer Vorläufer von Graffiti damals ebenfalls an Hauswänden auf. Auch die Geschichte des Tommy-Weisbecker-Hauses beginnt in dieser Zeit. 1973 wurde es besetzt und von einem selbstverwalteten Wohnkollektiv genutzt, das auch Unterkünfte für Obdachlose anbot. Der Name ist eine Referenz auf den im selben Jahr bei einem Polizeieinsatz getöteten Linksradikalen Thomas (Tommy) Weisbecker. Das Haus galt lange als konspirativer Ort für Linksterrorismus. Anfang der 1980er-Jahre wurde es schließlich als Jugendwohngemeinschaft anerkannt. Motivisch sind die Wandbilder angelehnt an zentrale Elemente linker Denktradition: die Verdummung der Menschen durch die Massenmedien und die Befreiung durch die Rückkehr zum Natürlichen. Neben den sehenswerten politischen Murals dient die linke Seite des Hauses heute auch als Hall of Fame.Ort: Wilhelmstraße 9, Berlin Kreuzberg