Sprechstunde – die Sprachkolumne  Auf den Spuren von Geheimsprachen

Illustration: Zwei Personen (das Gesicht der einen Person ist mit einem Gestänge unterhalb des roborterartig wirkenden Kopfes befestigt); Sprechblase mit dem Inhalt „mxchfrk“
Das Bedürfnis nach sprachlicher Abschottung ist so alt wie die Menschheit Illustration: Tobias Schrank; © Goethe-Institut e. V.

Es muss nicht jeder alles mitbekommen. Und damit man da sicher sein kann, werden Geheimsprachen erfunden. Die gab es schon in der Antike, und die gibt es noch in der Gegenwart. Klaus Siewert, Germanist sowie Sprach- und Kulturwissenschaftler, ist seit den 1990er-Jahren mit der Dokumentation und wissenschaftlichen Erforschung von Geheim- und Sondersprachen befasst. Als neuer Kolumnist erzählt er uns die Geschichte geheimsprachlicher Kommunikation.

Ich geb´dir bees meis schiwwem schuck für die beheime! - Mei ratt, oder kein masematten!
Wie bitte? 300 Mark? Ich wollte doch nur Milch kaufen – und nicht gleich die ganze Kuh (beheime). Was da einst auf einem Markt irgendwo in Deutschland zwischen einem Viehhändler und einem Kaufinteressenten verhandelt wird, geschieht verdeckt, um Außenstehenden keinen Einblick in interne Preisverhandlungen zu gewähren. Das Mittel dazu: Zahlwörter aus dem Westjiddischen. 

Das Bedürfnis nach sprachlicher Abschottung ist so alt wie die Menschheit – und das Gegenteil von dem, was Sprache eigentlich leisten soll: gegenseitiges Verständnis und bestenfalls Verstehen unter Menschen zu ermöglichen. In den nächsten Folgen der „Sprechstunde“ lade ich Sie zu einem Spaziergang durch die Geschichte geheimsprachlicher Kommunikation ein.

Alles begann in Mesopotamien

Das erste Zeugnis für die Verschlüsselung eines Textes ist eine Tontafel aus Mesopotamien – ein um 1500 v. Chr. in Keilschrift geschriebenes Rezept für die Herstellung einer Glasur für Tongefäße. Bereits im 4. Jahrtausend v. Chr. sollen Schriftgelehrte der ägyptischen Hochkultur geheimschriftliche Hieroglyphen erfunden haben. Prominente Zeugnisse für geheimsprachliche Nachrichtenübermittlung in der griechischen und römischen Antike sind die Skytale von Sparta (griech.: skytala „Zylinder“) und der „Cäsarcode“. Das war ein auf das Alphabet bezogener Transpositionsalgorithmus, demzufolge Buchstaben einfach um bestimmte Stellwerte verschoben werden – Vorläufer der im Zweiten Weltkrieg eingesetzten Chiffriermaschine ENIGMA.

Noch dauerte es ein paar Jahrhunderte, bis auch die deutsche Sprache ins Spiel kam. Dazu etwas Geschichte im Schnelldurchlauf: Nach dem Niedergang des Römischen Reiches folgte auf die germanische Völkerwanderung die Landnahme der Germanen im heutigen deutschsprachigen Gebiet. Aus dem Westgermanischen entstanden die deutschen Stammesdialekte der Franken, Thüringer, Bayern, Alemannen, Schwaben und Sachsen, die wir als Althochdeutsch oder Altniederdeutsch zusammenfassen.

Codierte Kommentare

Jetzt stellt sich die spannende Frage: Ist das Deutsche womöglich resistent gegenüber Verschlüsselungen? Bei genauem Hinsehen entdecken wir bereits in der frühen Phase unserer Sprache Formen sprachlicher Verdunkelung. Da die Volkssprache im Gegensatz zu den Kirchensprachen Griechisch, Latein und Hebräisch im 8. Jahrhundert (bis zur Aufwertung der deutschen Sprache in der Admonitio generalis Karls des Großen a. 789) noch nicht als schriftwürdig galt, ritzten die Mönche – als Übersetzungshilfen bei der Vermittlung lateinischer Texte im Schulunterricht – volkssprachige Wörter mit dem Griffel auf das Pergament. Die waren für das bloße Auge kaum erkennbar und aus Sprachscham geboren. Griffen die Mönche zur Feder, wurden die mit Tinte eingetragenen Glossen (das sind Erläuterungen und Kommentare in mittelalterlichen Handschrifen) oftmals geheimschriftlich gefasst, nach dem von Bonifatius empfohlenen Codierungsverfahren, das den Ersatz der Vokale durch den jeweils nachfolgenden Konsonanten vollzieht, der sogenannten bfk-Geheimschrift (Siewert, 1997).
Reproduktion einer historischen Handschrift

bfk-Geheimschrift: mxchfrk = ahd. mucheri zu lat. sicarius „Meuchelmörder“ | Siewert, 1997

Ein Hund im Regal

Erste Hinweise auf gesprochene verdeckte Kommunikation führen uns in die Skriptorien, die Schreibstuben der mittelalterlichen Klöster. Dort benutzten die Mönche für die Namen heidnisch-antiker Schriftsteller – die zum Kanon der Schullektüre gehörten, weil das vergleichsweise schwere antike Latein das Bibelverständnis sicherte –  aus Gründen der inhaltlichen und ideologischen Distanzierung Beschimpfungsmetaphern aus dem Wortfeld Tiere. Hol mir mal den Hund aus dem Regal!

Die bekannteste deutsche Geheimsprache

Auf die Frage: „Kennen Sie irgendwelche deutsche Geheimsprachen?“ ist die Antwort fast immer die gleiche: Rotwelsch, so eine Art Kauderwelsch! Welsch bezeichnet – aus der Perspektive des Deutschen – die unverständliche Sprache der Romanen, Rot geht entweder auf das Farbadjektiv rot, Metapher für Verschlagenheit, oder Rotte „Gruppe Umherziehender“ zurück. Der erste Beleg des Wortes aus dem frühen 14. Jahrhundert führt uns ganz unerwartet in die höfische Gesellschaft des Mittelalters: der kuninginnē rot walsch / waz in verborgen unde ir sin „Die unverständliche Sprache der Königinnen und deren Sinn blieb ihnen verborgen“.

Zu den Geheimsprachen, die wir als Rotwelsch bezeichnen, und die nicht bei Hofe zu Hause war, sondern von Vaganten des Mittelalters, also umherziehenden Kirchenmännern, Studenten oder Musikanten, auf freiem Feld entwickelt worden ist, schreibe ich in der zweiten Folge mehr. Inzwischen: Massel und Brooche!
 

Sprechstunde – Die Sprachkolumne

In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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