Die Fußballsprache hat ein erstaunliches Set an Allgemeinplätzen hervorgebracht. Praktisch für Spieler und Funktionäre, denn sie können alles und nichts bedeuten. Aber funktionieren die Phrasen auch außerhalb des Sports?
Von Berufs wegen bin ich häufiger in Interviewsituationen mit Fußballern oder Fußballfunktionären – und wie sehr sich deren Art und Weise des Sprechens in den letzten Jahren verändert hat, ist wirklich erstaunlich. Man muss dazu wissen: Bis vor etwa zehn bis fünfzehn Jahren gab es so etwas wie Medienschulungen für Profifußballer nicht, sie sind eine Begleiterscheinung der Professionalisierung im Nachwuchsbereich, die etwa um die Jahrtausendwende einsetzte. Und, na ja, eine Begleiterscheinung der Tatsache, dass Fußballer schon immer prädestiniert waren, wirklich dämliche Dinge zu sagen. Beweis dafür sind die vielen Bücher mit Fußballersprüchen.Floskel-Endlosschleife
Dass Fußballer heute sprachgeschult werden, führte leider zur Herausbildung eines bunten Straußes an Floskeln, mit dem Spieler, Trainer und Manager auf jedwede Gesprächssituation reagieren können. Hinzu kommt ein sich selbst verstärkender Effekt: Je häufiger bestimmte Floskeln in der Öffentlichkeit ausgesprochen – und vom Interviewenden auch nicht beanstandet – werden, desto selbstverständlicher werden sie weiterbenutzt. Ein ungewollt komisches Perpetuum mobile der Sinnbefreitheit. Wie oft habe ich schon einen Spieler sagen hören, er denke nur von Spiel zu Spiel. Oder er spiele dort, wo der Trainer ihn aufstelle. Er wolle im Training weiter Gas geben, um es dem Gegner so schwer wie möglich zu machen. Er wolle weiter hart arbeiten, um der Mannschaft zu helfen.Hilfe. Selbiges gilt übrigens für Funktionäre. Sie nutzen einen leicht abgewandelten Floskelwortschatz, hinter dem es sich ebenfalls wunderbar verstecken lässt. Scheint nach der 0:5-Klatsche der Trainerwechsel unausweichlich, wird stets „die Situation in Ruhe analysiert.“ Steht eine Neuverpflichtung an, ist der potenzielle neue Spieler „sicherlich eine spannende Personalie“, aber „Wasserstandsmeldungen abgeben“ könne man auch nicht. Und sowieso müsse man „auf dem Markt cleverer agieren“, weil die „finanziellen Rahmenbedingungen“ andere sind. „Verrückte Dinge“ werde man sicher nicht machen. Ist der Spieler dann verpflichtet, hat man sich „sehr um ihn bemüht“ und „ist froh, dass der Transfer letzten Endes geklappt hat“. Oft ist auch „der Kontakt nie abgerissen.“ Der Spieler selbst „musste nicht lange überlegen, als das Angebot kam“ und will stets „den nächsten Schritt machen“. Ob das unter dem Trainer klappt, ist allerdings fraglich. Denn der fordert gerne mal „die Grundtugenden“ ein, bei ihm „zählt nur Leistung“ und am Wochenende gilt es „umzusetzen, was wir den Jungs mit an die Hand geben.“
Worum geht’s?
Das alles kann alles und nichts heißen, nie ist es aber das, was die Spieler, Trainer und Manager tatsächlich denken. Das erfährt man leider überaus selten. Die Spieler, Trainer und Manager sind durch die Allgegenwart dieser Phrasen in der komfortablen Lage, nichts mehr sagen zu müssen, weil sie zu allem etwas sagen können. Es ist ein wenig, als hätten sie einen Schlüssel, der in alle Schlösser passt, einen Deckel für alle fußballbezogenen Töpfe. Der kleinste gemeinsame semantische Nenner, hinter dem alle anderen Bedeutungen versteckt werden können. Man könnte ein Wörterbuch aus der Sache machen: Fußballfloskel – Deutsch.- „Die Situation in Ruhe analysieren“ – „Montag schmeißen wir den Trottel raus“
- „Als das Angebot kam, musste ich nicht lange überlegen“ – „Ehrlich gesagt musste ich den Klub erstmal googeln“
- „Ich denke nur von Spiel zu Spiel“ – „Hört auf, mich mit euren Fragen zu nerven“
- „Ich will weiter hart arbeiten, um der Mannschaft zu helfen“ – „Mhh, hab ich zuhause den Herd ausgemacht?“
Mehr Phrasen bitte
Lustig wird es übrigens dann, wenn man diese Floskeln in andere Lebensbereiche überträgt. Denn sie sind so sehr im Fußball zuhause, dass sie überall sonst nachgerade lächerlich wirken. Weshalb ich mir umso dringlicher wünsche, dass die Phrasen bitte ihren Weg in den Alltag finden. Etwa so:Angestellter: „Nun, ich denke jetzt erst einmal von Mail zu Mail.“
Chef: „Wie bitte?“
Angestellter: „Ich kann in Excel nur weiter Gas geben und dem Chef die Entscheidung so schwer wie möglich machen.“
Chef: „Ich bin der Chef.“
Angestellter: „Ja gut, ich arbeite natürlich an dem PC, wo Sie mich hinsetzen. Um am Ende der Firma zu helfen.“
Chef: „Also ist die Präsentation fertig?“
Angestellter: „Nein.“
Chef: „In mein Büro!“
Oder der Managersprech im Supermarkt:
Kassierer: „Äh, wie bitte?“
Manager: „Die finanziellen Rahmenbedingungen müssen stimmen. Wir sind gezwungen, im Supermarkt cleverer zu agieren als andere. Wir werden keine verrückten Dinge machen.“
Kassierer: „Die sind doch sowieso reduziert. Eins Neunundsiebzig.“
Manager: „Super. Ich bin froh, dass der Transfer letzten Endes doch noch geklappt hat. Ich habe mich sehr um diese Fischstäbchen bemüht, der Kontakt ist nie abgerissen.“
Mein Wunsch wird wohl nur ein Wunsch bleiben, die Leute machen sich ja eher ungern in der Öffentlichkeit lächerlich. Andererseits bin ich selbst aktiver Teil des Sprachgebrauchs und damit, wenn auch mit überschaubarem Wirkungskreis, auch des Sprachwandels. Ich könnte also selbst tätig werden. Vielleicht ist es aber auch besser, ich mache so weiter wie bisher, arbeite weiter hart, damit ich es den Redakteurinnen und Redakteuren so schwer wie möglich mache und denke von Kolumne zu Kolumne.
Sprechstunde – Die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.
November 2022