Rosinenpicker  Endlich daheim

Haas: Eigentum © Hanser / Canva

In seinem neuen Roman erzählt Wolf Haas von einem tragikomischen Mutterleben und schickt schöne Grüße ins Jenseits.

Buchcover: Haas: Eigentum © Hanser Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Mutter des Schriftstellers Wolf Haas das Lied Eigentumswohnung von der Berliner Sängerin Christiane Rösinger kannte. Doch es hätte ihr vielleicht gefallen. Die Zeilen „zur eigenen Nervenschonung und zur ständigen Naherholung kriegen wir jetzt eine Eigentumswohnung“ hätten wohl auch für sie gegolten, denn ihr arbeitsreiches Mutterleben lang hegte sie einen unerfüllten Wunsch: den nach Eigentum.

Der für seine Krimis um den Privatdetektiv Simon Brenner bekannte Haas hat nun mit dem Roman Eigentum einen literarischen Nachruf auf seine 2018 verstorbene Mutter geschrieben. Darin ist die Mutter des Ich-Erzählers fast 95 Jahre alt, nurmehr „ein sehr dünnes Vogerl“ und liegt im Sterben.

Drei Tage vor ihrem Tod bittet sie ihren Sohn, ihre Eltern und Verwandten anzurufen und ihnen auszurichten, dass es ihr gut gehe. Das macht den Sohn fassungslos: „Mein ganzes Leben lang hat mir meine Mutter weisgemacht, dass es ihr schlecht ging… Es muss ein Irrtum vorliegen.“ Nach kurzem Abwägen, ob eine kleine Lüge moralisch vertretbar sei, kommt er zu dem Schluss, dass er ihr kein blödes Märchen auftischen sollte. Doch dann kann er es sich doch nicht verkneifen: „Ich hab angerufen… Liebe Grüße von allen, es geht ihnen auch gut. Nur dein Vater hat einen Schnupfen. Aber er ist schon auf dem Weg der Besserung.“ Er bereut diesen Spaß sofort, denn am Schnupfen des schon lange verstorbenen Großvaters und der nachgeschobenen Floskel entspinnt sich eine längere Konversation, die nicht nur zum Sprachphilosophen Wittgenstein führt, sondern auch zu dem Wunsch des Sohnes, genau diese Floskel als eigene Grabinschrift festzulegen „BIN AUF DEM WEG DER BESSERUNG.“

Kann man vom Leben schreiben?

Statt einer Grabrede will der Sohn einen Roman über seine Mutter schreiben. Er liefert sich dabei einen Wettlauf mit dem Tod, denn das Buch soll fertig sein, bevor seine Mutter das Zeitliche segnet. Was er los sein will, ist „die Erinnerung und alles“. Zudem muss er eigentlich eine Poetikvorlesung vorbereiten, weiß aber noch nicht, was er seinem Publikum erzählen soll. Immerhin, den Titel der Vorlesung hat er schon: „Kann man vom Leben schreiben?“. Ein guter Titel sei die halbe Miete.

Das Altenheim, in dem die Mutter vor sich hinvegetiert, war früher das Geburtskrankenhaus, in dem der Sohn und sein Bruder zur Welt kamen. Ein Kreis schließt sich, der demografische Wandel wirkt sich auch auf die Gebäude aus. Ein Hang zum Morbiden war im Leben des Sohnes bereits früh angelegt, so erinnert er sich an die Kindheitswohnung mit Blick auf den Friedhof, wo er am liebsten den Totengräber beobachtete.

Kunst der Wiederholung

Neben dem Ich-Erzähler kommt auch seine Mutter immer wieder zu Wort, ihre Litaneien sind in einem Tonfall gehalten, der ihre bäuerliche Herkunft verrät. Es werden viele Schleifen gedreht, Haas ist bekanntlich ein Meister in der Kunst der Wiederholung. Und die Mutter im Roman ist eine Meisterin „der rhetorischen Trias“: „Den ganzen Tag nur arbeiten arbeiten arbeiten.“ Oder: „Den ganzen Tag nur waschen putzen bügeln.“ Sie mag „die Leute“ nicht. Die Männer in ihrem Leben sind Versager, Säufer, Spekulanten und bereiten ihr nur eines: „Sorgen Sorgen Sorgen.

Und schließlich prägte den Sohn schon ganz früh ein weiteres dreifaltiges Mantra der Mutter: „Jahrelang nur sparen sparen sparen.“ „Die drei Phasen des Bausparvertrags (Sparphase, Zuteilungsphase, Darlehensphase) hielt ich für einen Kinderreim.“ Doch aufgefressen wird alles von einem anderen mütterlichen Lebensthema: der Inflation, bereits in ihrem Geburtsjahr 1923 bricht die Hyperinflation über die Welt herein. Der „Entwicklung des Quadratmeterpreises“ ist ein eigenes Kapitel gewidmet.

Das Familiengrab als Cliffhanger

Der Mutter bleibt eine allerletzte Illusion von Eigentum als Zeichen von ökonomischem, ja Lebenserfolg: es sind die 1,7 Quadratmeter Familiengrab, die ihr Mann schon seit vielen Jahren vorwärmt. Bezugsfertig ist das letzte und einzig wahre Domizil schon zu Lebzeiten, sogar ihr Name und ihr Geburtsdatum stehen schon an der „Tür“, wie ein „goldener Cliffhanger“.

Haas‘ schmaler Roman erzählt vom lebenslang vergeblichen, aber unermüdlichen Streben der Mutter nach existenzieller Sicherheit mit dem ihm eigenen flapsigen Humor – und mit sehr viel Mitgefühl. Und wie immer bei Haas finden sich Sätze fürs Leben, wie diesen, der den Eigensinn verteidigt, im Zeitalter alternativer Fakten aber auch soziale Sprengkraft besitzt: „Man konnte sich nicht von jeder Kleinigkeit wie der Nichtexistenz einer Realität aus der Bahn werfen lassen.“
 
Wolf Haas: Eigentum. Roman
München: Hanser, 2023. 160 S.
ISBN: 978-3-446-27833-2
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