„Umsonst“ und „Laden“ – ist das ein Widerspruch? In den rund 25 Umsonstläden in Deutschland nicht: Hier gibt es Second-Hand-Shopping zum Nulltarif. In der Praxis ist das bunt, demokratisch und sehr nachhaltig.
Eine wie sie fällt auf hier, am Stadtrand der beschaulichen Hansestadt Greifswald: Ihr Outfit ist bunt, irgendwie Punk, irgendwie Vintage, ein bisschen wie Vivienne Westwood. Zu ihren Füßen steht eine pralle Einkaufstasche mit noch mehr bunten Klamotten. Sie lächelt das zufriedene Lächeln einer erfolgreichen Schnäppchenjägerin. Der Inhalt ihrer Tüte ist allerdings mehr als nur ein Schnäppchen: Er ist geschenkt. Zum Nulltarif erworben im Greifswalder Umsonstladen.
Von A wie Anorak bis Z wie Zinnbecher
In Deutschland gibt es etwa 25 solcher Läden, die eine besondere Form des Second-Hand-Ladens sind. Denn hier wird nichts verkauft, sondern alles darf kostenlos mitgenommen werden. Von A wie Anorak bis Z wie Zinnbecher gibt es fast nichts, was ein Umsonstladen nicht im Angebot hat: Kleidung, Schuhe, Bücher, Kinderspiele, Gläser und Geschirr, sogar Weihnachtsdeko und kleine Kunstwerke. Was die einen verschenken möchten, können die anderen noch gebrauchen.
Dieses einfache Konzept hilft den Armen, die in unserer Gesellschaft immer mehr werden. Es ist aber auch eine gute Möglichkeit, um Nachhaltigkeit in den Alltag zu integrieren. Immer mehr Menschen möchten gezielt recyceln, tauschen oder teilen und auf diese Weise weniger konsumieren. Warum ganze Gebirge von Kleidung unter menschenunwürdigen Bedingungen neu produzieren, wenn doch schon alles da ist, was wir brauchen? Wieso getragene Kleidung auf Deponien verbrennen, statt sie weiter zu nutzen?
Umsonst-Ökonomie gefragter denn je
Im Greifswalder Umsonstladen hängen die Kleiderständer voll. In einer Zeit, in der wir tagtäglich über unsere Ressourcen nachdenken müssen, ist das Konzept der Umsonst-Ökonomie aktueller denn je. „Wir haben zurzeit einen so großen Zuspruch, dass wir oft nur eine bestimmte Menge von Menschen auf einmal in den Laden lassen können, damit alle Platz haben“, berichtet die Vorstandsvorsitzende Victoria Oertel, die bereits in Berlin in Umsonstläden gearbeitet hat. Die Hinweisschilder im Raum sind mehrsprachig: deutsch, englisch, ukrainisch. Und das nicht ohne Grund, denn der Krieg gegen die Ukraine hat viele Flüchtende auch nach Greifswald geführt.
Den Trubel im Laden dirigiert ein etwa 12-köpfiges Team aus freiwilligen Helfer*innen, denn der Greifswalder Umsonstladen ist ausschließlich ehrenamtlich organisiert. Victoria Oertel etwa arbeitet ansonsten als Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Fachbereichs Philosophie an der Greifswalder Universität. Im Laden beraten die Helfer*innen, überwinden Sprachbarrieren, sorgen für Ordnung, aber auch für wertschätzenden Umgang.
Im Umsonstladen sind alle gleich
In den Laden kommen darf, wer möchte: Im Gegensatz zu Organisationen wie „Die Tafel“ oder der Kleiderkammer des Deutschen Roten Kreuz braucht man hier keine Bedürftigkeitsnachweise. „Das ist ein formaler Unterschied aber auch ein emotionaler: Unsere Besucher*innen kommen als Nutzende, nicht als Bedürftige. Das ist ermächtigend und selbstbestimmt und ermöglicht ihnen Teilhabe.“
Soziale und gesellschaftliche Bedingungen sind im Umsonstladen nebensächlich. Arbeitende und Arbeitslose, Kinder und Rentner*innen, Studierende und Schüler*innen stöbern Seite an Seite im Sortiment. „Elektronik könnte etwas mehr sein, und Kochtöpfe“, beurteilen die Mitarbeiter*innen das Angebot. „Wenn wir Kochtöpfe bekommen, sind sie sofort wieder vergriffen.“ Bei dem, was jemand mitnehmen möchte, gibt es nämlich keine Obergrenze. Ein freundlicher Hinweis auf der Website des Ladens bittet lediglich um „Augenmaß“. Und um Spenden, denn Miete und Nebenkosten für den Laden sind nicht umsonst: Alle Ausgaben werden ausschließlich über freiwillige Beiträge finanziert.
Die Kinderecke im Umsonstladen Greifswald
Internationale Bewegung des Weitergebens
Das Konzept des Umsonstladens gibt es auch im digitalen Format, zum Beispiel vom Verschenknetzwerk Freecycle.org. Dessen weltweit fast 11 Millionen Mitglieder möchten eine internationale Bewegung des Weitergebens aufbauen, um Abfall zu reduzieren und Ressourcen zu sparen. Nach einer kostenlosen Registrierung können Benutzer*innen sich einer Stadt zuordnen und ihre Umsonst-Ware dort gezielt inserieren oder selber „shoppen“. Ähnlich funktioniert die App des US-amerikanischen Buynothing-Projekts.
Das Prinzip: was der eine nicht mehr schätzt, kann für andere zum Schatz werden. Es komme tatsächlich vor, dass jemand unwissentlich etwas Wertvolles abgebe und jemand anderes es ebenso unwissentlich mitnehme, weiß Oertel aus der Praxis. Über solche Besitzwechsel freut sie sich natürlich. „Besonders beeindruckt mich aber, wenn uns Menschen ihre Musikinstrumente überlassen. Das ist dann eine sehr persönliche Gabe.“ Und ihre Mitarbeiterin fügt hinzu: „Jedes Ding hier im Laden erzählt eine Geschichte.“
Juli 2023