Elias Hirschl, Autor aus Wien, Spoken-Word-Künstler, Musiker – und unser neuer Kolumnist – wundert sich sehr über die Schlachtrufe selbsternannter Bewahrer der deutschen Sprache. Verändert sich diese doch so oder so im Laufe der Zeit – gendern hin, Anglizismen her.
Als Kind habe ich das Buch Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod von Bastian Sick geliebt, weil ich alles geliebt habe, was mit den Irrungen und Wirrungen der deutschen Sprache zu tun hatte. Ebenso sein 2007 erschienener Bildband Happy Aua, zusammengestellt aus von Leser:innen eingesandten Rechtschreibfehler im öffentlichen Raum. Darauf bin ich sofort aufgesprungen, hab überall in meinem Alltag nach Rechtschreib- und Grammatikfehlern Ausschau gehalten, jeden „Deppenapostrophen“ in Kneipen- oder Friseurnamen eingefangen, wie ein seltenes Pokémon.Warum so martialisch?
Heute wird mir dabei etwas mulmig. Etwa, wenn in Der Dativ ist dem Genetiv sein Tod steht, Sick „sortiert den Sprachmüll“. Oder wenn er fragt, ob der „inflationären Verwendung von Bindestrichen noch Einhalt zu gebieten“ ist? Von einem „Hagel an Apostrophen“ ist da die Rede und, dass er „gegen falsches Deutsch und schlechten Stil zu Felde“ zieht. Warum diese martialische Sprache? Und zugegeben, Sick gesteht im Buch auch ein, dass Sprache sich „nicht auf ein immergültiges, fest zementiertes Regelwerk reduzieren lässt“, aber diese ganze Metaphorik und Ausdrucksweise erinnert mich leider doch stark an einen Verein, bei dem dieses Nörgeln über falsche oder neumodische Sprache nicht mehr ganz so spielerisch und gut gemeint daherkommt und bei dem Sick anscheinend auch immer noch selbst Mitglied ist: der Verein Deutsche Sprache (VDS).Vor nicht allzu langer Zeit machte der VDS unfreiwillig auf sich aufmerksam, als, wie von der Plattform Correctiv recherchiert, herauskam, dass Silke Schröder (damals noch im VDS-Vorstand) bei einem Geheimtreffen mit AfD-Vertretern und Neonazis in einer Potsdamer Villa dabei war. Natürlich ist das Verhalten einer einzelnen Person absolut nicht auf den gesamten Verein übertragbar – das will ich auch nicht tun. Aber selbst ohne diesen Skandal lässt sich festhalten, dass der VDS sehr seltsame Meinungen hat, um es freundlich auszudrücken. Gegenderte Sprache wird als „Unfug“ bezeichnet, als „unwissenschaftlich“, „grundgesetzwidrig“, „sexistisch“, „undemokratisch“ und „autoritär“. Der Vereinsgründer Walter Krämer schrieb 2016 vom „Meinungsterror unserer weitgehend linksgestrickten Lügenmedien“ und was für den Verein anscheinend das Allerschlimmste ist, sind Anglizismen. Der VDS führt auf seiner Website sogar einen Anglizismenindex. Man kann auch selbst einen Anglizismus melden, wenn man einen gefunden hat. Der Index umfasst über 400 Seiten und enthält so „neumodische“ Begriffe wie Band (= Kapelle, Musikgruppe), beer (= Bier) oder computer (= Rechner). Das unterscheidet sich von einem völlig normalen Englisch-Deutsch-Wörterbuch eigentlich nur durch den Anspruch. Denn der VDS-Index soll die englische Sprache nicht in erster Linie erklären, sondern ihr entgegenwirken. Man will Anglizismen „schon im Anfangsstadium ihres Erscheinens“ begegnen. Da ist sie wieder, diese martialische Sprache, als würde man über einen Krankheitserreger oder über Unkraut reden. Dem Index anbei gestellt sind einige „Karikaturen“, sowie ein paar Textbeiträge von Männern, die sich durch Titel wie „Schluss mit der Engländerei!“ oder „Die Anglomanie und die Sprachwissenschaft“ eigentlich eh schon selbst disqualifizieren.
Harmloser Apostroph
Das alles erinnert mich an einen Text des bedeutenden Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz aus dem Jahr 1697, mit dem wunderbaren Titel Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. Darin warnt Leibniz vor hippen, neumodischen Begriffen, die die Jugend heutzutage von ihren Auslandsstudien mitbringe. Klingt bekannt, oder? Nur, dass es bei Leibniz nicht die Engländerei ist, die die teutsche Sprache zerstört, sondern die schrecklichen Frantzosen mit ihren absurden Fremdwörtern wie „Adresse“, „Alarm“, „Akkord“, „akkreditieren“, „Attacke“ und tausende weiterer Begriffe, die uns heute so deutsch erscheinen, wie das deutscheste Wort,das jemals gedeutscht hat.So funktioniert Sprache nun mal. Sie verändert sich fortwährend. Gendern zerstört unsere Sprache nicht, sondern macht sie inklusiver. Fremdwörter zerstören unsere Sprache nicht, sondern eröffnen neue Horizonte. Und am allerwenigsten zerstören uns die Apostrophe in Walter’s Wirt’s’stub’n. Die deutsche Sprache geht jeden Tag aufs Neue unter, und das ist gut so.
Sprechstunde – Die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.
Juli 2024