Lichtspielhaus | Film  Eiskalte Hölle

Titelmotiv der SKY Germany Serie "Der Pass" zeigt die Protagonisten in einem verschneiten Wald
Nicholas Ofczarek and Julia Jentsch in „Der Pass” Foto (Detail): © SKY Germany

Eine Leiche liegt in den Alpen, genau auf der Grenze zwischen Deutschland und Österreich. Bei der Mordaufklärung arbeiten Ermittler beider Länder zusammen – wider Willen. Cyrill Boss und Philipp Stennert präsentieren ein überragendes Werk des Alpen-Noir mit unerwarteten Wendungen und einzigartigen Figuren.
 

 

Eine Serie über zwei Cops, die Serienmörder an der deutsch-österreichischen Grenze jagen – das soll Prestige-TV sein? Klingt erst mal nach dem letzten Bodensatz des Kabel-Fernsehens. Aber der preisgekrönte deutsch-österreichische Streaming-Hit Der Pass (drei Staffeln, 2019-2023) ist ein derart gut gemachter Krimi, dass er selbst skeptische Zuschauer schnell überzeugt.

Ehrgeiz trifft auf Missmut

Schon in den ersten Minuten der ersten Staffel etabliert die Serie eine fesselnd düstere Atmosphäre: Die deutsche Ermittlerin Ellie Stocker (Julia Jentsch) entdeckt eine grausam inszenierte Leiche, die exakt auf der Grenze zwischen beiden Ländern abgelegt wurde. Ellie – freundlich, überaus kompetent, einfühlsam – scheint die perfekte Teamplayerin zu sein. Doch genau darin liegt der Abgrund der Serie: Ellie ahnt nicht, welches Grauen auf sie wartet, als sie sich bereit erklärt, die Mordermittlungen zu leiten. Dank Jentschs nuancierter Darstellung altert ihre Figur Ellie im Verlauf der ersten Staffel gefühlt um zehn Jahre – am Ende hat sie kaum noch etwas mit der ambitionierten Ermittlerin aus der ersten Folge gemeinsam.

Ihr Partner ist Gedeon Winter (Nicholas Ofczarek in einer ikonischen Rolle), ein missmutiger, korrupter Wiener Polizist, der in die Salzburger Provinz strafversetzt wurde. Dort lässt er sich in einem trostlosen Café nieder. In seinen zotteligen Pelzmantel gehüllt, wirkt Winter wie ein gescheiterter Zuhälter und bildet damit das perfekte Gegenstück zur ehrgeizigen Ellie. Besonders spannend ist die dynamische Rollenverschiebung zwischen den beiden im Lauf der Serie, wie auch ihre sich entwickelnde Bruder-Schwester-Beziehung.

Kein Winter-Wunderland

Die ersten beiden Staffeln von Der Pass liefern Spannung pur – genau die Sorte Nervenkitzel, die einen dazu verleitet, um Mitternacht „nur noch eine Folge“ dranzuhängen und morgens erschöpft abzuschalten. Staffel 1 spielt zur Weihnachtszeit zwischen Berchtesgaden und Salzburg, mit Abstechern nach München und Graz. Doch von besinnlicher Festtagsstimmung keine Spur: Ein ominöser „Krampus-Killer“, ein misogyn veranlagter Weltuntergangsfanatiker, missbraucht die alpenländische Krampus-Tradition für seine perfiden Racheakte. Die unheimliche Ästhetik handgeschnitzter Krampus-Masken wird so effektvoll eingesetzt, dass es wirkt, als hätte die jahrhundertealte Krampus-Legende nur auf diese Serie gewartet.

Kleine Siege gegen das Böse

Der Pass ist kein klassischer Whodunit-Krimi, denn bereits in der dritten Folge der ersten Staffel wird der Mörder enthüllt. Die Drehbuchautoren verorten ihn gezielt in der Tech-Branche, sein gekränktes männliches Ego verbirgt er hinter einer Fassade fast schon aggressiver Unauffälligkeit. Vermutlich sind sich die Macher Boss und Stennert bewusst, dass man in der Post-#MeToo-Ära selbst in der Kriminalliteratur vorsichtig sein sollte, wenn es um die Inszenierung charismatischer männlicher Monster geht.

Ähnlich verfährt Staffel 2: Schon in den ersten Minuten kann der Zuschauer erahnen, wer diesmal das Böse verkörpert. Es lauert zweifach in der selbstgefälligen Oberschicht: der eine Verbrecher ein Versager, der sich zum unberechenbaren Psychopathen entwickelt, der andere ein erfolgreicher Magnat, der instinktiv skrupellos wird, sobald es darum geht, seine Privilegien zu verteidigen.

Ellie Stocker und Gedeon Winter erleiden in beiden Staffeln herbe Rückschläge. Die Bösewichte sind den Ermittlern stets einige Schritte voraus – ein Gefühl, das beunruhigend nah an die Realität moderner Institutionen heranreicht, die gegen finstere Akteure oft machtlos erscheinen.

Letztlich erringen die Ermittler nur kleine Siege, für die sie einen hohen Preis zahlen müssen, und die oft auf Kosten ihrer Berufsethik gehen. Der Pass verweigert sich dem klassischen Krimi-Triumph, in dem das Gute über das Böse siegt. Das mag frustrierend sein, doch die ersten beiden Staffeln bleiben bis zum bitteren Ende erschreckend glaubwürdig.

Servus, Ellie und Gedeon

Vielleicht spürten Boss und Stennert, dass es in einer weiteren Staffel schwer werden würde, sich selbst zu übertreffen – oder sie wollten einfach einen frischen Blick auf die Serie zulassen. Jedenfalls übergab das Duo für Staffel 3 die kreative Kontrolle an ein neues Team. Oder aber sie ahnten schon, dass eine dritte Staffel genau eine zuviel sein würde – was sich im Nachhinein wohl bestätigt hat. Doch immerhin erhalten Ellie und Gedeon im Finale von Staffel 3 einen würdigen Abschied. Und das Beste: Julia Jentsch und Nicholas Ofczarek kehren als Erfolgsduo auf den Bildschirm zurück – in der Prime-Video-Serie Drunter und Drüber. Noch besser: Es wird eine Komödie! Eine willkommene Abwechslung, denn wenn Der Pass eines nicht war, dann lustig. Boss und Stennert wiederum haben den Sprung ins Kino gewagt – 2024 brachten sie Hagen auf die große Leinwand. Was nicht verwundert: Schon Der Pass ließ ihre filmischen Ambitionen klar erkennen.

Schließlich können sich Fans von Der Pass nach dem Ende der 3. Staffel mit dem VR-Spiel PAGAN PEAK VR trösten – ein Escape-Room-Spiel, das lose auf der Serie basiert.

Der Pass

Drei Staffeln, 2019-2023
Acht Episoden pro Staffel, 45-50 Min.
Mit: Julia Jentsch, Nicholas Ofczarek
Autoren: Cyrill Boss, Philipp Stennert
Produktion: W&B Television GmbH