Rosinenpicker | Literatur  Wie ein Schreckgeschoss

„Hasenprosa“ von Maren Kames © Shutterstock, Cover: Suhrkamp

In ihrem dritten, für den Deutschen Buchpreis 2024 nominierten Werk leitet Maren Kames ihr Publikum wortgewaltig in das sprichwörtliche „Rabbit Hole“ ihrer Gedankenwelt und erzählt ganz nebenbei ihre Familiengeschichte.

Nach den Gedichtbänden Halb Taube Halb Pfau (2016) und Luna Luna (2019) ist Hasenprosa die dritte Buchveröffentlichung der Berliner Autorin Maren Kames. Gleichzeitig ist es ihr Romandebüt, das es direkt auf die Longlist (und dann auch auf die Shortlist) des Deutschen Buchpreises 2024 geschafft hat. Entstanden ist eine – beinahe – lineare Erzählung, ein wunderschöner, teils experimenteller Text aus kürzeren und längeren Wortkaskaden und -schöpfungen, Zitaten, skurrilen Dialogen und feiner Lyrik, die Maren Kames nicht so ganz hinter sich lassen mag. Immer dabei: Ein Hase namens Salomon.

Ich bin dein weltweiser Reyßgeselle!, rief der Hase von hoch oberhalb der Wiese, wir haben die Hasentage, das Wetter ist Schönwetter, und wir berichten von wunderbahrlichen geheimen und offenen Sachen, der Natur, Verlauff der Welt und Zustand deß Landes im Hasengang, mein Name sei Salomon, mein Nachname Mumm, ich habe Voraussicht und Wagemut, folge mir!

Respektvoll erzählte Familiengeschichte

Dass die Ich-Erzählerin nicht nur zufällig Maren heißt, sondern es sich um ein weitgehend autobiografisches Werk handelt, wird immer mal wieder angedeutet. Klarheit darüber herrscht spätestens, als die Veröffentlichung des Buches thematisiert und in der Gegenwart verortet wird: „Dass das Jahr des Hasen, dachte ich, bereits vorüber sein würde, wenn das Buch auch außen zu existieren beginnt (…)“, wobei sie es nicht lassen kann, direkt wieder Verwirrung zu stiften: „Die Zeiträtsel, Kreuzwörter, coriander stem and rose of hay, hay, hay, die Hände meines Großvaters, die Hosen meiner Oma, wohin die Toten gehen, ob Friede ein Ort ist.“

Hasenprosa ist eine ungewöhnliche, liebevoll und respektvoll erzählte Familiengeschichte, deren Mitglieder feinfühlig beobachtet und kunstvoll beschrieben, aber auch ernst genommen werden. Der die Erzählerin begleitende und titelgebende Hase hilft ihr bei der Erkundung ihrer Gedankenwelt, stört aber auch mit chaotischen Einwürfen und anarchistischem Gehabe. Er ist die Art Figur, derer in Lesezirkeln – vergeblich – versucht wird habhaft zu werden, obwohl es sich vielleicht doch um einen reinen (aber nicht harmlosen!) Spaß handelt, eine weitere Schräge in den Windungen des Erzählerinnenhirns, das man sich, wenn es ein Haus wäre, wie den schönsten Hundertwasser Palast vorstellen muss. Der Hase wäre dann vielleicht ein krummer Giebel:

(…)ich frage dich jetzt, denn jemand muss dich das mal fragen, um dich aus deinem Misery-Sitz (Schachtkammer, Weinerlichkeitskleinkreis auf der Welt) zu kriegen: Was sind deine Fundamentalsterne? Wer im Himmel sind deine Versenkungsidole? Hier ist der Himmel. Wen siehst du da?

Melancholie und Zartheit

Wie schon in ihren Gedichtbänden teilt die Autorin eine Vielzahl von Popmusik-Zitaten, aber auch Fotos (unter anderem ihres Opas Erich und der Autorin, und ihrem auseinandergefallenen Kaktus), Stills aus Musikvideos (siehe unten) und Zeichnungen, fast überraschenderweise mit mehr oder weniger direktem Textbezug. Es fällt schwer, passende, repräsentative Zitate auszuwählen, so originell schreitet der Text voran, so vielschichtig ist er komponiert. Über all dem schwebt die große Dame der deutschen Poesie, Friederike Mayröcker, die mehrfach zitiert wird und ohne Zweifel ein großer Einfluss für die Autorin war. Das Buch hat sogar einen Sound: Die beigefügten Playlisten (der „Manifeste“ und der „Sukkutane“ Soundtrack) runden das Erlebnis ab.
 
© Buntspecht Band

Neben all dem, und kleinen Anekdoten zu Billy Eilish, Hellfire-Raketen, W.G.Sebald, Prince, John Irving oder der Embryogenese von vielzelligen Tieren, sind insbesondere die Stellen, in denen es um die Familie geht, bemerkenswert. All diese Textteile sind Zeugnis dafür, was durch die waghalsigen literarischen Kapriolen des Buches oft verloren geht, nämlich was für eine großartige und mitreißende Erzählerin in Maren Kames steckt. Sie zeigt zudem keine Scheu, Passagen des Absurden mit solchen voller Melancholie und Zartheit zu verbinden.

Hasenprosa liest sich zügig, amüsant und vermag es, auf jeder Seite zu überraschen. Die Nominierung für den Deutschen Buchpreis ist ein weiterer Beleg dafür, dass auch der Mainstream der deutschen Literaturlandschaft für positive Überraschungen gut ist. Die Aufnahme in die engere Wahl, die Shortlist des Buchpreises 2024, ist ob der stilistischen Eigenständigkeit, des literarischen Einfallsreichtums und der künstlerischen Kraft dieses Romandebuts fast eine Selbstverständlichkeit gewesen. Sie hätte eigentlich auch den großen Preis verdient gehabt!
 

Maren Kames: Hasenprosa. Roman
Berlin: Suhrkamp, 2024. 182 S.
ISBN: 978-3-518-43168-9
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