Zuviel Knast!  All In!

Hände greifen aus einer Gefängniszelle heraus.
Die Privatisierung der Gefängnisse und das große Geschäft © Colorbox / Bildbearbeitung Goethe-Institut Los Angeles

Wenig Personal, viel Gewalt und Gebühren für Klopapier: Die Privatisierung der Knäste in den USA macht aus Gefangenen ein großes Geschäft.

Wilkes-Barre ist eine verschlafene Kleinstadt am Susquehanna River in Pennsylvania. Früher florierte die Gegend wegen des Kohleabbaus. Heute ist hier nicht mehr viel los. Trotzdem hatte es die Stadt in den Nullerjahren noch mal in die Schlagzeilen geschafft – mit einer der höchsten Raten an Teenagern, die eine Jugendstrafe absaßen. Woran das genau lag, konnte man sich zunächst nicht erklären. Bis im Jahr 2008 klar wurde: Man musste nur den Geldströmen folgen, um zu verstehen, dass hier weniger eine Verrohung der Jugend im Gange war, als vielmehr das unschlagbare Gesetz der freien Marktwirtschaft. Es ging um viel Geld, genauer gesagt um 2,6 Millionen Dollar, die zwei Richtern dafür gezahlt wurden, dass sie einem privaten Gefängnisbetreiber mit dem fürsorglichen Namen PA Child Care möglichst viele Teenager zum Wegsperren zuwiesen. Und so landeten diese nach drei, vier Minuten richterlicher Anhörung wegen kleinster Vergehen im Jugendknast. Jeder einzelne von ihnen war für die Betreiber ein richtig gutes Geschäft. Finanziert mit Steuergeldern.

Kids for cash 

Getauft wurde dieser Justizskandal später passenderweise auf den Namen: Kids for Cash. Der Fall zeigt, was passieren kann, wenn der Strafvollzug zu einer Multimilliarden-Dollar-Industrie wird. Wenn Menschen Geld damit verdienen, dass so viele andere Menschen wie möglich in den Bau gehen. Sie werden erfinderisch und gierig. Ohne Rücksicht auf Verluste. Capitalism bites back. Und in Städten wie Wilkes-Barre frisst er buchstäblich Kinder.

In Amerika sind Knäste Big Business. Knapp 100.000 Menschen saßen nach Zahlen des US-Justizministeriums 2020 in Gefängnissen, die durch private Unternehmen betrieben werden. Kassiert wird für diese Dienstleistung ein vertraglich ausgehandeltes Entgelt: Meist zahlen Staat oder Gemeinden pro Tag und Insasse. Umso mehr eingebuchtet werden, desto besser. In Oklahoma zum Beispiel werden beim Staat im Schnitt 45,77 Dollar pro Kopf und Tag abgerechnet. Bei einem Knast wie der Lawton Correctional Facility mit knapp 2.700 Häftlingen macht das mehr als 45 Millionen Dollar im Jahr.

Von der Ost- bis zur Westküste in den USA gibt es tausende spezialisierte Anbieter, die von der massenhaften und eben auch rassistisch geprägten Kriminalisierung und Inhaftierung profitieren. Die beiden größten Player werden an der New Yorker Börse gehandelt: CoreCivic und GEO Group sind international agierende Großkonzerne, die den Löwenanteil allerdings in den USA verdienen. Corecivic allein meldete im Jahr 2020 Einnahmen in Höhe von 1,9 Milliarden Dollar – 82 Prozent davon aus dem Betrieb von privaten Haftanstalten.

Privatknäste gibt es in 26 der 50 Bundesstaaten

Die meisten liegen im sogenannten Bible und Sun Belt im Süden des Landes. Dort, wo es mitunter sehr konservativ und hinterwäldlerisch wird.
Etwas mehr als acht Prozent aller US-Häftlinge sitzen in privaten Einrichtungen ein. Das klingt erstmal wenig. Und auch in anderen Ländern gibt es privaten Strafvollzug. In Großbritannien ist der Anteil sogar höher. Der große Unterschied ist die schiere Masse der Insassen: In Bundes-, Staats- und Bezirksgefängnissen, Jugendbesserungsanstalten, Immigrantenlagern, geschlossenen Psychiatrien und Militärgefängnissen sitzen fast zwei Millionen Menschen. Das ist fast ein Fünftel aller Häftlinge weltweit.

