Bedingungsloses Grundeinkommen  Was aktuelle Experimente wirklich zeigen – und was nicht

Ein Bild mit einem Eierpaket, einem Holzhaus und einer Hand, die eine Zwei-Euro-Münze hält
Bedigungsloses Grundeinkommen © Ricardo Roa

Was würde passieren, wenn jede*r Bürger*in 1.000 Euro monatlich aufs Konto bekommt – ohne dafür zu arbeiten? Im Interview spricht Soziologe Malte Neuwinger über die überraschenden Ergebnisse aktueller Experimente, räumt mit Mythen auf und erklärt, warum wir die tatsächlichen Auswirkungen eines Grundeinkommens erst verstehen werden, wenn es eines Tages Realität wird. 

Herr Neuwinger, das Wort „bedingungslos“ begegnet uns vor allem in zwei sehr emotionalen Kontexten: der Liebe und dem Grundeinkommen. Polarisiert die Idee des „bedingungslosen Grundeinkommens“ vielleicht deshalb so stark?

Da ist definitiv etwas dran. Das Konzept klingt für viele Menschen genauso attraktiv wie die Idee von bedingungsloser Liebe. Und genauso, wie wir uns diese Liebe wünschen, wirkt auch das Grundeinkommen verlockend. Doch egal, welche Ergebnisse wissenschaftliche Studien liefern, viele Befürworter*innen halten aus Prinzip daran fest, während Gegner*innen nicht überzeugt sind.

Um ganz von vorne anzufangen: Was genau ist das bedingungslose Grundeinkommen?

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens besagt, dass jeder vom Staat bedingungslos Geld erhält, ohne etwas dafür machen zu müssen.

Schlecht klingt die Idee ja nicht… Was ist die große Hoffnung der Befürworter*innen?

Die größte Hoffnung liegt darin, das Einkommen von der Arbeit zu entkoppeln. Es wäre egal, ob jemand arbeitet oder nicht. Damit wird das Leistungsprinzip infrage gestellt – unsere gesellschaftlich weitverbreitete Überzeugung, dass Ressourcen nach „Leistung“ verteilt werden sollten und dass diese Leistung hauptsächlich in Lohnarbeit besteht.

Ein häufiges Argument der Kritiker*innen lautet, dass die Menschen einfach die Füße hochlegen und aufhören würden zu arbeiten, sobald sie das Grundeinkommen erhalten.

Das „Füße hochlegen“ ist sicherlich das moralisch schwierigste Argument für viele. Man kann verstehen, warum das so stark aufstößt – da sind wir wieder beim Leistungsprinzip. Empirisch betrachtet ist es allerdings ein Mythos, dass sich die Leute einfach auf den Hosenboden setzen. Zahlreiche Studien, die bis zu 50 Jahre zurückreichen, zeigen immer wieder ähnliche Ergebnisse: Die Menschen hören nicht auf zu arbeiten.

Gibt es ein Missverständnis zum bedingungslosen Grundeinkommen, das Sie besonders ärgert?

Mich stört, dass oft von unzähligen Modellen die Rede ist – mal von 2.000 Euro, mal von 1.500 Euro pro Monat. Diese Vielfalt verwässert die Debatte, weil man sich nie auf ein konkretes Modell festlegt und immer auf Alternativen verweist. Man hört ständig: „Je nach Annahme könnte das Grundeinkommen großartig oder katastrophal sein.“ Diese Unschärfe erschwert eine fundierte Diskussion enorm.

Trägt diese Unschärfe dazu bei, dass das Grundeinkommen in den Medien so unterschiedlich dargestellt wird?

Absolut. Oft wirkt es wie ein politischer Rorschachtest: Die Berichterstattung verrät häufig mehr über die Position der Journalist*innen als über das Grundeinkommen selbst.

Es gibt bereits einige Studien zum bedingungslosen Grundeinkommen. Eine davon ist die von OpenAi-CEO Sam Altman finanzierte Studie des Forschungsprojektes OpenResearch. Was hat sich zum Beispiel dort herausgestellt?

Hierbei handelt es sich um eine randomisierte, kontrollierte Studie – ähnlich wie bei Medikamententests. In diesem Fall erhalten 1.000 Personen im Alter von 21 bis 40 Jahren monatlich 1.000 Euro. Eine andere, größere Gruppe erhält lediglich 50 Euro pro Monat. Das Experiment läuft über mehrere Jahre und die Forscher*innen untersuchen, was mit den Teilnehmer*innen passiert: Wie verändert sich ihre Gesundheit, ihr Arbeitsverhalten, und wie verwenden sie das Geld?

Welches Ergebnis dieser Studie hat sie beeindruckt?

Bemerkenswert ist, wie überraschend gering die gemessenen Auswirkungen sind. Menschen, die ein Grundeinkommen erhalten, arbeiten nur um 1,4 Stunden pro Woche weniger als diejenigen ohne diese Unterstützung. Das ist praktisch nur eine zusätzliche längere Kaffeepause pro Tag! Noch faszinierender ist die Beobachtung, dass einige dieser Effekte mit der Zeit verschwinden. Nach drei Jahren scheinen die Menschen fast vergessen zu haben, dass sie überhaupt ein Grundeinkommen beziehen – es ist zu ihrer neuen Normalität geworden.

In Ihrer Forschung betrachten Sie Studien rund um das bedingungslose Grundeinkommen mit kritischem Blick. Was sind dabei für Sie die wichtigsten Punkte?

Die meisten Studien fokussieren sich aus pragmatischen Gründen auf bestimmte Bevölkerungsgruppen, oft auf ärmere Menschen, weil dort die Effekte eines Grundeinkommens am stärksten sichtbar sind. Das ist nachvollziehbar, widerspricht aber der eigentlichen Idee des bedingungslosen Grundeinkommens, das ja für alle gedacht ist. Außerdem geben finanzielle Beschränkungen vor, wie viele Menschen überhaupt an solchen Experimenten teilnehmen können. Über mehrere Jahre hinweg summieren sich 1.000 Euro pro Teilnehmer*in schnell zu Millionenbeträgen. Ein weiterer kritischer Punkt: Wenn nur ich ein Grundeinkommen erhalte, aber niemand sonst in meiner Umgebung, entsteht eine ganz andere Dynamik, als wenn das gesamte Umfeld davon profitiert.

Inwiefern macht es einen Unterschied, ob nur ich das Grundeinkommen erhalte oder auch alle Menschen um mich herum?

Es könnte Neid entstehen, und das Umfeld spielt auch ökonomisch eine Rolle. Wenn alle mehr Geld hätten, würde das die Wirtschaft stärker beeinflussen. Das sind makroökonomische Auswirkungen, die in solchen Studien kaum getestet werden können. Insgesamt könnten wir viel mehr lernen, wenn wir diese Versuche in so vielen unterschiedlichen Umfeldern und Ländern wie möglich durchführen.

Nun die Frage aller Fragen: Wird das bedingungslose Grundeinkommen bald für uns Realität? Können diese wissenschaftlichen Ergebnisse tatsächlich ein Umdenken in der Politik bewirken?

Ich halte das für naiv, auch wenn es natürlich eine schöne Vorstellung ist. Wirklich verstehen, was das bedingungslose Grundeinkommen bewirken kann, werden wir erst, wenn es tatsächlich umgesetzt wird. Alles andere, so wertvoll die Experimente auch sind, lehrt uns letztlich vor allem etwas über menschliches Verhalten. Zum Beispiel, dass wir uns schnell daran gewöhnen würden, 1.000 Euro im Monat bedingungslos aufs Konto zu bekommen.

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