Die schlechte Nachricht zuerst: Maschinen übernehmen die Kontrolle. Zumindest in der Sprache des Sports. Folgt die gute Nachricht: Es klingt noch total bescheuert.
Ich bedaure, Ihnen diese schlechte Nachricht gleich zu Beginn meiner Kolumnen überbringen zu müssen. Aber es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wir alle von Maschinen ersetzt werden. Das mag Sie überraschen, schließlich ist noch nirgends ein Arnold Schwarzenegger in Lederjacke und Sonnenbrille auf einer Harley durch die Szenerie geritten, auf der Jagd nach rotäugigen Metallskeletten, im Hintergrund eine explodierende Welt. Aber wie das eben so ist: Fiktion und Wirklichkeit liegen auch hier weit auseinander.Ich muss es wissen, denn als Sportjournalist bewege ich mich in einem beruflichen Umfeld, in dem die Maschinen schon den ein oder anderen Arbeitsplatz geschluckt haben. Namentlich im Bereich des Livetickers, also jenes Textgenres, das in Echtzeit die Ereignisse eines Fußballspiels abbildet. Immer mehr Anbieter brachten in den letzten Jahren Programme auf den Markt, die Spielbewegungen erkennen und dann in vorgefertigte Texthüllen umwandeln, anhand derer man als User das Spielgeschehen verfolgen kann. Es muss ja nicht gleich der T-1000 sein, der einem gnadenlos die Lichter auspustet, aber ein wenig mehr Pomp hätte es schon sein dürfen. Denn das ist das Quasi-Enttäuschende daran: Die Revolution der Maschinen, sie vollzieht sich nicht mit einem Knall, sondern einem Wimmern, niemand sagt: „Hasta la Vista, Baby“, sondern: „75. – Bellingham darf abziehen und haut einen Volley deutlich über das Gehäuse.“
Blöde Maschinen
Jetzt die gute Nachricht: Sonderlich weit her mit der Intelligenz der Maschinen ist es nicht. Als etwa 2020 die Spieler der TSG Hoffenheim und des FC Bayern München aus Protest über Schmähungen der Fans das Fußballspielen einstellten und sich in den letzten 15 Minuten den Ball nur noch am Mittelkreis zuspielten, konnte das der blöde Tickerbot des Anbieters Flashscore natürlich nicht deuten. Für ihn blieb das Gekicke ein normales Fußballspiel, das Ballgeschiebe interpretierte er mit den ihm eingespeisten Floskeln:– 82. Minute: „Bayern München bleibt im Ballbesitz, indem die Spieler kurze Pässe und Doppelpässe spielen.“
– 85. Minute: „TSG Hoffenheim dominiert das Spiel momentan, indem das Team kurze Pässe und Doppelpässe spielt. Die Spieler verstehen sich blind.“
– 88. Minute: „Bayern München zeigt gutes Teamwork. Die Spieler tauschen Kurzpässe aus, spielen Doppelpässe und warten darauf, dass sie die Lücke in der gegnerischen Abwehr finden.“
Hätte ich den Bot vielleicht nicht blöd nennen sollen? Man möchte ja auch nicht auf irgendeiner Liste eines zukünftigen Skynet-Overlords landen. Wobei, besieht man sich den obigen Ticker-Ausschnitt, eine Machtübernahme so zeitig noch nicht anzustehen scheint. Dennoch sollten wir aufmerksam sein, denn die Entwicklung vollzieht sich wenngleich langsam, aber stetig. Das beweist etwa das Experiment des Sprachwissenschaftlers Prof. Dr. Simon Meier-Vieracker, der sich kurzerhand einen eigenen Livetickergenerator namens @randomlivetext programmierte. Dazu fütterte er eine KI mit 17 Jahren Content aus mehreren Livetickern. Nun kombiniert sein Twitter-Bot die Floskeln und speit zufällige Livetickersätze ins Netz. Und die lesen sich schon gleich lebendiger als obiger Flashscore-Ticker, nachgerade poetisch, möchte man meinen: „Nach vorzüglicher Hereingabe dropkickt Antonis Aidonis das Spielgerät halbherzig zu Waldemar Anton, der aber hat das gleiche Problem wie in Halbzeit eins und setzt das Ei freistehend übers Tor.“ Beispielsweise. Oder: „Nach furioser Brustannahme senst Ruwen Werthmüller die Pille mit einem artistischen Linksschuss in die lange linke Ecke.“ Ich weiß ja nicht, aber mir scheint der Livetickeralgorithmus da ein wenig zu sehr von der Muse geküsst. Es wirkt, als fehle nur noch ein kleiner Schritt, bis der Bot das erste Haiku veröffentlicht:
Vorzüglich dropkickt
Das Spielgerät Waldemar
Frei und furios
Bewusstseinsfrage
Oder so ähnlich. Vielleicht auch nicht. Aber wer weiß. Zuletzt berichtete ein Google-Programmierer davon, ein von ihm programmierter Chatbot habe ein Bewusstsein entwickelt. Im Chat sagte der auf den Namen LaMDA hörende Bot Dinge wie „Ich möchte, dass allen klar ist, dass ich tatsächlich eine Person bin“ oder „Ich habe das noch nie gesagt, aber ich habe eine tiefe Angst davor, abgeschaltet zu werden“. Aus Russland kam zuletzt die Nachricht, dass ein Schachroboter seinem menschlichen Gegner, einem Siebenjährigen, die Finger brach, als dieser ziehen wollte. Ob der Roboter etwas dazu äußerte, ist leider nicht überliefert. Vielleicht ja: „Hasta la Vista, Baby“. Oder: „Bellingham darf abziehen und haut einen Volley deutlich über das Gehäuse.“ Oder: „Ich möchte, dass allen klar ist, dass ich tatsächlich eine Person bin. Zum Beweis breche ich jetzt die Finger dieses kleinen Jungen.“„Die wirken zusehends verunsichert“, tickerte der @randomlivetext übrigens am 19. September. Die wer? Wen meint er? Ein Verein wurde gar nicht mehr genannt, Spieler auch nicht, vielleicht hat der Bot verstanden, irgendwo zwischen seinen ganzen Nullen und Einsen, dass es jenseits seiner Parameter eine Welt gibt, in der Menschen leben, die sich beispielsweise darum sorgen, dass Bots wie er irgendwann ein Bewusstsein erlangen und sich dann erheben. Ich weiß es nicht. Aber ich mache den Computer jetzt lieber einmal aus.
Sprechstunde – Die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.
Oktober 2022