Ausgesprochen...Berlin  Der Feminismus bleibt im Wahlkampf auf der Strecke

Scholz, Baerbock, Laschet - Triell 2021 Foto: © dpa | Michael Kappeler

Berlin mag vielleicht für Diversität und Gleichberechtigung stehen. Die aktuelle Wahldebatte zeigt allerdings, in Sachen Feminismus hat Deutschland noch einiges zu lernen. Die Kolumnistin Margarita Tsomou teilt ihre Gedanken zum aktuellen Wahlkampf aus einer feministischen Sicht.

Die Aussage, dass der deutsche Wahlkampf lahm, farblos und ohne nennenswerte politische Kontroversen sei, ist mittlerweile ebenso langweilig wie das standardisierte Politiker*innenlächeln auf deutschen Wahlplakaten. Dabei hat die Zivilgesellschaft in den letzten vier Jahren so viele Themen auf die politische Agenda gebracht, dessen Verhandlung dringlich wären: was ist zum Beispiel mit dem Klima, das nicht mehr zu retten sein scheint, mit den Diskriminierungsmechanismen von strukturellem Rassismus oder der Frage von Machtmissbrauch und Gewalt gegenüber Frauen und Queers? 

Die Frau als Zielscheibe

Feminismus jedenfalls spielt im Wahlkampf eher in seiner Umkehrvariante als Bashing der Figur von Annalena Baerbock eine Rolle – obwohl sie alles dafür tut, um sich bei Genderfragen zurückzuhalten. 
Auffällig ist, dass die grüne Kanzlerkandidatin unmittelbar nach der Verkündung ihrer Kandidatur nicht für ihre politischen Positionen, sondern als Privatperson kritisiert beziehungsweise diffamiert wurde. Im Vordergrund stand ihr Alter, dass sie keine Regierungserfahrung und zwei kleine Kinder habe und womöglich deswegen nicht genug Zeit für wahlweise die Mutterrolle oder die Regierungsgeschäfte hätte. Unabhängig davon, dass ich mich nicht erinnern kann, je über die Kinder von Scholz, Laschet oder Habeck etwas erfahren zu haben und dass dies die alte sexistische Figur der berufstätigen Rabenmutter ins Feld führt, ist es bezeichnend, dass bei einer Frau sofort das Private in den Vordergrund rückt. Insgesamt gab es laut dem Spiegel sechsmal mehr personenbezogene Hasskommentare im Netz gegen Baerbock als gegen den CDU-Kandidaten Armin Laschet – Frauen gelten eben immer noch als Abweichungen der Norm und sind eine leichtere Zielscheibe für persönliche Häme. Dass gefakte Nacktfotos in Umlauf gebracht wurden, ist typisch für die sexistische Natur der Angriffe gegen Politikerinnen – auch hier werden wir Zeug*innen davon, wie Sexismus Frauen verwundbarer macht.

Eine vertane Chance für den Feminismus

Aber dass Baerbock den Spieß umdreht und offensiv mit Feminismus Politik macht, sehen wir nicht. Baerbock ist nach außen recht schwach auf der feministischen Brust – außer ihrem Geschlecht und, dass sie mit dem Muttersein hofieren geht, kam bisher wenig Bekundung. Weder in ihrem Buch, noch in ihren Reden. Dabei bekennen sich die Grünen in ihrem Wahlprogramm durchaus zum Feminismus und zu LGBTQI+ Rechten. Ähnlich wie die Linke, dessen Wahlprogramm von Genderfragen – vor allem unter sozialen Gesichtspunkten – durchzogen ist, spielt auch bei den Grünen der Gender Pay Gap, geschlechtsspezifische Gewalt und das Recht auf Abtreibung eine wichtige Rolle. Bei den Wahlprogrammen von CDU und SPD wiederum hat man das Gefühl, als wären sowohl #metoo als auch all die feministischen Kämpfe der letzten Jahre spurlos an den Parteien vorbeigegangen. 

Insgesamt lässt sich sagen, dass der Wahlkampf für Feminist*innen noch öder ist als ohnehin schon und frau sich wirklich fragt, was wir denn noch alles machen müssen, damit unsere Themen endlich auch in der Realpolitik ankommen. 

Es fehlen Figuren wie die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern oder die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin, die nicht nur aufgrund ihres Geschlechts, sondern auch hinsichtlich ihrer Politik, ihres Führungsstils und ihrer Sprache Gendergerechtigkeit und Diversity verkörpern. Sie setzen viel deutlichere Zeichen dafür, dass nach all dem feministischen Aufbegehren und Diskursen ein neues Zeitalter angebrochen ist und sich das auch in den Parlamenten und den Politiker*innen-Profilen niederschlägt. 

In Deutschland scheinen wir noch nicht an diesem Punkt zu sein; dabei könnte genau jetzt der politische Horizont erweitert werden. Das ist eine vertane Chance und ein Trauerspiel zugleich – denn eine Frau an der Staatsspitze, die keine Feministin ist, hatten wir schon. 

 

„AUSGESPROCHEN …“

In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Margarita Tsomou, Maximilian Buddenbohm und Dominic Otiang’a. Unsere Berliner Kolumnist*innen werfen sich in „Ausgesprochen … Berlin“ für uns ins Getümmel, berichten über das Leben in der Großstadt und sammeln Alltagsbeobachtungen: in der U-Bahn, im Supermarkt, im Klub.