Rosinenpicker | Literatur  Sex und Text mit dem Ex

Marienkäfer auf einem Blatt bei der Paarung
Sind sich recht nah: Marienkäfer Foto (Detail): © picture alliance / PhotoAlto | Odilon Dimier

In ihrem neuen Roman erzählt Katja Oskamp die Geschichte einer großen Liebe – wie sie entstand und wie sie zu Ende ging.

Katja Oskamps letztes Buch Marzahn, mon amour (2019) war ein Riesenerfolg. Darin berichtet sie aus dem Leben einer Fußpflegerin. Es sind Geschichten wie aus dem echten Leben – kein Wunder, war doch Oskamp selbst eine Zeit lang Fußpflegerin, weil der literarische Erfolg ausgeblieben war. Die Ironie des Schicksal bestand nun darin, dass genau dieser Umweg ihr plötzlich den Status einer Bestseller-Autorin verlieh. Auch ihr neuer Roman Die vorletzte Frau spielt des Öfteren in den unteren Bereichen des Körpers. Und wieder sind die Parallelen zum Leben der Autorin unübersehbar.

Das Buch beginnt mit Zahlenspielen. Die Ich-Erzählerin berichtet, dass sie dreißig war, als sie Tosch, den „Mann meines Lebens“, kennenlernte, der 19 Jahre älter ist als sie. 19 Jahre währte auch die Beziehung der beiden. Schnell wird aufgeklärt, dass Tosch Schweizer ist und als Gastdozent am Leipziger Literaturinstitut wirkte, wo die Erzählerin, wie die Autorin, studierte. Ein Lehrer-Schülerinnen-Beziehung also. Das reale Vorbild für Tosch ist der Schweizer Autor Thomas Hürlimann.

Oskamp: Die vorletzte Frau (Buchcover) © park x ullstein

Toter als du

Als sich die beiden kennenlernen, kommt es zu einem morbiden Überbietungswettbewerb. Er sagt: „Mein Schwanz war tot“, sie erwidert: „Ich war toter als du, Tosch.“ Er lebt in einer erstarrten Ehe mit einer suizidgefährdeten „Schauspielerin ohne Rollen“, eine der kleinen Gemeinheiten in diesem Buch. Sie hat sich einen holländischen Generalmusikdirektor geangelt, mit dem sie eine gemeinsame Tochter bekommt. Doch die schnell geschlossene Ehe wird zum „Desaster“, sie entwickelt einen Putzzwang, um wenigstens die äußere Ordnung herzustellen.

Zwischen der Ich-Erzählerin und Tosch funkt es sofort. Ihre Liebe beginnt mit einem Griff zwischen seine Beine und einem Liebesakt auf der Motorhaube eines Autos. Damit ist der Anschluss an die Person hergestellt, „die ich vor der Geburt meines Kindes gewesen war“. Schnell vertraut sie Tosch, ausdrücklich „wie ein Tier.“ Beide erleben diese neue Liebe wie eine Wiedergeburt. Neben dem körperlichen ist auch der intellektuelle Austausch wichtig. Lapidar fasst die Protagonistin diese beiden Säulen der Beziehung zusammen: „Sex und Text.“

Auf die sexuelle Wiedererweckung folgt für die weibliche Hauptfigur der Beginn ihres schriftstellerischen Daseins – mit Tosch als Mentor. Er liest und kommentiert all ihre Texte: „Tosch liebte meine Texte und meinen Hintern. Ich liebte Toschs Pranken und sein Lektorat. Virtuos jonglierten wir mit dem Auftrag, uns einander auf Gedeih und Verderb zuzumuten mit allen Meisen und Absonderlichkeiten.“ Das Paar erlebt eine leidenschaftliche und freizügige Beziehung.

Die Ersatzteilphase des Leben

Von Anfang an ist aber auch klar, dass Oskamp nicht nur ein Buch über eine große Liebe geschrieben hat, sondern auch über deren Ende und eine Suche nach Erklärungen, warum und woran sie wahrscheinlich scheiterte – nämlich an einer schweren Krankheit.

Als sie sich kennenlernen, ist Tosch 50 Jahre alt. Bald stellt er fest: „Die Ersatzteilphase hatte begonnen.“ Es kommt noch schlimmer: Er erhält die Diagnose Prostatakrebs. Oskamp beschreibt das folgende körperliche Elend detailliert und spart nicht aus, was das aus ihr macht: Aus der Geliebten wird eine Pflegende.

Der Schweizer und seine Ostberliner Mieze

Ganz nebenbei spiegelt Oskamps Roman auch die Klassengegensätze. Denn während sie aus vergleichsweise einfachen Verhältnissen stammt und noch dazu in einem Land aufwuchs, in dem man statt Zitronen höchstens eingelegte Gurken kannte, bewegt sich der arrivierte und mit Preisen überhäufte Tosch in der Oberschicht wie ein Fisch im Wasser: Ihm „bereitete es Freude, ganz oben mitzuspielen … Der Sohn eines Politikers kannte sich aus mit den ungeschriebenen Gesetzen der höheren Kreise.“

Sie dagegen ist ein junges Accessoire, das sich bei den entsprechenden Anlässen was Hübsches anziehen soll. Sie „mimten für Professoren oder Chefredakteure das ulkige Paar: den langsamen Schweizer und die freche Ostberliner Mieze“. Wenigstens entwickelt sie einen gewissen Stolz auf ihre „Fähigkeit zum Weltenwechsel“ zwischen Schloss Bellevue und Bierkaschemme.

Melancholie und Emanzipation

Einem Rückblick auf eine vergangene Liebe und ein vergangenes Leben haftet per se etwas Trauriges an. Ein Schicksalsschlag wie eine schwere Krankheit vertieft die Melancholie noch, macht die erlebte Leichtigkeit im Nachhinein schwer. Oskamp schildert in dem Roman ausführlich und souverän, wie dankbar sie Tosch ist, er habe sie „zur Schriftstellerin gemacht“. Gleichwohl muss sie sich als „vorletzte Frau“ am Ende von ihm emanzipieren: „Ich wische dein Blut nicht mehr auf; du liest meine Texte nicht mehr.“
 
Die Offenheit und Ehrlichkeit, mit der Katja Oskamp über ihr Leben und das aller anderen schreibt, ist frappierend. Das müssen diese natürlich aushalten können, wenn sie es nun lesen. Toschs Segen – und somit wohl auch Hürlimanns – hatte der Roman, denn seine Antwort nach der Lektüre des Manuskripts war: „Ich habe gegen dein Buch keine Einwände, im Gegenteil, es ist eine wundervolle Liebesgeschichte, und ich freue mich, dass ich mitspielen darf.“
Katja Oskamp: Die vorletzte Frau. Roman
Berlin : park x ullstein, 2024. 208 S.
ISBN: 978-3-98816-020-1