Sprechstunde – die Sprachkolumne  Poesie anderer Tiere

Illustration: Eine Person deutet  auf Diagramme, Sprechblase mit den Wörtern NUTZ und  TIER
Ein Nutztier ist nie das Subjekt, es ist immer das Objekt miss/handelnder Menschen © Goethe-Institut e. V./Illustration: Tobias Schrank

Wir Menschen machen uns andere Tiere zunutze. Können wir auch eine andere Perspektive einnehmen? Unsere neue Kolumnistin Manon Hopf begibt sich auf die Suche: nach einer Poesie anderer Tiere.

Viele Menschen in Deutschland, und davon möchte ich mich nicht ausnehmen, betrachten andere Tiere oft mit einem eher pragmatischen Blick, wenn es dabei nicht gerade um unsere geliebten Haustiere geht. Oft steht dabei der Gedanke im Vordergrund, wie andere Tiere den Menschen nützen oder nützlich sein können – oder, wie sie den Menschen und ihren Zielen am wenigsten im Weg sind oder schaden. Im Deutschen gibt es das Wort Nutztier, das laut Duden ein [anderes] Tier bezeichnet, das vom Menschen wirtschaftlich genutzt wird. Ich möchte noch klarer werden und die Menschen aktiv in die Verantwortung ziehen: Ein Nutztier bezeichnet ein anderes Tier, das der Mensch wirtschaftlich zu seinem Vorteil und immer zum Nachteil des anderen Tieres [aus]nutzt. Ein Nutztier ist nie das Subjekt, es ist immer das Objekt miss/handelnder Menschen.

Nutztiere und Arbeitstiere

Mit Nutztieren sind andere Tiere, die beispielsweise zu Fleisch oder deren Erzeugnisse zu konsumierbaren Produkten weiterverarbeitet werden ebenso gemeint wie Arbeitstiere. Arbeitstiere sind einerseits zur Leistung von Arbeit eingesetzte andere Tiere, andererseits kann damit auch ein Mensch bezeichnet werden, der unermüdlich arbeitet, vielleicht sogar tierisch gut oder gerne, jedenfalls sehr viel und produktiv, eine Art Workaholic eben. Die Arbeit steht vor dem Tier, sei es nun menschlich oder nichtmenschlich, und wertet das Tier auf, weil es sich nützlich macht oder eben nützlich gemacht wird: Nutzen bedeutet Ertrag, Gewinn oder Gebrauch, auch Vorteil. Ganz nah stehen sich etymologisch auch nutzen und genießen. Im Deutschen kommen die beiden Worte im Nutznießen ganz wunderbar zusammen – und das hat, wie ich finde, ein Geschmäckle, einen besonderen Beigeschmack. Dieser Geschmack wird auch dort besonders bitter, wo Haustier und Hausfrau nebeneinanderstehen: Hausfrauen und Haustiere sind an das Haus gebunden, gehören diesem Ort an, die Arbeits- und Nutztiere gehören einem Wirtschaftszweig an usw. – und sie alle haben zu folgen, zu gehorchen, haben sich nützlich zu machen.

Ich möchte versuchen diesen dominierenden, domestizierenden [von δῶμα: Haus] Blick zu brechen und mich anderen Tieren poetisch nähern, mit einem empathischen Blick. Bei all dem Fleisch, das durch menschliche Münder und Mägen geht, wachsen nicht irgendwo Zungen nach? Wie kann ich über andere Tiere sprechen, mich ihnen vorsichtig nähern, in meiner Sprache, die gar keinen Ort für ihre Freiheit kennt? Was ist artgerecht, was könnte das sein, eine artgerechte Sprache? Ich möchte mein Sprechen also entarten, entgrenzen, meiner Sprache Fühler wachsen lassen –

Ich habe andere Tiere genießen sehen. Und spielen. Ich habe sie sprechen sehen, ich habe sie manchmal verstanden – und sie mich. Es gibt Gesten, die wir mit anderen Menschenaffen teilen. Wir Menschen wissen noch sehr wenig über die Sprachen anderer Tiere, geschweige denn darüber, wie sie ihre Sprachen nutzen, ob auch sie mit Sprache spielen, sie genießen. Ich halte es nicht nur für möglich, sondern auch für wahrscheinlich – andere Tiere haben sich parallel zu Menschen, zusammen mit den Menschen entwickelt. Unsere DNA ist uralt [die ersten DNA-Moleküle vervielfältigten sich vor mehr als vier Milliarden Jahren] – und wir teilen mit anderen Tieren viel mehr, als uns unterscheidet: so stimmt die DNA von Bonobos beispielsweise zwischen 98 und 99 Prozent mit der menschlichen DNA überein. Bei Mäusen sind es circa 90 Prozent, ebenso bei Katzen und Schweinen – bei Hunden wiederum nur 84 Prozent.

Poetische Un/Möglichkeiten

Nicht jede Tierart kann alles, verfügt über alle Fähigkeiten gleichermaßen – auch Menschen nehmen nicht alles wahr, was passiert, was kommuniziert [wird]. Erwiesen ist: Viele andere Tiere empfinden ganz ähnlich wie wir. Sie freuen sich, leiden, sie trauern, sie haben Angst, sie sind wütend, sie streiten sich und schlichten, sie zeigen Reue, sie lachen und schreien, manche andere Tiere tanzen. Zeigen Mitgefühl. Fühlen Trennungsschmerz. Führen Beziehungen, haben Freundeskreise und ihre Abneigungen. Andere Tiere haben eigene Kulturen. Sie leiden unter Zwangs- und Angststörungen, unter Posttraumatische Belastungsstörungen und Depressionen – und können wie wir Menschen mit Psychopharmaka behandelt werden: weil unsere Gehirne ähnlich funktionieren. Viele Wildtiere empfinden in unserer Gegenwart Stress und Todesangst. Viele andere Tiere haben vergleichbare Ansprüche an ihr Leben wie wir. Andere Tiere singen. Sie erinnern sich. Sie erzählen.

Ich möchte also schreiben über die Poesie anderer Tiere, ich schreibe aus mir heraus, über das, was ich wahrnehmen und wissen kann und über das, was Poesie auch sein könnte – über poetische Un/Möglichkeit.


auch das von andren
tieren lernen: das wort
so lange im mund halten
bis es sauer wird
und dann ausspucken



von andren tieren lernen:
befehle ignorieren
langsam sein
arbeit verweigern
streiken
außerplanliche pausen erzwingen
equipment zerstören
auch gehege
steine schmeißen
zurückschlagen
ausbrechen und wegrennen
alles in abfolge oder
zur gegebenen zeit



und von anderen tieren
das lachen lernen weil jeder verstandene
witz eine kerbe schlägt
einen haken fährt
auf der zunge:

menschen sind häßliche
vögel

 

Sprechstunde – Die Sprachkolumne

In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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