Sprechstunde – die Sprachkolumne  Instagrammatik

Illustration: Ein Smartphone, daneben eine gezackte Sprechblase die das Wort „Bro“ enthält
Social Media – die perfekte Umgebung, um mit wenigen Worten nichts zu sagen © Goethe-Institut e. V./Illustration: Tobias Schrank

Das Internet ist ja nicht nur „Neuland“ – es verändert auch, wie wir sprechen und schreiben. Vor allem Fußballer treten dabei gerne in ein Fettnäpfchen.

Ich erinnere mich noch, als ich das erste Mal vom Internet erfuhr. Mitte der Neunziger hatten wir in der Schule ein Fach namens Arbeitslehre, in dem es auch um Computer ging. Um die Funktion des World Wide Webs zu illustrieren, sagte der Lehrer, man könne im Internet mit einem Menschen am anderen Ende der Welt Schach spielen. Wie unspektakulär, dachte mein Teenager-Ich damals. Schließlich könnte man ja auch einfach mit seinem Bruder Schach spielen oder mit einem Kumpel. Internet, pff, so ein Quatsch würde sich sicher nicht durchsetzen. 

Was ist bloß aus dem Punkt geworden?

Nun ja, vielleicht nicht meine beste Prognose. Knapp 20 Jahre später ist das Internet unersetzlicher Bestandteil des Lebens, wir arbeiten darin, leben darin, manipulieren Wahlen darin, und ja, wahrscheinlich spielen manche auch Schach gegen einen Menschen am anderen Ende der Welt darin. Interessant ist, wie sich die Nutzung des Internets auf jene der Sprache auswirkt. So wurde ich zuletzt stutzig, als ich erfuhr, dass der gute alte Punkt in der Sprache des Internets seine Bedeutung verändert hat: Eine britische Studie ergab, dass junge Leute es als unhöflich und grob empfinden, wenn ein Satz in einem Chat mit einem Punkt beendet wird. Ich könnte nun im Rahmen der gesamten Kolumne auf Punkte verzichten, schließlich will ich nicht als unhöflich gelten, es dürfte dann aber ein wenig unübersichtlich werden, ich neige ja eh schon zu langen Sätzen. Glauben Sie mir also bitte, wenn ich sage, kein einziger meiner Punkte ist böse gemeint. 

Der Punkt ist meiner Meinung nach ein gutes Beispiel, wie sich Bedeutungsebenen von Sprache verändern, je nach Medium, in dem sie stattfinden. Das Internet und Social Media sind dabei ein wenig wie sprachliches Glatteis, über das seit einer Weile alle drüberlaufen müssen, und ständig fällt jemand hin, weil sich hier mal eine Bedeutung verändert, dort mal eine sprachliche Konvention verschiebt. Der Sport bietet fantastisches Anschauungsmaterial dafür, wie sich Sprache verändert. Angesichts der Instagram-Accounts von Profifußballern fällt einem recht schnell die absolute Gleichförmigkeit der Statements auf: 
  • Not the result we wanted. But we’ll keep on fighting.
  • The kind of reaction we needed to show after a tough last week.
  • What a fight. Proud of the team.
  • Bitter end to a good performance - but if we keep working hard, the results will follow.

Statements – inhaltsleer

Um nur einige Beispiele zu nennen. Die Statements sind dabei meist auf Englisch, schließlich wenden sie sich an eine globale Anhängerschaft, vor allem sind sie aber komplett inhaltsleer. Nun könnte man einwenden, dass das ja ohnehin nur kleine Begleittexte für schön geknipste Fotos sind. Aber sie sind freilich mehr als nur das, nämlich die Art und Weise, mit der die Spieler mit ihren vielen, vielen Fans kommunizieren. Bezeichnend auch die Antworten anderer Spieler, die zu 99 Prozent aus Flammen-Emojis bestehen, gern gepaart mit dem Wort „Bro“.
 
Social Media, so scheint es, ist die perfekte Umgebung, um mit wenigen Worten nichts zu sagen. Als hätte man alle floskelhaften Fußballer-Interviews in einen Lostopf gekippt und mit jedem Post ziehen die Spieler ein neues, egales Los. What a result. Amazing performance. Great support. Proud of the boys. We keep on working. Und na klar, die meisten Kicker haben Agenturen im Hintergrund, die für die Inhalte (oder besser: Nicht-Inhalte) verantwortlich sind. Was dann auch zu witzigen kleinen Fettnäpfchen führen kann. Sunderland-Stürmer Victor Anichebe twitterte einst: „Can you tweet something like: Unbelievable support yesterday and great effort by the lads! Hard result to take! But we go again!“. Offensichtlich hatte er nicht einmal mehr gelesen, was ihm von der Agentur geschickt wurde, sondern einfach kopiert und veröffentlicht. Es ist ja tatsächlich eigentlich egal.

Gechillt in der 4. Liga

Und irgendwie ist es auch verständlich, schließlich lebt Social Media von der Erregung, den erhitzten Gemütern. Hätte Anichebe mal ehrlich rausgehauen, warum das Result so hard to take war, hätte es wahrscheinlich ordentlich Aufruhr gegeben. Möglicherweise hat er (und viele andere nichtssagende Fußballer) die Lehren aus der Geschichte rund um Julio Rey gezogen. Der damals 20-Jährige spanische Viertliga-Stürmer unterschrieb nämlich 2015 einen Vertrag bei Erstligist Deportivo La Coruna, ein Traum ging in Erfüllung. Nur dass sein Vertrag wenige Tage später wieder aufgelöst wurde, weil jemand im Netz ein paar Tweets von 2012 fand, in denen Rey seinen Wunschclub Deportivo aufs Übelste beleidigte. Auch das ja ein Problem dieses Mediums: dass es nicht vergisst. Dann also lieber nichts sagen, indem man immer dasselbe sagt.

Rey ist nie über die unteren Ligen hinausgekommen, mittlerweile kickt er bei Arosa SC in der vierten Liga, sein Instagram-Konto ist leider privat, weshalb ich nicht weiß, ob er proud of the boys ist oder weiter hard working wird, damit die results dann followen werden. Auf seinem Profilbild macht er aber einen entspannten Eindruck, er steht am Strand und hält ein Surfbrett, scheint also als Viertligist Zeit für die schönen Dinge des Lebens zu haben. Surfen etwa, oder im Internet mit Menschen am anderen Ende der Welt Schach spielen.
 

Sprechstunde – Die Sprachkolumne

In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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