Die beiden Wissenschaftler*innen Uta Bretschneider und Jens Schöne widmen sich in einem Bild-Text-Band Erotikshops in Ostdeutschland. Das Ergebnis ist eine im wahrsten Sinne des Wortes teilnehmende Beobachtung.
Was haben Orte wie Aschersleben, Herzberg, Lauchhammer oder Oschatz gemeinsam? Richtig, sie liegen alle im Osten Deutschlands. Was noch? In all diesen Orten wurden in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung Erotikshops eröffnet. Damals boomte das Geschäft mit der Lust regelrecht, was sicher auch daran lag, dass es zu DDR-Zeiten verboten war und nicht nur „öffentlichen Tadel“ oder eine Geldstrafe, sondern bis zu 2 Jahre Freiheitsstrafe zur Folge haben konnte.Die neu gewonnene Freiheit mündete also auch im Handel mit Erotikartikeln in eine, nun ja, nachholende Entwicklung, schließlich war die neue Freiheit eine kapitalistische oder – wenn man es weniger klassenkämpferisch formulieren möchte – eine marktwirtschaftliche, in der es Wechselwirkungen zwischen Angebot und Nachfrage gibt. Mitte der 1990er-Jahre war die Goldgräberstimmung allerdings schon wieder vorbei. Die Deindustrialisierung und die Massenarbeitslosigkeit in Ostdeutschland führten dazu, dass mehr als die Hälfte der neuen Erotikshops bald wieder schließen mussten. Ab den 2000er-Jahren gaben Online-Handel und Porno-Portale einigen Geschäften den Rest.
Fische und Dildos
Uta Bretschneider, Kulturwissenschaftlerin und Direktorin des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig, und Jens Schöne, Historiker und Stellvertreter des Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, lernten sich im Februar 2020 in Erfurt kennen. Sie stellten fest, dass sie beide aus der ostdeutschen Provinz stammen und das Interesse am ländlichen Raum in der Nachwendezeit teilen. Sie beschlossen, ein gemeinsames Projekt zu entwickeln, nur der Forschungsgegenstand war noch unklar. Das änderte sich, als Bretschneider im April 2021 durch Brandenburg fuhr und ihre Navigations-App einen Sex- und Aquaristik-Shop anzeigte. Was für eine Kombination! „Fische und Dildos! Und das mitten im Nirgendwo.“ Nach kurzer Rücksprache mit Schöne war das Thema gefunden.Für ihr Buch Provinzlust reisten die beiden anschließend zwei Jahre durch Ostdeutschland und interviewten Erotikshopbetreiber*innen entlang eines zuvor entworfenen Leitfadens. Sie verfolgten dieses Projekt in ihrer Freizeit und verbrachten „zwei Jahresurlaube in und mit Sexshops in der ostdeutschen Provinz“, wie Bretschneider in einem Interview berichtet. Sie war 2022 in einem der Sexshops sogar einige Tage als „Praktikantin“ tätig. Es handelt sich bei dieser Branche im Übrigen nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, um eine männliche Domäne, sondern es sind nicht selten Frauen, die die Läden betreiben. Alle verstehen sich als Kaufleute, treten selbstbewusst auf und gehen offen mit den gestellten Fragen um: „Das Geschäft mit der Erotik ist für sie gelebte Normalität“ – oder wie eine Betreiberin es ausdrückt: „Ich verkaufe die Sachen und gut ist.“
Am Anfang wurde alles gekauft
Dass die Erotikshops in Ostdeutschland ihr Angebot nach dem Anfangsboom – „Am Anfang wurde alles gekauft“, erinnert sich eine Inhaberin – diversifizieren mussten, lag an dem bald folgenden wirtschaftlichen Einbruch. Die, die überleben wollten, mussten kreativ werden, indem sie sich spezialisierten (z.B. auf Dessous) oder sich ein zweites Standbein aufbauten. War das an einem Ort die erwähnte Aquaristik, hatte ein anderer Betreiber neben dem Sexshop „ein kleines DDR-Museum“ errichtet: „Beide Bereiche können getrennt voneinander betreten werden“.Bretschneider und Schöne zeigen in ihrem Buch, dass der Umbruch nach 1989/90 in Ostdeutschland auch in einem Nischenmarkt wie der Erotikbranche die typischen Nachwende-Erfahrungen nach sich zog: Auf Aufbrüche folgten Umbrüche und Experimentierfreude, aber auch Niedergang: „Vielen Erotikshops in der Provinz geht es ökonomisch nicht besonders gut“, sie scheinen „eine aussterbende Art zu sein“.
Manufaktur und Sektchen-Gute-Laune-Laden
Neben den Erotikgeschäften in Dörfern und Kleinstädten besuchten die beiden auch zwei „neuartige“ Sexshops in Leipzig und Berlin. In Großstädten hat dieses Gewerbe voraussichtlich eine bessere Zukunft. Dort gibt es eine größere und diversere Kundschaft, wodurch ein anderer Zugang zu diesem Thema möglich ist. Die Besitzerin des Berliner Ladens studierte Bildhauerei, gründete den feministisch orientierten, sexpositiven Shop playstixx und etablierte ihn als Manufaktur für umweltfreundliche Dildos und Vibratoren. Der Besitzer der Leipziger voegelei ist ein ehemaliger Philosophiestudent, der ein paar Jahre in einem Institut für Paar- und Sexualberatung tätig war, bevor er im Juni 2021 seinen alternativen Sexshop eröffnete. Zu alternativ will der Laden aber nicht sein, denn niemand solle sich ausgeschlossen fühlen. Andere finden die voegelei daher nicht queer-feministisch genug, doch dafür gebe es in Leipzig einen anderen Sexladen, den Juicy: „Wir sind eher der Sektchen-Gute-Laune-Laden, und die sind eher der Laden mit dem ernsthafteren politischen Anspruch.“Neben den allesamt lebensnahen, anekdotenreichen und erfrischend zu lesenden Sexshop-Porträts besticht Provinzlust auch durch die Fotografien von Karen Weinert und Thomas Bachler, die die Interviewten und ihre Läden ablichteten. Zwei Kapitel aus dem Buch kann man auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung lesen.
Uta Bretschneider, Jens Schöne: Provinzlust. Erotikshops in Ostdeutschland
Berlin: Ch. Links Verlag, 2024. 224 S.
ISBN: 978-3-96289-198-5
Berlin: Ch. Links Verlag, 2024. 224 S.
ISBN: 978-3-96289-198-5
März 2025