Videospiele aus Deutschland  Typisch deutsch?

Eine Szene aus dem Spiel „Atlas Fallen“ mit einer Figur im Vordergrund und einer vorbeiziehenden Karawane im Hintergrund.
Wirkt auf dem ersten Blick wie ein internationaler Blockbuster: Das deutsche Videospiel „Atlas Fallen” © Deck13 Interactive

Die Deutschen zocken gerne. 53 Prozent der über 16-Jährigen spielen regelmäßig Videospiele. Und mit fast sechs Milliarden Euro Umsatz ist die Gaming-Branche inzwischen ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Doch welche Spiele kommen aus Deutschland? Und was macht sie „typisch deutsch“?

Zunächst geht es gemächlich los: Kleine Handwerker wuseln durch eine mittelalterliche Ortschaft, bringen Holz vom nahegelegenen Wald in die örtliche Sägemühle. Daneben entsteht ein Steinbruch, auf der angrenzenden Wiese wird ein Bauernhof gebaut. Später kommen Schmied*innen, Tuchmacher*innen und Vertreter*innen weiterer Handwerke dazu. Und nach ein paar Spielstunden ist da, wo eben noch grüne Wiese war, ein lebhaftes Städtchen voller betriebsamer Geschäftigkeit entstanden.

Dieses Szenario findet sich in dem deutschen Videospiel Pioneers of Pagonia. Es setzt die Tradition der Spiele fort, die mit der Siedler-Reihe begann und mittlerweile auch international große Beliebtheit genießt. Diese Spiele gehören zum Genre „Aufbausimulation“. Spielende müssen dabei eine Stadt aufbauen und Rohstoffe wie Produktionsstätten verwalten. Volker Wertich ist sowohl der Erfinder des ersten Siedler-Spiels als auch der Kopf hinter Pioneers of Pagonia. Der deutsche Spieleentwickler ist überzeugt, dass Aufbausimulation-Spiele nicht typisch deutsch, sondern ein internationales Phänomen sind.
Eine Szene aus dem Spiel "Pioneers of Pagonia", die die Brandung eines Gewässers und das angrenzende grüne Land mit Häusern und Baustellen zeigt.

Erinnert nicht zufällig an die Siedler-Reihe: „Pioneers of Pagonia” | © Envision Entertainment

Dennoch: Die Pioneers tragen typisch deutsche Züge. Da ist der Bezug zum Mittelalter und die dargestellte Handwerkskunst der Spielfiguren. „Die Materialien, die man im Spiel hat, sind sehr gut vorstellbar. Die Berufe, die kennt man alle. Man kann sich das alles vorstellen”, sagt Wertich. Gelebte Mittelalter-Romantik im Spiel könnte man sagen.

Von Tabellen zur Wissenvermittlung

Bei „typisch deutsch“ muss Volker Wertich vielmehr an frühere Videospiele denken: „Es gab vor allem eine sehr große Welle an Manager-Spielen, die teilweise auch wirklich sehr zahlenlastig waren und sehr viele Tabellen und Zahlen hatten. Die waren in Deutschland sehr erfolgreich, aber im Rest der Welt, glaube ich, nicht so sehr.”

Dieses Erbe lässt sich bei genauerem Betrachten auch bei den Pioneers wiederfinden. Die Welt sieht behaglich, ja romantisch aus – aber die komplexen Rohstoff-, Waren- und Produktionsketten wollen eben auch verwaltet werden. Es ist letztlich genau diese Mischung, die bei Fans für Begeisterung sorgt und vielleicht doch irgendwie „typisch deutsch“ ist.

Ein deutsches Vorzeigespiel aus einer anderen Kategorie ist Through the Darkest of Times. Hier geht es um die Geschichte von Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus Widerstand leisten. Die Spielfiguren und das Geschehen sind zwar fiktiv, aber das Spiel versteht es, Wissen über die Zeit und die Situation von Widerstandkämpfern*innen zu vermitteln. Es handelt sich hier nicht nur um ein gewöhnliches Strategiespiel, sondern auch um ein sogenanntes Serious Game.
Eine Szene aus dem Spiel "Through the Darkest of Times". Im mittleren Bildfeld ist eine grau-beige Landkarte zu sehen, am unteren Bildrand sind Figuren dargestellt.

