Sprechstunde – die Sprachkolumne  Körper, Sprache

Illustration: Eine Sprechblase mit verschiedenen Armen und Händen, die unterschiedliche Gesten wiedergeben
Human gestures aren’t universal either. Their meanings can diversify depending on socialisation © Goethe-Institut e. V./Illustration: Tobias Schrank

Dialekt, Tanz, Gebärdensprache, Gestik – andere Tiere kommunizieren erstaunlich vielfältig. Manon Hopf macht uns damit vertraut.

Ähnlich wie Buckelwale in den zunehmend lärmüberfluteten Meeren, singen auch Vögel in den Städten lauter – und niemand würde bestreiten, dass sie singen: Jede Singvogelart hat ihre eigenen Melodien, die meisten davon sind angeboren. Das Lied einer Amsel etwa besteht aus vielen kleinen Abfolgen oder Melodien. Jede klingt für sich immer gleich, nur die Reihenfolge wird vom einzelnen Individuum stets neu variiert. Manche Vogelarten können neue Melodien dazulernen – und je nachdem, in welchem Gebiet einzelne Vögel leben oder aufgewachsen sind, klingen ihre Lieder anders: Sie singen im Dialekt. Diese Dialekte bleiben ein Leben lang erhalten und verraten, woher die Vögel kommen – genau wie bei uns Menschen. Auch Pottwale, Delfine und sogar Bienen haben Dialekte. Und befreundete Affen können sogar dieselben Sprachticks entwickeln.

Neues Vokalisieren

Was wiederum kaum jemand weiß: Auch ein Mäuserich kann singen – und seine Lieder werden immer komplizierter, wenn die begehrte Maus, für die er singt, nicht sichtbar, sondern nur zu riechen ist. Kleine Sackflügel-Fledermäuse üben schon ganz früh das Singen, in einer Art Brabbelphase, wie menschliche Babys. Viele andere Tiere ziehen bestimmte Musik einer anderen vor – Katzen genießen beispielsweise Streich- und Klaviermusik. Der Cellist David Teie komponiert Musik für andere Tiere und verwendet für sein Album Music for Cats u.a. Laute, die Sauggeräuschen beim Milchtrinken und Katzenschnurren ähneln. Also alles andere als Katzenmusik. Dann gibt es noch besonders stimmbegabte andere Tiere – Raben können die Stimmen von Menschen und anderen Tieren imitieren und beispielsweise Hundebellen gezielt einsetzen. Und Koshik, ein Elefantenbulle in Südkorea, kann, indem er den Rüssel an die Zunge legt, fünf Worte auf Koreanisch aussprechen.

Manche Tiere vokalisieren –andere wiederum tanzen gern. So gibt es Ratten, die es lieben, mit anderen Ratten herumzuhängen, um sich gemeinsam schiefzulachen. Sie tanzen, und bevorzugen dabei dasselbe Takttempo wie Menschen. Ob sie lieber tanzen oder gerne lachen, ist wie bei uns Menschen eine Charakterfrage. Aber nicht alle anderen Tiere, die sich auf Videos im Internet zu Musik bewegen, können auch tatsächlich tanzen. Um dies zu können, braucht es Rhythmusgefühl, die Fähigkeit, sich mit dem Takt zu synchronisieren – und die Ahnung, wann der nächste Schlag eintreffen wird. Die wohl bekannteste Tanzsprache anderer Tiere ist die der Honigbienen. Dieser Tanz hat wenig mit dem richtigen Ton oder Taktgefühl zu tun. Die Bienentänze dienen vor allem dem Informationsaustausch über Nahrungsquellen oder der Abstimmung über einen neuen Nistplatz. Richtig gelesen: Andere Tiere praktizieren demokratische Abstimmungsverfahren.

Gebärden

Sprache ist bei weitem also nicht nur das: Lautäußerung und Schrift. Die Deutsche Gebärdensprache (DGS) wurde erst 2002 als eigenständige Sprache anerkannt. Sie besteht aus Handzeichen, Mimik und Körperhaltung und ist eine visuell-manuelle Sprache. Auch die DGS verfügt über unterschiedliche Dialekte und Vokabeln. Weltweit gibt es ungefähr 200 verschiedene Gebärdensprachen mit unterschiedlicher Grammatik und verschiedenem Wortschatz. Und es gibt Gebärdenpoesie – zum Beispiel die Literaturinitiative handverlesen, die sich für ein neues Verständnis von Literatur einsetzt, das visuelle, gebärdete Texte miteinschließt. Abgewandelte Gebärdensprache wurde auch in der Forschung als Kommunikationsweg mit Menschenaffen genutzt. Die Schimpansin Washoe konnte hunderte Worte gebärden und kombinierte sie zu neuen poetischen Ausdrücken –- beispielsweise „Wasser“ und „Vogel“ für „Schwan“ oder „Schrei“, „Schmerz“ und „essen“ für „Radieschen“.

