Teresa Ciuffoletti hat Werke von Judith Hermann, Dörte Hansen und Fatma Aydemir ins Italienische übersetzt. Im Interview erzählt sie, warum sie auf Übersetzungstools verzichtet, was Nordfriesland und die Toskana gemeinsam haben und welches Buch sie gerne einmal übersetzen würde.
Teresa Ciuffoletti, wann mussten Sie beim Übersetzen zuletzt lachen?Bei meinen Tippfehlern. Manchmal, wenn ich meine Übersetzung am nächsten Tag lese, denke ich: Was habe ich denn hier geschrieben?
Was fasziniert Sie an der deutschen Literatur?
Das klingt vielleicht enttäuschend, aber tatsächlich nichts Spezifisches. Mich begeistert in erster Linie die deutsche Sprache selbst. Das Schöne an meiner Arbeit ist, dass ich sie immer wieder neu entdecken kann.
Sie haben Daheim von Judith Hermann ins Italienische übersetzt. Der Roman wurde für seinen stilsicheren Umgang mit Leerstellen gefeiert. War die Übersetzung des Ungesagten und der Lakonie eine besondere Herausforderung?
Ja und Nein. Eine so verdichtete und präzise Sprache zu übersetzen, die nie schwer oder überarbeitet wirkt, ist natürlich eine Herausforderung. Man muss viel über das Unausgesprochene nachdenken und die eigene Übersetzung ständig polieren. Zugleich hat Judith Hermann einen Stil, der zu mir passt. Das liegt mir mehr als eine blumige Sprache.
Was machen Sie, wenn Sie bei einer Übersetzung mal nicht weiterkommen?
Eine Pause – oder ich nerve meine Freunde mit meinem Problem. Manche mögen das, manche überhaupt nicht. Außerdem versuche ich, viel zum Thema zu lesen. Das hilft mir oft weiter.
Ein Buch zu übersetzen, ist wie einen Mitbewohner zu haben. Bei Seite 100 fängt man an, Probleme zu haben.
Teresa Ciuffoletti
Dörte Hansens Bestseller Mittagsstunde erschien im Italienischen in Ihrer Übersetzung. Sowohl bei Hansen als auch bei Hermann spielen die Dorfkultur und das Landleben eine zentrale Rolle. Sie leben in Berlin: Was macht dieses Thema für Sie als Städterin so reizvoll?
Das Thema liegt mir am Herzen. Ich komme aus einer kleinen Provinzstadt in der Toskana und wohne inzwischen in Berlin. Diese Spannung zwischen Großstadt und Provinz, Stadt und Land, die Suche nach Zugehörigkeit, das beschäftigt mich seit langem und ist auch mit meiner Familiengeschichte eng verbunden. Einige meiner italienischen Verwandten haben Mittagsstunde gelesen und viele Aspekte des Dorfleben wiedererkannt. Dabei ist Nordfriesland von der Maremma, meiner Heimatregion in der Toskana, sehr weit weg. In Italien sagt man: Die ganze Welt ist ein Land.
Stehen Sie bei Ihrer Übersetzungsarbeit eigentlich im direkten Kontakt mit den Autorinnen?
Bisher schon. Für mich ist dieser Austausch sehr wichtig, auch um mir manchmal über gewisse Aspekte im Text klar zu werden. Ich sage oft, ein Buch zu übersetzen, ist wie einen Mitbewohner zu haben. Bei Seite 100 fängt man an, Probleme zu haben, aber am Ende liebt man sich trotzdem. Die Beziehung zu den Autorinnen ist aber anderes, da entstehen meistens spannende Austausche, manchmal sogar tolle Begegnungen.
Für manche Texte sind Übersetzungsprogramme nützliche Werkzeuge. Ich glaube aber nicht, dass sie die menschliche Kunst des literarischen Übersetzens ersetzen können. In letzter Zeit fällt mir gerade bei kurzen Artikeln oder Posts auf, dass sie maschinell übersetzt wurden. Hier besteht die Gefahr einer Verarmung und Verflachung der Sprache.
Das klingt nicht so, als würden Sie mit Übersetzungsprogrammen arbeiten?
Ich habe es probiert, aber man wird durch die automatisierte Übersetzung doch sehr stark beeinflusst. Man muss den Text anschließend stark bearbeiten. Es ist eine zusätzliche Aufgabe, sich von diesem Ton zu lösen und beim Originaltext zu bleiben. Mir helfen die Übersetzungstools tatsächlich nicht.
Zuletzt haben Sie Fatma Aydemirs Roman Dschinns übersetzt. Darin wird eine deutsch-türkische Familiengeschichte erzählt. Wie werden Migrationsgeschichten wie diese in Italien rezipiert?
Der Roman behandelt ein Thema, das Italien als Einwanderungsland stark betrifft. Migration war immer schon ein großes Thema in Italien. Allerdings auch in anderer Richtung. Italien war zugleich auch immer ein Land der Auswanderer. Das Thema trifft daher schon einen Nerv. Das Buch ist aber noch nicht erschienen. Ich weiß also noch nicht, wie es ankommen wird.
Wenn Sie es sich aussuchen könnten: Welches deutschsprachige Werk würden Sie einmal gerne übersetzen?
Vermutlich expressionistische Lyrik. Georg Trakl zum Beispiel. Ich habe seine Gedichte mit 18 gelesen, das hat mich damals begeistert.
Oktober 2024