Through the Darkest of Times | © Paintbucket Games

Ein Spiel mit Bildungsanspruch über die Nazi-Zeit ist allerdings nicht zwangsläufig „typisch deutsch“, sagt Jörg Friedrich, Game-Designer des Spiels. Auch international – etwa in Norwegen oder Tschechien – wurden Spiele mit ähnlichem Anspruch entwickelt. Es sei vielmehr ein typisch deutscher Anspruch, dass Spiele nicht nur Spaß machen, sondern auch Wissen vermitteln sollen. Zur Zeit der Veröffentlichung im Jahr 2020 wurde hierüber intensiv diskutiert, was Game-Designer Friedrich zufolge durchaus zum Erfolg beigetragen haben dürfte.

Dabei ist Through The Darkest of Times sehr viel mehr als nur ein Serious Game. Es erzählt auf berührende Weise die Geschichte einer Widerstandsgruppe und fordert vom Spielenden zugleich strategische Entscheidungen. Dabei gilt es Runde um Runde, die immer knapperen Ressourcen der Widerstandskämpfer*innen zu verwalten. In dem Spiel haben Charaktere Lebenspunkte und bestimmte Fähigkeiten wie Überzeugungskraft oder Stärke. Diese Fähigkeiten muss der Spielende auf die Gefährlichkeit bevorstehender Einsätze hin verwalten.

„Ein Genre, das mich sehr geprägt hat, war deutsche Wirtschaftssimulationen, und Through the Darkest of Times hat das auch so ein bisschen, diesen Kreislauf einer Wirtschaftssimulation“, erzählt Jörg Friedrich. „Ich mache bestimmte Dinge, ich gebe Anweisungen und dann erfahre ich nach einer Spielrunde das Ergebnis meiner Aktionen.”

Die Liebe zu Verwaltungsabläufen ist also der deutsche Kern, den sowohl Pioneers of Pagonia als auch Through the Darkest of Times teilen. Allerdings muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass dieser Kern nicht vordergründig sichtbar ist und sich erst beim genauen Hinschauen offenbart.

Action-Spiel auf Deutsch

Neben diesen großartigen Spielen hat die deutsche Gaming-Szene noch mehr zu bieten, nicht zuletzt Atlas Fallen. Das Action-Rollenspiel unterscheidet sich in jeglicher Hinsicht von den zwei zuvor genannten Spielen. Auf den ersten Blick vor allem dadurch, dass es eine größere Produktion ist. Atlas Fallen ist eine große Reise durch eine imposante Welt mit schnellen Action-Gefechten, die strategisches Geschick der Spielenden erfordern und es ihnen ermöglicht, eine abwechslungsreiche Landschaft eigenständig zu erkunden.

Atlas Fallen ist damit sicherlich ein Vorzeigetitel aus Deutschland. Mit den großen internationalen Blockbustern kann er der Produktionsgröße nach jedoch nicht mithalten. Bei Atlas Fallen spricht man von einem AA-Titel, während die Giganten des Genres wie Elden Ring oder Horizon AAA-Titel sind.
 
Eine Szene aus dem Spiel „Atlas Fallen“, in dem teils abstrakte Figuren, Maschinen und Tiere in einem außerirdischen Szenario in Aktion zu sehen sind.

Kann sich (fast) mit den Größen seines Genres messen: „Atlas Fallen“ | © Deck13 Interactive

Und auch das ist irgendwie “typisch deutsch” kann man dann noch feststellen: Für den Eintritt in den AAA-Blockbuster-Olymp scheint Deutschland (noch) nicht bereit. Die Stärke und Kreativität der deutschen Spiele-Branche liegt in Spielen wie den hier vorgestellten: Titel kleinerer Indie-Teams oder mittelgroßer Firmen und ihren mutigen Geschichten oder bis zur Perfektion poliertem Gameplay.

Um jedoch bei den ganz großen AAA-Titeln mitzuspielen und zugleich kleineren Studios eine sichere Zukunft zu gewährleisten, müsste die Finanzierung der Gaming-Szene in Deutschland allerdings angekurbelt werden. Dann würden sich sicherlich neue Felder erschließen, die man „typisch deutsch“ nennen könnte.
 
Pioneers of Pagonia / Windows / Early Access seit 2023 / USK: ab 6 Jahren

Through the Darkest of Times / Windows, macOS, Playstation, Xbox, Switch, iOS, Android / zuerst erschienen 2020 / USK: ab 12 Jahren

Atlas Fallen / Windows, Playstation 5, Xbox Series X / 2023 / USK: ab 12 Jahren