Sprechstunde – die Sprachkolumne  Leistungsfixiert

Illustration: Eine Person, die auf eine Tafel mit mehreren Diagrammen deutet; Sprechblase mit dem Inhalt: „Performance, Performance, Performance“
Leistung scheint für viele politische Parteien das Allerwichtigste zu sein Illustration: Tobias Schrank; © Goethe-Institut e. V.

Warum reiten einige politische Parteien in Deutschland und Österreich so zwanghaft auf dem Leistungsbegriff herum? Welche Gesinnung steckt hinter ihren Floskeln? Elias Hirschl nimmt Passagen aus Parteiprogrammen unter die Lupe. Und rundet alles ab mit der Idee einer besseren Welt.

Leistung! Leistung! Und nochmal Leistung! Das scheint für viele politische Parteien in Deutschland und Österreich das Allerwichtigste zu sein. Liest man sich die verschiedenen Grundsatzprogramme durch, erkennt man auf den ersten Blick keinen Unterschied. Jede einzelne Partei ist dafür, dass sich Leistung wieder lohnen muss. Das klingt doch erst mal gut. Hinter der aalglatten Sprache verbergen sich jedoch frappierende Unterschiede. Deshalb möchte ich heute kurz einen Blick auf die jeweilige parteipolitische Sprache werfen, um diesem seltsamen Leistungsfetisch auf den Grund zu gehen.

Keine Hilfe für alle

Am direktesten formuliert es wahrscheinlich die CDU. Ihre Grundsätze lauten: „Wer arbeiten kann, soll arbeiten!“ oder „Fördern und Fordern“. Das teilt so oder so ähnlich auch die Österreichische Volkspartei ÖVP, indem sie verkündet: „Erarbeiten kommt vor Verteilen.“ oder „Wer Leistung nicht oder nicht mehr erbringen kann, hat Anspruch auf Hilfe der Solidargemeinschaft.“ Hier wird die eigentlich allen zustehende gesellschaftliche Hilfe an eine Art von Leistungsforderung geknüpft. Danach darf nur der Hilfe erwarten, der zuerst versucht hat, sich selbst zu helfen.

Bloß nicht hinfallen

Man stelle sich vor, wie es aussehen würde, wenn man im Alltag nach solchen Grundsätzen handelt. Wenn zum Beispiel eine alte Frau vor dir auf der Straße hinfällt, dann hilf ihr nicht einfach sofort auf. Frag sie zuerst, ob sie wirklich nicht dazu in der Lage ist aufzustehen. Frag sie, ob sie ein Attest vom Arzt hat, das beweist, dass sie nicht in der Lage dazu ist, aufzustehen. Frag sie, ob sie schon versucht hat, aufzustehen. Hilf ihr nicht auf, überleg dir lieber einen langfristigen Lösungsansatz, wie man in Zukunft das Hinfallen alter Frauen unterbinden kann. Dem prophylaktischen Verhindern des Hinfallens von alten Frauen ist Priorität einzuräumen gegenüber den Ad-Hoc-Aufhelf-Versuchen. Diese unterstützen die alten Frauen stets nur kurzfristig und vermitteln ihnen ein unrealistisches Bild von einer Welt, in der alten Frauen direkt Hilfestellung geleistet wird.

Zweierlei Maß

Das mag übertrieben klingen, bis man liest, dass die FDP es für eines der größten Probleme am Arbeitsmarkt hält, dass Arbeitslose von der „Arbeit entwöhnt“ seien. Die quälenden Hürden, über die sich Arbeitslose hieven müssen, euphemisieren die Freien Demokraten dann als „ermutigender Sozialstaat“ oder als „auf bestimmte Zielgruppen begrenzte Arbeitsmarktinstrumente“. Ähnliche Ansichten scheinen auch die österreichischen NEOS zu haben, wenn sie von degressiver Gestaltung reden. Konkret ist damit ein mit der Zeit immer geringer werdendes Arbeitslosengeld gemeint – und das verspricht man sich davon: „Das Signal des sinkenden Arbeitslosengeldes motiviert zur raschen Jobaufnahme.“ Einen ähnlichen Vorschlag vertritt auch die AfD mit ihrer Aktivierenden Grundsicherung. Absurd wirken solche Beschwerden über leistungsloses Einkommen vor allem, wenn man das Grundsatzprogramm der deutschen Grünen dagegenhält, in dem ebenfalls von „leistungslose[m] Einkommen“ die Rede ist – hier sind aber korrekterweise die Erträge aus riesigen Vermögenswerten von Reichen und Superreichen gemeint.

Die AfD bezeichnet zudem Geschlechterquoten als leistungsfeindlich, fokussiert gruslig viel auf Familien mit Kindern und sieht im EU-Freizügigkeitsrecht eine Hauptquelle für „Missbrauch des großzügigen deutschen Sozialsystems“. Die FPÖ will angeblich die „Mehrklassenmedizin“ nicht fördern, tritt aber für die Etablierung eines gesonderten Sozialversicherungssystems für „Bürger aus dem Ausland“ ein. Beide Parteien verschweigen gerne, dass Zuwanderer in Österreich und Deutschland deutlich mehr ins Sozialsystem einzahlen, als sie an Leistungen erhalten, auch wenn das selbstverständlich nicht die Bedingung sein sollte, um Menschen menschenwürdig zu behandeln.

Flexibel und lässig – im Wirtschafts-Video

Wie sich der neoliberale Leistungsgedanke wahrscheinlich am besten zusammenfassen lässt, zeigt ein Musikvideo, veröffentlich 2018 von der Wirtschaftskammer Österreich (WKO). Eine Gesangsstimme, die klingt, als gehöre sie zu einer zu heiß gewaschenen Wanda-Coverband, erläutert, weshalb der neu eingeführte flexibel über 12 Stunden verteilte Arbeitstag super lässig für die Arbeitnehmer ist. Dazu tanzen begeisterte Zeichentrickfiguren durch eine Kinderfernseh-Popart-Miniaturstadt, und ein skeptischer Mops fragt ab und zu kritisch nach, ob der 12-Stunden-Tag wirklich so eine gute Idee ist. Spoiler: Ja. (Den Song gibt es nicht mehr offiziell von der WKO auf Youtube, aber Dank dem Youtube-User MrBrenigan gibt es passenderweise einen Reupload in einer 12 Stunden-Version.)

So geht’s auch – sogar besser

Was all diese Positionen gemeinsam haben, ist eine völlig falsche Vorstellung davon, wie Menschen funktionieren. Der Mensch verspürte immer schon von sich aus den Drang, etwas zu erschaffen und produktiv zu sein. Einige der wichtigsten kulturellen Errungenschaften sind nicht aus Leistungswillen, sondern aus purer Langeweile entstanden. Man hatte ausreichend Zeit und gerade keine existentiellen Sorgen. Finanzielle und soziale Absicherungen machen einen nicht faul! Und selbst wenn, wo ist da bitte das Problem?

Worauf man als Gesellschaft hinwirken sollte, wäre doch eine Welt, in der man möglichst wenig arbeiten muss und möglichst viel Zeit mit spaßigen Aktivitäten, komplett unnötigen Projekten sowie Familie und Freunden verbringen kann. Wer glaubt, man müsse die Arbeitszeiten nicht verringern, sondern erhöhen, dem fehlt es einerseits an Menschlichkeit und andererseits noch viel mehr an Fantasie.
 

Sprechstunde – Die Sprachkolumne

In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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