Christiane Rösinger widmet sich einer heute leider gängigen Form der sprachlichen Diskriminierung: dem Ageism. Wie funktioniert diese Herabsetzung alter Menschen? Und warum ist dabei oft von Naturkatastrophen die Rede?
Wir werden alle immer älter – und gleichzeitig ist Ageism die Diskriminierungsform der Stunde. Höchste Zeit also, sich mit sprachlichem Ageism – neudeutsch für Altersdiskriminierung – zu befassen.Die Alten sind schuld – wirklich?
Alarmistische Reden über die demografische Entwicklung werden schon lange gehalten. Die Wortschatzentwicklung und Wortbildungsprozesse zum Thema „Alter“, die wir seit den Neunzigerjahren beobachten, sind ein Beleg für altersdiskriminierenden Sprachgebrauch.Das Alter an sich wird stets als Defizitmodell beschrieben – aber die Alten sollen auch noch schuld am Zerbrechen des Generationsvertrags sein. Mit dem unschönen Gerede von der „Überalterten Gesellschaft“ wird die Ursache für einen problematischen, weil die Rentensysteme belastenden, demografischen Wandel den Alten zugeschrieben. Die Konstituente „Über“ suggeriert dabei etwas, das nicht der Normalität entspricht.
Dabei führt nicht nur die höhere Lebenserwartung zu diesem Wandel, sondern auch die niedrige Geburtenrate. Von einer „Unterjüngung“ in der Kita- Szene spricht aber keiner.
Bedrohlich wie eine Überschwemmung
Komposita wie „Rentnerboom,“ und Begriffspaare wie „demografische Zeitbombe“ suggerieren eine Bedrohungslage. Bei der „Rentnerschwemme“, „Rentnerflut“ und der „Seniorenlawine“ nimmt man auf sprachlicher Ebene überwältigende Naturereignisse zur Hilfe, die sich schon zur negativen Bezeichnung von internationalen Fluchtbewegungen bewährt haben.Die Neologismen vermitteln den Eindruck, es handle sich bei den Menschen, die Anspruch auf eine angemessene Altersversorgung haben, um eine nicht vorhersehbare Naturkatastrophe. Eine Katastrophe, gegen die man sich schützen muss. Dieser negativen Beschreibung alter Menschen liegt ein durch den Kapitalismus geprägtes Menschenbild zu Grunde – eine ressourcengeprägte, auf Leistung fixierte Sichtweise.
Etwas positiver besetzt sind hingegen die „neuen Alten“, die als wohlsituierte, fitte, gute Konsumenten ihr Leben genießen. Allerdings betrügen sie durch ihre parasitäre Rentnerexistenz wiederum die junge Generation.
Von alten Gaunern und alten Schachteln
So finden sich im Wortfeld „alt“ kaum noch Worte für einen nicht diskriminierenden Sprachgebrauch. „Alt“ ist nur bei Gegenständen gut: alter Wein, alter Cognac, alte Münzen, altes Silber. Im Verbund mit einer Person männlichen Geschlechts kann „alt“ auch anerkennend und liebevoll gemeint sein: alter Gauner, alter Freund, alter Schwede, altes Haus.Für eine weibliche Person hingegen bietet sich die Formel „Alt + Bezeichnung = Schimpfwort“ an: alte Schachtel, alte Schabracke, alte Fregatte, alte Jungfer, alte Hexe, alter Besen und so fort.
Interessanterweise sind beim Adjektiv „alt“ die Gesetze des Komparativs außer Kraft gesetzt. Im „absoluten Komparativ“ ist eine ältere Frau jünger als eine alte Frau. Das heißt, wir werden nie alt, sondern immer nur älter. Um sich selbst als nicht mehr junge Person zu beschreiben, ohne das negative „alt“ zu verwenden, existieren nur Euphemismen wie „50 plus“, „späte Jugend“ oder „im Frühherbst des Lebens“. Die im Marketing gebräuchliche Scheinanglizismen „Golden Ager“, „Silver Ager“, „Mid Ager“ und „Best Ager“ konnten sich zum Glück nie richtig durchsetzen.
Problematische Gruppenbezeichnungen
Das englische „Senior citizen“ klingt da schon respektvoller – aber das deutsche Pendant „ältere Mitbürger“ ist wiederum negativ aufgeladen. „Ältere Arbeitnehmer“ ist ebenfalls keine neutrale Beschreibung, sondern die Bezeichnung einer Problemgruppe.Wie so oft, wenn Gruppen allzu vorsichtig beschrieben werden, etwa „Menschen mit Migrationshintergrund“, wird dadurch eine Ausgrenzung vorgenommen. Wir sprechen ja auch nicht von „jugendlichen Mitbürgern“ und „Menschen ohne Migrationshintergrund“, von „männlichen Mitmenschen“, und schon gar nicht von „Beziehern von leistungslosem Einkommen durch Elternhintergrund“.
Sprechstunde – die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.
Februar 2025