Nennen Sie ein deutsches Nationalgericht außer Schweinebraten mit Knödeln, außer Haxe mit Sauerkraut, außer Kartoffelsalat: Was fehlt? Natürlich die Currywurst. Der würzige Imbiss wurde vor 70 Jahren erfunden.
Natürlich muss es in der kulinarischen Nationalhymne Deutschlands um die Wurst gehen: „Gehse inne Stadt / wat macht dich da satt – ’ne Currywurst. / Kommse vonne Schicht / wat schönret gibt et nich / als wie Currywurst.“ Der Musiker Herbert Grönemeyer setzte 1982 der Currywurst als Seelentrösterin und Bier-Beilage ein musikalisches Denkmal –wobei weder Text noch Musik von ihm stammen. Er gab sogar zu Protokoll, selbst kein großer Freund der Currywurst zu sein. Damit steht er in Deutschland ziemlich alleine da. Mehr als 800 Millionen Currywürste werden jedes Jahr verzehrt, also pro Einwohner im Schnitt zehn. Und wer als Politiker im Wahlkampf Volksnähe demonstrieren will, der greift beherzt zur Plastikgabel und lässt sich mit Currywurst und Pommes Schranke an einer Bude ablichten. Alt-Kanzler Gerhard Schröder wird sogar nachgesagt, er habe seine Wiederwahl 2002 nur gewonnen, weil er sich zu seinem Leibgericht Currywurst bekannte. Der Genosse der Bosse blieb dadurch zumindest kulinarisch auch der Genosse der Kumpel.
Dem ehemaligen deutschen Kanzler Gerhard Schröder wird nachgesagt, er habe seine Wiederwahl 2002 nur gewonnen, weil er sich zu seinem Leibgericht Currywurst bekannte.
| Foto: © picture-alliance/dpa/dpaweb / Andreas Altwein
Mehr als nur Bratwurst mit Soße
Aber wie konnte es passieren, dass gerade die Currywurst zu solch einer Ikone deutscher Kulinarik wurde? Ein Gericht mit einer für den bundesdeutschen Geschmack doch sehr exotischen, südasiatischen Zutat?
Uwe Timm mag die These, die Currywurst sei in Hamburg erfunden worden, in seiner Novelle Die Entdeckung der Currywurst aus dem Jahr 1993 noch so charmant vertreten: Seine literarische Figur Lena Brücker erfand die Currywurst nicht 1947 in der Hansestadt. Diese Ehre gebührt zwei Jahre später der Berlinerin Herta Heuwer. Wobei auch ihre Geschichte genügend Stoff für ein Buch geliefert hätte: Herta Heuwer betrieb seit Sommer 1949 einen Imbiss an der Ecke Kant-/Kaiser-Friedrich-Straße in Berlin-Charlottenburg und erfand hier am 4. September die Currywurst. Genauer gesagt, sie erfand die Currywurstsauce, die sie zur Bratwurst servierte. Das Gewürz dafür will sie von einem englischen Soldaten ausgehändigt bekommen haben. Die Sauce ließ sie sich 1959 sogar unter dem Begriff „Chillup“ schützen, eine Wortschöpfung aus Chili und Ketchup. Die Berlinerin bestand allerdings darauf, nur Tomatenmark und Gewürze verwendet zu haben.
Gendenktafel für die Mutter aller Currywürste in Berlin.
| Foto: picture-alliance/dpa/Alina Novopashina
Eine Geschichte zu schön, um wahr zu sein? Doch sie ist noch nicht zu Ende erzählt:
Auftritt Max Brückner, ein Schlachter aus Johanngeorgenstadt im Erzgebirge. Er stellte in Berlin eine Wurst ohne Darm her, die „Spandauer ohne Pelle“, denn Naturdärme waren damals ein knappes Luxusgut. Die Wurst galt es unter die Leute zu bringen, doch das war schwieriger als gedacht. Nikolai Wojtko beschreibt die geniale Lösung im gastrosophischen Journal Epikur so: „Brückner wurde auf die findige Herta Heuwer aufmerksam. Der Juniorpartner von Max Brückner entwickelte zusammen mit ihr eine Würzsauce auf Ketchupbasis, mit der sie die Wurst an den Mann bringen konnten. Das Marketingkonzept war einfach. Die Sauce übertüncht die Wurst, so dass man nicht erkennen kann, dass sie gar keine Pelle hat. Erst nach dem Erfolg der Currywurst konnte sich die Wurst ohne Pelle als das aus der damaligen Not geborene Original zu erkennen geben. In die Wurst kam alles, was der Metzger nicht anders verwerten konnte, kleingehackt als Brät – denn der Name Bratwurst leitet sich von dessen Füllung dem Brät und nicht etwa von deren Zubereitung dem Braten ab.“ Herta Heuwer hatte zuvor selbst eine Currywurstsauce entwickelt, doch der Erfolg kam erst durch die Verfeinerung aufgrund dieser Zusammenarbeit.
Symbol kulinarischer Individualität
Die Currywurst hat sich längst emanzipiert. Selbst im Land der Patente und Normen, Kleingartenverordnungen und dem Reinheitsgebot unterliegt sie keinerlei Zwängen, ja, sie ist fast zu einem Symbol kulinarischer Individualität geworden. Die Zubereitung, das Gewicht und der Grad der Verkohlung ist dabei ebenso wenig geregelt oder eindeutig definiert wie die Frage, ob mit oder ohne Darm, warmer oder kalter Sauce oder doch lieber Pulver und Ketchup. Auch Trüffel oder Blattgold finden sich auf ihr. Meist wird sie in einer Pappschale serviert, manchmal aber auch auf Porzellan, flankiert von Champagner. Spitzenköche wie Tim Mälzer oder Frank Rosin veröffentlichen ihre eigenen ultimativen Currywurstrezepte. So überwindet die Currywurst heute Gehalts- und Bildungsklassen. Bei Witzen finden sogar Hochschule und Wurst zusammen: Was sagt ein Physiker ohne Arbeit zu einem Physiker mit Arbeit? „Einmal Currywurst mit Pommes, bitte!“ Deutschland, einig Wurstland.
Eine Currywurst zum Abschluss: Das Kölner Kommissar-Duo der beliebten Sonntagabendserie „Tatort“ beendet seit Jahrzehnten nahezu jeden Fall mit einer Currywurst am Rheinufer.
| Foto: picture-alliance/ Sven Simon
Mai 2019