Sprechstunde – die Sprachkolumne  Für und mit anderen Tieren schreiben

Illustration: Eine Person mit Sprechblase in Form eines Buches, auf dem Buchcover die Buchstaben „TIERE”
Nicht nur über andere Tiere schreiben, sondern mit ihnen und für sie © Goethe-Institut e. V./Illustration: Tobias Schrank

In ihrer letzten Kolumne fasst Manon Hopf noch einmal zusammen, wie man gewaltfrei über andere Tiere schreiben kann – und dies auch tun sollte. Und welche Möglichkeiten die Poesie bietet, mit ihnen in den Austausch zu geraten. Zum Beispiel über Geruchsgedichte.

Wie kann, wie möchte ich also über andere Tiere sprechen oder schreiben – denn wie ich als Mensch über sie spreche, wie ich mit ihnen umgehe, hat existentielle Auswirkungen auf das Leben anderer Tiere, über die sich viele Menschen immer und immer wieder gewaltvoll in Wort und Tat hinwegsetzen. Vielleicht gelingt eine Annäherung im Wissen, dass ich als Mensch nicht außerhalb der Natur denke und handle, sondern dass mein Handeln und Denken Teil von Natur ist, und deren bestimmende Größe und Zentrum eben nicht der Mensch ist, sondern sie selbst.

Eindenken

Ich versuche also, einen Schritt vor mir zurückzutreten, mich einzudenken in andere Tiere, mich zu begreifen als Teil des Prozesses Natur, meine Perspektive aufzubrechen und mich zu öffnen für eine multiperspektivische Natur – und alles in ihr als Handelnde, als Subjekte zu verstehen mit dem Wunsch nach und dem Recht auf ein gutes Leben. Wie können sich zwei Subjekte begegnen, ansehen, erkennen lernen, wenn nicht über die Verschiebung von einseitig verlangtem Zutrauen in beidseitig befragendes, vorsichtiges Vertrauen. Und dem Verstehen, dass Gewalt im Umgang mit anderen Tieren nicht natürlich [gegeben] ist, sondern eine Entscheidung, die Mensch trifft – andere Tiere zu beschimpfen, zu erniedrigen, gefangen zu halten, zu schlagen, zu töten, wann und wie immer Mensch will. Kultur ist was die Natur tut, schreibt Karen Barad, und auf welchem Umgang sowohl untereinander als auch mit anderen Tieren unsere Kultur aufbaut – das ist unsere Verantwortung.

Aufhören zu verdrängen oder zu leugnen, dass es sie gibt – die vielfältigen Beziehungen, die Menschen mit anderen Tieren eingehen und immer schon eingegangen sind. Menschen haben eine Bedeutung im Leben anderer Tiere – und welche das ist, können wir beeinflussen und müssen wir ändern. Zwar gelten andere Tiere seit 1990 in Deutschland nicht mehr als Sache, dennoch sind Vorschriften entsprechend einer Sache anzuwenden und noch immer wird das Töten anderer Tiere oft als Sachbeschädigung verhandelt. Die scharfe Abgrenzung zwischen Menschen und anderen Tieren durch die Aufklärung und mit Descartes, und damit andere Tiere als Dinge, als schreiende Maschinen anzusehen, hat das Bild auf andere Tiere nachhaltig verändert und die industrielle Haltung und Schlachtung anderer Tiere stark begünstigt.

Widerstand

Andere Tiere können auf eine lange Geschichte des Widerstands gegen Menschen zurückblicken. Mensch könnte sogar argumentieren, dass der wiederholte und anhaltende Widerstand anderer Tiere gegen ihre ökonomische Nutzbarmachung den Einsatz von Maschinen etwa in der Landwirtschaft verursacht, zumindest aber beschleunigt hat. Der andauernde und wiederholte Widerstand von Zirkustieren hat zu einem Umdenken in der Zirkusindustrie geführt. Auch in Meeres-Themenparks kommt es immer wieder zu Arbeitsverweigerung und Gewaltausbrüchen von Delfinen und Orcas. Und immer öfter gibt es Berichte von Orca-Angriffen auf Segelboote vor der Iberischen Halbinsel – im Internet zieht daher der Hashtag #orcanize seine Kreise.

