Aktuelle Musik aus Deutschland  Popcast #11/2024

Popcast 11/2024 @ Nikolas Petros Androbik

Mit Musik von: 

Isolation Berlin | Vertigo Berlin
Andreya Casablanca | Mansions & Millions
Ebow | Garip Werkstätten
G.Rag & die Landlergschwister | Gutfeeling Records
Salomea | Papercup Records
Autorin und Sprecherin (Deutsch): Angie Portmann

 
Es gibt Millionen von uns
Doch wir fühlen uns allein
Isolation Berlin „Ratte“

Isolation Berlin © Noel Richter

Düster beginnt der Popcast im November, passend zur allgemeinen Großwetterlage im deutschen Herbst. Sich überlagernde Bilder in schwarz-weiß, nächtliche, regennasse, menschenleere Straßen, junge, finster dreinblickende Männer, allein und in schwarz, ein fast gerufener Gesang aus selbstkritischen, halbironischen Phrasen, der postpunk-typische knarzige gerade Bass und ein leicht verstimmter Synthie, der gelangweilt vor sich hinömmelt: Isolation Berlin schrecken nicht gerade vor Klischees zurück, wie man eigentlich schon aus dem Bandnamen ableiten kann. Auf ihrem mittlerweile sechsten Album Electronic Babies, dem ersten für ein Major-Label, beweisen sie aber einmal mehr ihre Treffsicherheit im Komponieren nihilistischer Hymnen und ihr tolles musikalisches Gespür für die kleinen Details im Arrangement, wie clever ausgedachte Gitarreneinwürfe, plötzlich polternde Percussion, und immer mal wieder subtile und äußerst effektvolle Elektronik.

Andreya Casablanca © Suzanne de Carrasco

Wer erinnert sich noch an das fantastische Duo Gurr? Dann haben Sie einen Vorsprung, denn in diesem Popcast stellen wir Andreya Casablanca vor, eine der beiden Mitglieder. Auf ihrem ersten Soloalbum See More Glass entfesselt sie ihre innere New Wave Icone, mit cool-distanzierten Vocals, Linn Drums und minimalistischer Post-Punk-Gitarre. Das Ergebnis ist melodiöser, griffiger, leicht garagiger Gitarrenpop, zeitlos und hitverdächtig. Nur eine kleine Handvoll von Gastmusikanten durfte sie bei der Aufnahme begleiten; das Gros der Aufnahmen erledigte die Künstlerin tatsächlich selbst.

Ebow © Nikolas Petros Androbik

Die Berlinerin Ebru Düzgün ist seit ihrem Debutalbum im Jahre 2017 bekannt als Ebow, Sängern und Rapperin zwischen HipHop, R&B und Pop. Ganz abgesehen von der in dem Genre nicht immer selbstverständlichen Qualität der Produktion, den liebevollen Arrangements voll glitzernder Synthiesprengseln, dem brillianten Gesang und den tightesten Raps seit Cora E. begibt sich die studierte Architektin inhaltlich und textlich auf ein ganz neues Level. FC Chaya (ein Jugendwort, dass je nach Kontext eine entweder hübsche oder hochnäsige junge Frau bezeichnet) ist ein Manifest des queeren Feminismus, ein selbstbewusstes Werk einer Frau auf der Mission des Empowerments, in dessen Mittelpunkt die eigene, Ebrus Story steht, in der sie ihre eigene Queerwerdung von den ersten Gefühlen des Andersseins bis zum Umzug in eine andere Stadt und letztendlich der Akzeptanz ihrer Familie für alle die beschreibt, die einen ähnlichen Weg vielleicht noch vor sich haben.

G. Rag & die Landlergschwister © Armin Smailovich

Ganz anders, aber durchaus subversiv geht es da bei G. Rag & die Landlergeschwister zu. Der Münchner Plattenladenbesitzer Andreas Staebler aka G. Rag hat einen wilden Haufen Blasmusiker*innen um sich versammelt, es sind manchmal bis zu 16 Personen, die bekannte Songs, aber auch Volkslieder in äußerst schmissiger Weise in Blasmusik verwandeln. Bekannt durch ihre früheren Versionen von Kraftwerks Das Modell oder DAFs Der Räuber und der Prinz, haben sie in diesem Herbst sogar einige Bierzelte gerockt, um die traditionelle bayerische Bläsermusik von ihrem Ruf des Altbackenen zu befreien. Dabei finden sich immer wieder Songs vom großen Hank Williams ihren Weg in das eklektische Repertoire. Die oft melancholischen Töne der Truppe haben eine enorme Energie, wirken stets modern und zeigen erfrischenderweise keinerlei Berührungsängste mit benachbarten Genres wie Pop oder Jazz: traditionelle Blasmusik für bessere Zeiten, wie sie es selbst in ihrem Info beschreiben!

Salomea © Linghuan Zhang


Aus Köln kommt das elektronische Soul/Jazzquintett Salomea, die sich trotz ihrer tiefenentspannten Grundhaltung auch in Pop und HipHop beheimatet fühlen. Das klingt zunächst recht konventionell, aber die Band umschifft geschickt die Klippe der Beliebigkeit und versteckt in den meisten der immerhin 17 Songs und Skits, von denen kaum einer länger als drei Minuten lang ist, kleine Experimente, genresprengende Sprengsel und überraschende Sounds. Von technischer Kompetenz der Instrumentalisten und der dem Projekt ihren Namen gebenden Sängerin mal ganz abgesehen, ist Good Life vor allem ein angenehmes, kraftvolles Kunstwerk voll positiver Energie.

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