Aktuelle Musik aus Deutschland  Popcast #6/2024

Popcast Juni 2024 © Orest SV/Klaus Kaluppke

mit Musik von: 

Stefanie Schrank | Staatsakt
Digitalism | Magnetism Recording Company
F.S. Blumm | Leiter
Marsimoto | BMG
3 Sekunden | ZickZack Records
Autorin und Sprecherin (Deutsch): Angie Portmann

Wir sind geläutert jetzt und wissen, dass nicht alles gut war. So schnell kann uns keiner mehr verführen.

Stefanie Schrank, „Dude, what the fuck…?“

Stefanie Schrank

Stefanie Schrank | © Ansgar Hiller

Stefanie Schrank, dem deutschen Publikum bekannt als bildende Künstlerin und Bassistin der Kölner Band Locas in Love, wendet sich auf ihrem zweiten Album Schlachtrufe BRD einem so schlauen wie minimalistischen Pop zu, der seine Kraft aus der Ruhe schöpft. Punkrock ist aber der Nährboden der mal persönlichen, mal politischen Songperlen der Sängerin. Der Titel des Albums ist dem Titel eines Samplers mit deutschen Hardcore- und Punkrock-Stücken aus dem Jahr 1990 entnommen, deren Songauswahl so radikal war, dass sie dem deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine Warnung wegen gewaltverherrlichender Texte wert war. Das war die beste Werbung: die Reihe besitzt inzwischen Kultstatus.
 

Ganz besondere Freude werden Fans analoger Synthesizer an dem Album haben. Sie dominieren durchweg und erhalten auch Platz für einige Instrumentalstücke, die zu den stärksten Momenten des leider recht kurzen Albums gehören.
 

You, Me, We, Baby

Digitalism, „Magnets“

Digitalism

Digitalism | © Oliver Vonberg

Beim Plattenkaufen lernten sich Jens Moelle und İsmail Tüfekçi einst in Hamburg kennen, stellten Übereinstimmungen in ihren musikalischen Präferenzen fest und gründeten ihr gemeinsames Musikprojekt Digitalism. Musikalisch beeinflusst von Philippe Zdar (Cassius), einem der zentralen Figuren des französischen Dance-Undergrounds der 90er Jahre unterschrieben sie einen Vertrag beim französischen Label Kitsuné und gehörten, wie auch Justice, LCD Sound System oder Rapture, fortan zu den in den späten Nullerjahren äußerst populären Indie-Dancegruppen, mit knalliger Bassdrum (es heißt, es handele sich um buchstäblich Dutzende übereinander gelegter Sounds) und glasklaren Synthesizer-Sequenzen. Ihr Debut-Album Idealism aus dem Jahre 2007 erscheint jetzt als erweiterte „Anniversary Edition“ unter dem Namen Idealism Forever.
 
F.S.Blumm

F.S.Blumm | © Daniel Holström

I was looking for beauty. Of course, (…) beauty can be shallow, and it’s somehow easier to use the language of conflict. (...) But I was sick of conflict. I longed for peace.

F.S. Blumm über sein Album „Torre“

Mit größtmöglichem Kontrast geht es weiter im Popcast dieses Monats, und zwar mit Frank Schültge aka F.S.Blumm. Schon seit 1998 ist der klassisch ausgebildete Gitarrist als endlos kreativer Solokünstler in Deutschlands musikalischem Untergrund unterwegs, und blickt auf Dutzende von Kollaborationen zurück, unter anderem mit dem Multiinstrumentalisten Harald „Sack“ Ziegler und dem international bekannten Pianisten Nils Frahm, auf dessen Label Leiter dieses neue Album erschienen ist. Die Gitarren hat F.S. Blumm in der italienischen Riviera „in die schweigenden Lücken zwischen Glockengeläut der Dorfkirche und dem Bellen der Hunde“ aufgenommen, Bass/Kontrabass, diverse Keyboards, Stimmen und Melodica hinzugefügt und sich schließlich für die 13 sich jeder Kategorisierung entziehenden Stücke auf Torre Unterstützung von Cellistin Anne Müller und Klarinettist Michael Thieke geholt.
 
Marsimoto

Marsimoto | © Luis Engels

Der als Jugendlicher als Fußballer und später als Model (Diesel, Hugo Boss) erfolgreiche Marten Laciny aka Marteria verabschiedet sich mit seinem sechsten Album Keine Intelligenz von seinem ständig bekifften, frei assoziierenden und mit hochgepitchter Stimme rappenden Alter Ego Marsimoto. Der leicht durchgeknallte Marsimoto diente Marteria, der zu den erfolgreichsten deutschen Rappern zählt, zunächst als Hommage an Quasimoto, das Alter Ego des US-Rappers Madlib, verselbstständigte sich dann aber in ein vernebeltes Seitenprojekt, in der Experimentierfreude die musikalische und inhaltliche Vernunft verdrängen konnte. Doch Marsimoto ist mehr als nur ein bedröhnter Troll, seine ungewöhnlichen Reime sind beißende Kommentare zum Zeitgeschehen, die einem maskierten Hofnarr einfach leichter fallen als einem Popstar wie Marteria.

 
3 Sekunden

3 Sekunden | © Reiner Sladek/Lenz Lehmair


Reiner Sladek und Lenz Lehmair, Mitglieder des Münchner Elektronikduos 3 Sekunden, haben auf dem legendären Hamburger Indielabel Zickzack ein Album veröffentlicht, das an die düstere Elektronik der frühen 90er Jahre erinnert. In einer von übersteuerten und verstimmten, stets puckernden Analog-Synthesizern geschaffenen bedrohlichen Atmosphäre gestaltet Lenz Lehmair das passende Klangbett zu Reiner Sladeks mal eher gesprochenem, mal sanft intonierten Bariton. Der deutsche Frühling, gespeist aus dem Nachhall von DAF und Suicide, ist im besten Sinne theatralisch und verstörend, ohne dabei wie eine dunkle Kopie dessen zu klingen, was man früher mal EBM genannt hat.