Was könnten aber andere Tiere davon haben, wenn Menschen Gedichte oder Lyrik über andere Tiere schreiben, poetische Mittel nutzen, um ihre Anliegen und Perspektiven andere Tiere betreffend auszudrücken? Denn die Leser*innen bleiben immer menschlich. Natürlich hat die Sprache, die wir nutzen, einen Einfluss darauf, wie wir über andere Tiere denken und wie wir mit ihnen umgehen, mit ihnen in Kontakt treten. Poesie kann ein Mittel sein, verbindende Elemente zwischen Menschen und anderen Tieren zu verdeutlichen, anthropozentrisches Sprechen, Denken und Handeln zu dekonstruieren – und dadurch Veränderung im Leben anderer Tiere zumindest vorzubereiten. Vom „erst denken, dann handeln“, das meistens beim Denken stehenbleibt, in ein handelndes Denken, ein denkendes Handeln zu kommen.

die stille über der neuen welt
wenn alle worte ertrunken
sind erschöpft liegen
wie teppiche toter vögel
im meer

Poesie ohne Menschen

Und gleichzeitig gibt es ein immer größeres Interesse daran, mit anderen Tieren in Austausch zu kommen, sich zu verständigen. Kaum jemand, der*die enger mit anderen Tieren zusammenlebt und/oder zusammenarbeitet und auf diese Beziehung tatsächlich eingeht, würde behaupten, dass Empathie und Zärtlichkeit, Hingabe oder Geduld, Schönheit ausschließlich menschliche Eigenschaften wären – sie sind Eigenschaften dieser Welt, einer geteilten Natur. Möglichkeiten, über Anthropozentrismus hinauszudenken, bieten auch verschiedene Vertreter*innen des Spekulativen Realismus, die, so unterschiedlich ihre Positionen sind, die Notwendigkeit eines Denkens jenseits des Menschen eint. Interessant ist vor allem aber der Einfluss des Spekulativen Realismus auf verschiedene Kunstformen, wo es immer wichtiger wird, die Natur selbst als gestaltende, poetische Akteurin zuzulassen, und Menschen als nur einen von vielen möglichen handelnden Faktoren in der Produktion von Kunst zu sehen – die Natur ist das eigentliche Subjekt, nicht der Mensch. Wie könnte sich das ansehen, sich fühlen, zuhören, riechen, schmecken, sich x-en – das stete Sprechen der Natur: eine Poesie ohne den Menschen, oder eine Poesie trotz Mensch. Eine Natur, die sich immer wieder selbst berührt und befragt – ist das nicht ein Verfahren der Poesie? Aus Vorhandenem etwas Neues, Kreatives, vielleicht Poetisches gestalten – ist das nicht ein Verfahren von Natur? Poesie entsteht beim Machen und Wahrnehmen gleichermaßen, sie strahlt in alle Richtungen aus – ein Gedicht entsteht beim Schreiben und bei jedem Lesen immer wieder neu, nur seine Ausgangslange, die Spuren sind andere. Wie könnte Poesie oder ein Gedicht aber von anderen Tieren selbst zeugen, wie könnte ein Text Spuren dieser Zeugenschaft, des selbstständigen Handelns und sich [Ein]Schreibens anderer Tiere beinhalten?