Infralaute

Denn nicht nur Menschen, auch andere Tiere kommunizieren über Mimik und Gestik. Während Mimik vor allem auf kurze Distanz funktioniert, kommuniziert Gestik über größere Distanzen hinweg. Hunde wedeln mit der Rute, Katzen peitschen mit dem Schwanz – und meinen das Gegenteil. Auch menschliche Gesten sind nicht universell. Ihre Bedeutungen können je nach Sozialisation auseinandergehen. Elefanten flattern mit den Ohren als Ausdruck von Erregung und Freude. Dabei ist das Schlagen auf der Haut zu hören. Es lässt andere Elefanten aufhorchen und Kontakt aufnehmen. Elefanten spüren – oder hören – zudem Infralaute und Vibrationen mit den Füßen und können so auf bis zu 10 km Entfernung Alarmsignale anderer Herden empfangen. Diese Infralaute, sogenanntes Rumbling, entstehen mithilfe von Stimmlippen im Kehlkopf der Elefanten und können die Lautstärke eines Gewitterdonners oder Presslufthammers erreichen. Dabei spielt die Größe der Elefanten als Klangkörper eine entscheidende Rolle. Indem sie den Rüssel an den Boden pressen, verstärken oder empfangen sie den Infraschall – die Richtung des Signals verraten ihnen aber erst ihre Füße. Für uns Menschen sind diese Infralaute so tief, dass wir sie kaum wahrnehmen können, höchstens als Vibration. Elefanten finden in der Paarungszeit per Infraschall zusammen – wie wäre das zu fühlen: Liebeslyrik, Poesie, die durch die Füße geht?

dein infralauten kommt in klage
wellen über mich: bedecke
meine sprache mit erde
& blätter wenn sie ruft durch den grund
nach mir knicke in diesen moment
dein eselsohr lass es brennen
lauschen

Chemische Signale

Die einen hören mit den Füßen, die anderen riechen mit ihren Fühlern – Insekten sind die artenreichste Klasse anderer Tiere. Sie kommunizieren über visuelle, auditive wie auch über chemische Signale. Mithilfe von Infochemikalien, den Pheromonen, werden neben der Partnersuche Versammlungen einberufen, Individuen abgelenkt, Spuren als Wegbeschreibungen gelegt und Alarm geschlagen. Diese Signale können über Arten hinweg kommunizieren – absichtlich, indem sie als Schutz vor Fressfeinden dienen, oder unabsichtlich, indem sie sich an genau diese verraten. Auch können zwischen Insekten und Pflanzen Informationen ausgetauscht werden. So verändern Pflanzen, die von Insekten befallen werden, ihr Duftmuster dergestalt, dass andere räuberische Insekten angelockt werden, die die Pflanzenfresser wiederum verspeisen – setzen also eine Art Hilferuf ab. Und wer sagt, dass nicht nur wir Menschen Nutzpflanzen nutzen, sondern auch bestimmte Pflanzen uns, um ihre Samen zu verbreiten?

mein körper ein nest
das wir geteilt haben
habe keine spur aus
pheromond gelegt: folg mir
lieber nicht
[dich an der nase langführen]


Eigenständig

Oft werden die Erkenntnisse über Sprachen und Kommunikationswege anderer Tiere, insbesondere von Insekten, von Menschen gegen sie verwendet, ihre eigenen Sprachen gegen sie gewendet. Kaum erkennen Forscher*innen die Kommunikationssignale von Schädlingen, werden diese zu ihrer Bekämpfung eingesetzt. Wer weiß denn, dass manche Insekten schon vor Millionen von Jahren angefangen haben, das Ende ihrer Botschaften mit einem Signal zu markieren – ein kleines Over-and-Out? Und wie verändert dieses Wissen über andere Tiere und über unsere Nähe zu ihnen unser Handeln – denn die kognitive Dissonanz ist groß: die Trennung zwischen Maus und Mausmodell.

Das war nicht immer so und auch nicht überall – in vielen indigenen Kulturen begegnen Menschen anderen Tieren anders. Mit Mitgefühl, mit Verständnis, mit Achtung. Mit der Fähigkeit, die eigene Perspektive aufzubrechen und zu hinterfragen. Andere Tiere nicht nur als Sprechende, sondern auch als Zuhörende ernst zu nehmen und wertzuschätzen – denn nicht nur Menschen blicken auf die Welt und auf andere Tiere: Andere Tiere und die Welt blicken zurück. Franziskus von Assisi nahm andere Tiere als eigenständige Wesen und Individuen wahr und wandte sich mit Predigten an die Vögel – was aber predigen die Vögel uns?

rrrrrgida rrrrra dada
da dagida da da
d drrrr daaaadiga
d drrrrda drrrtschicka

 

Sprechstunde – Die Sprachkolumne

In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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