Die Versorgung so vieler Menschen kostet Geld. Sehr viel Geld. Daten des Büros für Justizstatistiken zufolge jedes Jahr fast 81Milliarden Dollar. Und genau da kommen private Anbieter ins Spiel. Das vermeintliche Argument: Sie arbeiten mit be­triebswirtschaftlicher Effizienz und deshalb kostengünstiger als die öf­fentliche Hand.

Dass das aus vielerlei Gründen mehr als problematisch ist, darauf weisen Bürgerrechtsorganisationen, Aktivisten und Journalisten seit Jahrzehnten hin. Und immer wieder werden Skandale aufgedeckt, die davon erzählen, wie kaputt und unmenschlich das System der Gewinnmaximierung in der Realität ist. Die Journalistin Mia Armstrong-López recherchiert seit Jahren zu Themen der US-Strafjustiz. Sie sagt, das Problem sei, dass es nicht damit getan sei, die Privatknäste wieder abzuschaffen. Private Dienstleister verdienen auch am öffentlichen Strafvollzug mit. „Viele öffentliche Gefängnisse lagern eine ganze Reihe von Dienstleistungen aus: Sachen wie Gesundheitsversorgung, Verpflegung, Transport, Finanzen und Kommunikation, um nur ein paar zu nennen. Und sie verdienen viel Geld mit Resozialisierungsprogrammen und elektronischen Fußfesseln. Die Verwicklung mit dem privaten Sektor ist viel komplizierter als auf dem ersten Blick gedacht“, so Armstrong-López.

Der War on Drugs ist eigentlich gar kein Krieg – er ist ein Business!

Jerry Brown / Ehemaliger Gouverneur von Kalifornien

Angefangen hat es in den Achtzigern, als der damalige US-Präsident Ronald Reagan den War on Drugs ausrief und die Inhaftierungszahlen innerhalb kürzester Zeit so explodierten, dass der Staat nicht mehr hinterherkam, seine Bürger wegzusperren. Der unablässige Strom an Häftlingen drohte das System zu sprengen. Zum Glück nahmen sich ein paar schlaue Business-Leute des Problems an. Wie der Politiker Jerry Brown mal gesagt hat: Der War on Drugs ist eigentlich gar kein Krieg – er ist ein Business!

Der erste private Knast wurde 1984 von CoreCivic (bis zum Rebranding 2016: CCA – Corrections Corporation of America) in Tennessee eröffnet. Es war die Geburtsstunde der modernen, profitorientierten Gefängnisindustrie. Das Geschäft lief so gut, dass noch bis vor wenigen Jahren alle großen amerikanischen Banken von Wells Fargo bis JPMorgan Chase, aber auch Mischkonzerte wie General Electric oder Amazon mit großen Investments beteiligt waren. Allerdings ändert sich das gerade. In den letzten drei Jahren gaben viele ihren Ausstieg bekannt – auch aus Furcht vor einem schlechten Image.

In den vergangenen Jahren wurde immer klarer, was in Privatknästen schiefläuft

Weil an allen Ecken und Enden gespart wird, herrschen miserable Bedingungen, die sich oft schwer überprüfen lassen. Die Unternehmen lassen so gut wie niemanden in ihre Gefängnisse. Und sind auch nicht auskunftsfreudig. Von keiner der fünf für diesen Text angefragten Einrichtungen kam eine Antwort. Wie der Alltag im Knast aussieht, davon soll nichts nach außen dringen. Gespart wird nämlich nicht nur an den Gefangenen, sondern auch am Personal: Es gibt zu wenig davon, die Bezahlung ist schlecht, die Schulung oft unzureichend.

