Tonabnehmer | Musik  Stakkato Neukölln

Blick auf ein Hochhaus der Gropiusstadt in Berlin Gropiusstadt
Hinter verschlossenen Türen: Undurchsichtige Geschäfte sind in Berlin-Neukölln keine Seltenheit mauritius images / SZ Photo Creative / Jochen Eckel

Er ist der Soundtrack der Erfolgsserie „4 Blocks“: „NB4“ von Hasan K. und Gringo. Doch wovon erzählt der Song, der nur aus Wortfetzen und Anspielungen besteht?

Schauplatz, Berlin-Neukölln. Im Video sind Bilder in kurzer Abfolge und schnellen Schnitten zu sehen: der Volkspark Hasenheide, ein Mann mit Kalaschnikow-Tattoo, eine Tüte mit großen Mengen Marihuana. Mehrmals erscheinen junge bärtige Männer, augenscheinlich mit Migrationsgeschichte – aus der Türkei, dem Nahen Osten oder Südost-Europa. Einer macht mit der Hand ein Gang-Zeichen, ein anderer zählt ein großes Bündel 50-Euro-Scheine. Dann erscheinen Autofelgen mit AMG-Logo, dem Tuning-Paket des deutschen Autoherstellers Mercedes. Die stark maskulin geprägte Drohkulisse, die in den ersten 30 Sekunden des Videos aufgebaut wird, erinnert an den Beginn zahlreicher Reportagen über kriminelle arabische Familien-Clans, wie sie häufig im Privatfernsehen zu sehen sind.
Tatsächlich handelt es sich hier um das Musikvideo zum Song NB4 (Abkürzung für Neukölln Boss 4) vom Berliner Rap-Duo Hasan K. & Gringo. Die beiden kommen aus eben jenem Neukölln, das regelmäßig Schauplatz der besagten Reportagen ist. In ihren Songs thematisieren die beiden Rapper das kriminelle Milieu und das, was in der Berliner Unterwelt passiert – oder deuten es zumindest auf verschiedenen Ebenen an. Mal textlich, mal visuell: „Raubmord wegen Kleingeld, 2.000 Euro/Shem Shem fünfter Stock, abgepackt bei Srecko“, rappt Gringo in NB4. Ob er selbst diesen Raubmord begangen oder Shem Shem (Kokain) im fünften Stock abgepackt hat, ist nicht klar. Es ist nicht einmal klar, ob er die Person, die das gemacht, überhaupt kennt – oder die Geschichte schlicht erfunden ist. Was auch immer die Inspirationsquelle für diese Zeile war, sie beschreibt ein schweres Verbrechen.

Faszination Untergrund

Die meisten Hörer*innen sind gewiss nicht Teil des kriminellen Milieus und gerade deswegen wollen sie davon hören. Von jemandem, der glaubwürdig darüber rappt, was abstoßend ist, aber gleichermaßen fasziniert. Ähnlich wie ein*e Reporter*in eines Boulevardblatts über die Straftaten krimineller Organisationen berichtet.

In der von Kriminalität faszinierten Unterhaltungskultur geben Songs wie NB4 und Clan-Reportagen einen ungeschönten Einblick in eine soziale Welt, die die Öffentlichkeit zugleich erschreckt und in den Bann zieht – Jugendliche aus der Unterschicht ebenso wie Mittelstandskids. Es ist daher kein Zufall, dass Gringo auf dem Cover des Kulturmagazins Das Wetter war.

Das Spiel mit den Andeutungen

Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen beiden Erzählgenres: Während Reporter*innen von außen auf das Milieu blicken, erzählen Rapper*innen aus ihm heraus – oder geben es zumindest vor. Es gibt in Deutschland immer wieder Rapper*innen, die mit ihren Straftaten und Gefängnisaufenthalten prahlen. Über die strafrechtlich relevante Vergangenheit von Hasan K. & Gringo ist wenig bekannt. Das Video von NB4 hat es allerdings in sich. Es wurde größtenteils mit einem VHS-Camcorder gedreht. Das lässt das Video roh und eindringlich wirken. An mehreren Stellen sind Schusswaffen zu sehen, in einer Szene sogar von einem Kind gehalten. Außerdem: viel Bargeld, verschiedene Drogen, Männer in Shisha-Bars. In einer älteren Version soll auch die geraubte Goldmünze aus dem Bode-Museum zu sehen gewesen sein.

Die visuelle Botschaft der beiden ist klar: Sie sind mittendrin in der Berliner Unterwelt und brüsten sich indirekt mit schwerwiegenden Straftaten aus ihrem Umfeld. Gerade für Außenstehende tun sich viele Fragen auf: Wer sind die anderen Männer? Woher haben sie so viel Bargeld? Und kennen sie die Räuber der Goldmünze? Vom Vorwurf, dass diese Taten glorifiziert werden, können sich Hasan K. & Gringo schwerlich freisprechen.

Innovatives Reimschema

Doch der Erfolg des Songs hat nicht zuletzt muskalische Gründe: Insbesondere Gringos Rap-Stil führt in dem Song das fort, was durch das Video ins Rollen gebracht wird. Er reiht einzelne Worte teilweise ohne Zusammenhang aneinander und lässt sie wie eine ununterbrochene Assoziationskette wirken: „Skulpturen Michelangelo, Flanell Moschino, M416 Camo Kommando, Purple Low Rider Pontiac GTO, Yellow Bubble Kush Mango, Joint Marshmallow Jumbo“, rappt Gringo. Was beim ersten Hören unsinnig wirkt, entfaltet dennoch seine eigene Ästhetik – weil Gringo den Takt trifft und einem ungewohnten, aber schlüssigen Reimschema folgt.

Das Spiel mit lyrischen und visuellen Schockmomenten ist für den Song NB4 aufgegangen. Das Video wurde auf YouTube millionenfach angeschaut und als Soundtrack für die TV-Erfolgsserie „4 Blocks“ verwendet. Und sorgt mit einem Schlüssellochblick in das kriminelle Milieu einmal mehr für voyeuristisches Interesse und Skandalmomente zum Teilen und Diskutieren.