Rosinenpicker | Literatur  Erstmal klarkommen

Hartmann: Klarkommen © park x ullstein / Canva

Ilona Hartmann präsentiert einen Anti-Jugendroman, der mit der Illusion bricht, Jugendjahre seien rundum großartig. Als Gegenprogramm bietet die Autorin die volle Dröhnung mittelmäßiger Ereignisse dreier junger Menschen, die in die Großstadt ziehen.

„Ich wollte wirklich gerne meine Jugend verschwenden, aber doch nicht so“, heißt es im Prolog von klarkommen – so heißt Ilona Hartmanns zweiter Roman, veröffentlicht im Februar 2024. Bekannt wurde die 34-Jährige mit Kurzbeobachtungen zum Zeitgeschehen auf Twitter; 2020 erschien ihr Debütroman Land in Sicht.

Klarkommen handelt von drei jungen Freund*innen, aufgewachsen in einer Kleinstadt, die nun, nach ihrem Schulabschluss, zusammen in die Großstadt ziehen wollen. Viel zu lange haben die namenlose Ich-Erzählerin sowie Mounia und Leon schon davon geträumt. Doch als sie endlich da sind, sieht die Realität gar nicht mehr so rosig aus: Die Stadt ist teuer, ihre Wohnung eine Bruchbude, und von den wirklich coolen Partys erfahren sie immer erst hinterher.

Vor allem die Ich-Erzählerin verspielt sich die Aussicht auf Aufregendes immer wieder selbst. Schuld daran sind mal die eigenen Unsicherheiten, mal ist es ihr Stolz. So twittert auch Ilona Hartmann über ihr Buch: „Klarkommen erzählt die bewegende Geschichte von drei jungen Menschen, denen man permanent eine reinhauen will.“ Damit hat sie nicht unrecht.

Kurz und nüchtern

Der Jugendroman mit seinen gerade mal rund 190 Seiten (manche Kapitel umfassen weniger als eine Seite) tut nicht nur Menschen mit einer geringen Aufmerksamkeitsspanne einen Gefallen; er zeigt auch auf schroffe, ehrliche Weise, wie langweilig die Jugendjahre sein können. Das tut er mit einer klugen und amüsanten Leichtigkeit. Für manche Leser*innen ist die beschriebene Existenz des Alltäglichen sicher erleichternd. Und selbst die nie gelangweilten Draufgänger*innen werden sich in so manchen Passagen der Ich-Erzählerin wiederfinden.

„Es gibt viele coole Bücher, in denen krass viel passiert. Es braucht aber vielleicht auch manchmal ein kleines Gegengewicht, in dem steht: Es gab auch andere Tage und es gibt andere Leben“, so die Autorin in einem Interview zu ihrem Buch-Release. Und dieses Gegengewicht schafft Ilona Hartmann mit Klarkommen auf wunderbare Weise: Zwischen all den scheinbar belanglosen Ereignissen der drei jungen Menschen finden sich vielfältig pointierte Beobachtungen des Alltags. Sie alle hätten in meinem Tagebuch stehen können, wobei ich sie niemals so treffsicher und realistisch wie die Autorin hätte formulieren können.

Verpasste Chancen

Bedauernswert ist das Ausbleiben der weiteren Entwicklung einiger Erzählstränge. Ilona Hartmann wirft ihren Leser*innen viele rohe Handlungsstränge vor die Füße, dort bleiben sie und sind den Leser*innen überlassen. An manchen Stellen erleidet die Geschichte dadurch einen echten Verlust. Doch ist so nicht auch das echte Leben? Ilona Hartmann bejaht das – und ich auch. Wie oft man sich doch vornimmt, eine gute Idee weiterzuspinnen, sich bei der alten Freundin zu melden, wieder öfter die eigenen vier Wände zu verlassen Aber am Ende bleiben doch ungefähr 70 Prozent der gut gewollten Ideen nur in den Köpfen stecken. So ergeht es auch der Ich-Erzählerin.

FOMO (Fear of missing out)

Was macht klarkommen zu einem Jugendroman meiner Generation, der Generation Z? Vielleicht, dass sich hinter nahezu jedem Gedanken, jeder Neugier und Panik der Ich-Erzählerin das Phänomen von FOMO (Fear of missing out) versteckt. Es ist jenes Gefühl, nie anzukommen, nie alles ausprobiert zu haben, nie ein Teil des Ganzen (ein Teil der Coolen) zu sein, welches klarkommen beschreibt. Das bestärkt auch die Antwort des Vaters der Ich-Erzählerin, als er seine Jugend beschreibt: „Schwer zu vergleichen mit heute. Ihr habt mehr Möglichkeiten, aber wir hatten weniger Unsicherheiten.“ Eine Beobachtung, die sich gegen sich selbst ausspielt.

Alle müssen irgendwann klarkommen

Im Kapitel Druck gesteht die Ich-Erzählerin: „Jedes Mal, wenn wir freiwillig oder zufällig Nachrichten gelesen hatten, beschlich uns das beklemmende Gefühl, dass wir uns mit dem Aufblühen beeilen mussten.“ Druck wartet hinter jeder Ecke. Manchmal auch nur verursacht von dem Wunsch, bei allem nicht peinlich auszusehen. Ein, zwei Stellen im Buch brechen allerdings dieses Gefühl. Da ist Frau Heiner, die lebenskluge Kneipenbesitzerin. Auch ohne Antworten auf Fragen zu geben, schafft sie es, den Druck und die Grübeleien der Ich-Erzählerin aufzulösen. Und doch sieht auch Frau Heiner in den Abendstunden im leeren Supermarkt etwas verloren aus.

Mit diesem schonungslos ehrlichen und dadurch sympathischen Roman schafft es Ilona Hartmann, eine Brücke zu jungen Menschen zu bauen, die sich selbst im Weg stehen oder aber zu hohe Erwartungen an ihre Jugend haben. Wer zwischen den Zeilen liest, wird mit klarkommen nicht leer ausgehen.
 
Ilona Hartmann: Klarkommen. Roman
Berlin: park x ullstein, 2024. 187 S.
ISBN: 978-3-98816-004-1