Neun Dollar pro Stunde bekam Shane Bauer, als er 2014 in einem CoreCivic-Knast anheuerte. 12-Stunden-Schichten, keine bezahlten Krankheitstage. Als Undercover-Reporter filmte er heimlich und schrieb später darüber, was er in vier Monaten als Wärter im Winn Correctional Center in Winnfield, Louisiana erlebt hatte. Unterirdische Sicherheitsstandards, psychisch komplett gebrochene Gefangene, sexuelle Übergriffe, Messerstechereien. Das Personal wurde unterwiesen, bei Gewalt unter Gefangenen niemals einzugreifen.176 Insassen kommen auf einen Wärter. Einem Häftling mussten wegen unbehandeltem Wundbrand Beine und Finger amputiert werden. Die Gefängnisleitung hatte sich geweigert, ihn rechtzeitig in ein Krankenhaus zu bringen. Jede Einweisung kostet das Unternehmen Geld, weshalb Gefangene mit Vorerkrankung oft gar nicht erst angenommen werden. Die sollen lieber in den öffentlichen Knast. Zudem werden den Häftlingen Klopapier und Zahnpasta berechnet, die der Staat dem privaten Betreiber kostenlos zur Verfügung stellt.

Ein neues Geschäft

Bestätigt wurden die Undercover-Recherchen 2016 in einem offiziellen Untersuchungsbericht des US-Justizministeriums. Das Urteil: Privatknäste sind weniger gut gesichert, gefährlicher für die Insassen und repressiver in der Betreuung. Und nach und nach wird zudem klar: So viel billiger wie gedacht sind sie gar nicht. Dafür sorgen gefälschte Abrechnungen und die Tatsache, dass Häftlinge im Schnitt länger einsitzen als in öffentlichen Anstalten.
Präsident Barack Obama verhängte deshalb noch im selben Jahr einen Stopp für Vertragsverlängerungen mit privaten Betreibern, allerdings ohne Auswirkung auf die Verträge der einzelnen Staaten. Doch während Trumps Amtszeit entdeckten die privaten Anbieter ein neues Geschäft: Die Zahl der Internierungslager, die die US-Immigrationsbehörde plötzlich für die dokumentierten Immigranten eingerichtet habe, sei in die Höhe geschossen, sagt Isra Chaker, die für die amerikanische Bürgerrechtsorganisation ACLU arbeitet. Unter Trump landeten viele Millionen Steuergelder in diesen Einrichtungen, die zu 80 Prozent in privater Hand sind. Auch wenn sich mit Biden die Zahl wieder halbiert hat, saßen 2021 immer noch 25.000 Menschen in solchen Lagern.

Die Berichte über die Bedingungen vor Ort seien erschüttert, sagt Isra Chaker. „Mehrere Staaten wie New Jersey und Illinois haben deshalb bereits Gesetze verabschiedet, die die Immigrationslager verbieten.“ Trotzdem machen GEO Group und CoreCivic damit in den letzten Jahren mehr als ein Viertel ihrer Einnahmen. Wie kompliziert das Ringen um Privatknäste ist, zeigt die Situation in Kalifornien. Dort wollte man sie endlich loswerden und verabschiedete im Jahr 2019 ein entsprechendes Gesetz. Doch GEO Group verklagte die Gesetzgeber, unter anderem weil das Unternehmen gerade mit der Trump-Regierung einen 15-Jahresvertrag für mehrere Immigrantenlager in Kalifornien unterschrieben hatte. Und die sind Angelegenheit des Bundes, nicht des Staates. Der Rechtsstreit dauert immer noch an. Letzter Stand: Im September stimmte ein Bundesberufungsgericht der Klage vorerst zu. Die privaten Staatsgefängnisse sind zwar leer, die Immigrantenlager aber müssen vorerst bleiben.

Die privaten Player haben eh schon angefangen, an ganz anderen Stellen zu graben: Das kalifonische Verbot sieht nämlich großzügige Ausnahmen für sogenannte „Community Correction”-Programme vor: Beratungsstellen, Rehabilitierungszentren und psychiatrische Einrichtungen für ehemalige Gefangene. Es ist ein Geschäft im Wert von 200 Millionen Dollar pro Jahr.


Erstveröffentlichung: Dummy Magazin, Heft #77, Winter 2022, Thema: Privat.
Danke
Dummy Magazin für die freundliche Genehmigung der Übernahme!
 

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