Multispezies-Poesie

Mara-Daria Cojocaru schreibt Gedichte mit und für andere Tiere. Sie erkundet u.a. in ihrer Lyrik die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Menschen und anderen Tieren, in ihrer Art, die Welt zu lesen und zu kommunizieren –  insbesondere zusammen mit den Hunden, mit denen sie zusammen- und für die sie lebt. Lyrik kann dabei helfen, neben menschlicher Sprache auch mit anderen Ausdrucksformen zu experimentieren, zu spielen – Systeme und Perspektiven zu verschieben, aufzubrechen. Sich den Sprachen und Sinnen anderer Tiere zu öffnen, ihren Kulturen auf die Spur zu kommen, auf die Schliche – auf jemanden zuzugehen muss immer auch heißen, über oder aus sich selbst hinauszugehen. Mara-Daria Cojocarus Multispezies-Poesie soll Hunde und andere Tiere nicht nur zum Gegenstand haben, sondern mithilfe von Bild- und Geruchselementen auch von Hunden als Ko-Autoren und als Publikum mitgeschrieben und gelesen werden können.

Eine Möglichkeit könnte das Schreiben von gemeinsamen Geruchsgedichten sein: Auf einem Spaziergang an einem Ort mit einem interessanten oder klingenden Namen werden Materialproben dort eingesammelt, wo die Hunde schnüffeln. So viele wie es Buchstaben im Ortsnamen gibt. Zuhause darf der Hund dann nochmal an den gesammelten Proben schnüffeln und gemeinsam wird sich für eine Auswahl an Material entschieden. Drei Regeln gibt es: „1. The dog is the lead artist, so watch and learn“, 2. „Have fun with your dog and respect their style.“, 3. „Really do think about how dogs read their environment, what they might find interesting - or not so much.“ Wer Lust hat, kann dazu ein Akrostichon mit dem Ortsnamen verfassen – während Mensch dann den Text liest, kann Hund und auch Mensch das Geruchsgedicht lesen. Resultat sind visuelle und Geruchsgedichte, die in Ausstellungen gezeigt und auch Hunden zugänglich gemacht werden können – wenn aber ein Hund sich unbeeindruckt zeigt von den Gedichten, außer sie sind leichte Kost, so möge man sich das nicht zu Herzen nehmen, meint Mara-Daria Cojocaru. Das sei bei den meisten Menschen kaum anders, wenn es um Gedichte geht.

Perspektiven aufbrechen

Poesie kann so eine Form sein, spielerisch an Wissensgrenzen und über sie hinaus zu arbeiten. Sie kann eine Möglichkeit sein, etwas über andere Tiere, über Hunde und ihre Wahrnehmung von Welt zu erfahren. Darüber, wie kreativ sie sein können – und wie kreativ Menschen mit ihnen. Und vielleicht wäre das etwas, was wir in unseren Alltag integrieren könnten und das uns hilft, die eigene Perspektive immer wieder und immer weiter aufzubrechen: mit respektvoller Distanz wirklich beobachten, sich dafür interessieren, was ein anderes Tier interessiert – ohne zu stören, ohne die eigene Neugierde oder Perspektive in den Vordergrund zu stellen. Wohin geht ein Blick? Und wenn sich Blicke kreuzen, wissen: hier könnten sich begegnen zwei beinahe Gleiche und wie ein anderes Tier diese Begegnung erinnern, was es über sie erzählen wird, liegt auch daran, wie wir ihm begegnen und begegnet sind.
 

Literatur zum Thema Poesie anderer Tiere

Karen Barad: Transmaterialities
Karsten Brensing: Die Sprache der Tiere
Mara-Daria Cojocaru: Anstelle einer Unterwerfung
Mara-Daria Cojocaru: Menschen und andere Tiere
Caspar Henderson, Judith Schalansky (Hg.): Wahre Monster
Eva Meijer, Judith Schalansky (Hg.): Die Sprachen der Tiere
Jan Mohnhaupt: Tiere im Nationalsozialismus
Ana Cristina Santos : LGBTQ+ Intimacies in Southern Europe
Hilal Sezgin: Artgerecht ist nur die Freiheit

Sprechstunde – Die Sprachkolumne

In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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