Survival-Kit Studium  "Ich verstehe nicht, warum Mathematik der Gipfel der Intelligenz sein soll"

Blanca, Promovendin der Mathematik, vor einem grünen Hintergrund aus Blättern und Büchern
Manchmal hilft es, eine Pause einzulegen. Dann kommt die Inspiration ganz unerwartet zurück, sagt Blanca Foto (Detail): © Karina Garosa

Blanca ist aus Spanien nach Deutschland gezogen, um hier zu promovieren. In unserem Survival-Kit-Studium erzählt sie uns, warum Deutsche manchmal komisch sind, warum es sehr frustrierend sein kann, an einer Doktorarbeit zu sitzen und wie schlechte Fernsehsendungen oft ihren Tag retten.

Information

Name: Blanca
Alter: 27
Studiengang: Promoviert in Mathematik und Luft- und Raumfahrttechnik
Universität: Universität der Bundeswehr München

Das größte Klischee über Deinen Studiengang – und was davon gestimmt hat:
Dass die Leute super intelligent und kompetent sind und einen sehr komplexen Verstand haben. Es gibt natürlich einige Mathematiker*innen, die sehr klug sind, aber viele von ihnen sind ganz normal und eben zufällig gut in Mathe – so wie ich, glaube ich, auch. Da gibt es wenig Besonderes: Man geht ins Büro und sitzt vor seinem Computer wie alle anderen auch. Ich verstehe nicht, warum Mathematik der Gipfel der Intelligenz sein soll. Meiner Meinung nach besitzen Menschen verschiedene Formen von Intelligenz für ganz unterschiedliche Bereiche – einer davon ist Mathematik, und das Fach wird in der Schule einfach sehr schlecht vermittelt. Kein Wunder, dass die Menschen denken, Mathematik sei eine obskure Sache.

Wie sieht Dein Alltag aus?
In der Regel stehe ich gegen acht Uhr auf. Wenn ich ins Büro gehe, bin ich sehr produktiv und bleibe dort bis vier oder fünf Uhr nachmittags. Jetzt, während der Pandemie, mache ich mich nur zweimal pro Woche ins Büro auf, damit ich nicht gleichzeitig mit jemand anderem dort bin. Manchmal spreche ich mit meinem Doktorvater und tausche mit ihm Ideen aus. Im Homeoffice bin ich etwas fauler und fange mit der Arbeit später an. Es fällt mir schwer, von zuhause aus produktiv zu sein. Normalerweise arbeite ich an einer Software, die ich entwickelt habe, und versuche, sie für ein Luft- und Raumfahrtproblem zur Anwendung zu bringen. Ansonsten schreibe ich wissenschaftliche Artikel oder an meiner Doktorarbeit. Manchmal will das, was ich tue, nicht funktionieren. Dann lasse ich es für ein paar Stunden ruhen und setze mich erst wieder an die Arbeit, wenn ich einen klaren Kopf habe. Nach Feierabend gehe ich entweder zu meinem Hip-Hop-Tanzkurs, sehe fern oder koche.

Auf was hättest Du nicht verzichten können?
Für meine Arbeit brauche ich eigentlich nur meinen Laptop – und ganz allgemein sind für mich unverzichtbar: meine Freund*innen, mein Handy, um mit meinen Freund*innen zu Hause in Spanien zu kommunizieren, gute Mitbewohner*innen, gutes Essen und schlechte Fernsehsendungen.

Ehrlich gesagt war das richtig komisch. Ich hatte einen totalen Kulturschock.

Welchen Tag an der Uni wirst Du nie vergessen?
Da muss ich an etwas eher Komisches denken. In meinem ersten Monat hier an der Uni organisierte meine Abteilung einen Grillabend. Ich dachte, jede*r bringt ein bisschen von allem mit und wir teilen es uns – so kenne ich das aus in Spanien. Aber dort angekommen bemerkte ich, dass jede*r nur eine Bratwurst oder ein Steak für sich selbst mitgebracht hatte und niemand sein Essen teilte. Ich hatte blöderweise gar nichts dabei, aber zum Glück boten mir ein paar Kolleg*innen etwas an, damit ich nicht hungrig bleiben musste. Aber ehrlich gesagt fand ich das ziemlich komisch. Ich hatte insgesamt einen großen Kulturschock.

Wenn Du Dein Studium noch einmal anfangen könntest: Was würdest Du anders machen?
In meinem ersten Jahr habe ich viel Zeit damit verbracht, sehr gestresst zu sein, weil ich nicht viel geschafft habe. Aber dann fand ich heraus, dass das allen Doktorand*innen so geht. Im ersten Jahr hat man einfach keine Ahnung, was man überhaupt macht, man weiß nicht einmal, was genau das eigene Thema ist. Ich glaube, ich hätte mein erstes Jahr damit verbracht, mich viel weniger schuldig zu fühlen.

Abgesehen davon bin ich mir nicht sicher, ob ich im Nachhinein überhaupt promoviert hätte. Ich dachte, es wäre spannend, wieder zu studieren, aber ich glaube nicht, dass ich meine Karriere im akademischen Bereich fortsetzen werde. Außerdem ist es etwas ganz anderes als ein reguläres Bachelor- oder Masterstudium. Es ist schön, einen Doktortitel zu haben, doch das Wissen, das man sich aneignet, konzentriert sich auf ganz bestimmtes Thema. Das ist meiner Meinung nach nur sinnvoll, wenn man mit Leidenschaft dabei ist und sein Leben der Forschung und der Wissenschaft widmen möchte. Ich frage mich manchmal, ob ich mich beruflich anders hätte weiterentwickeln und mehr praktische Fähigkeiten erwerben können, wenn ich in einem Unternehmen gearbeitet hätte.

Was hat Dich am meisten geärgert?
Es gab einige Luft- und Raumfahrtingenieur*innen, die ein bisschen herablassend in ihrer Art waren. Oft haben sie mit mir geredet, als ob jede*r sofort versteht, was sie meinen. Wenn man sie dann gebeten hat, einem etwas zu erklären, wiederholten sie einfach, was sie zuvor gesagt hatten, ohne es weiter auszuführen. Kurz gesagt: Die Kommunikation kann mit manchen Menschen in diesem Bereich schwierig sein.

Was war oft Deine Rettung?
Gute Frage. Es war oft sehr frustrierend, in so vielen Sackgassen zu landen. Manchmal klappten die Dinge, an denen ich arbeitete, einfach nicht. Dann war es gut, die Arbeit für eine Weile zu unterbrechen, eine Pause einzulegen oder den Arbeitstag ganz zu beenden und zum Abschalten fernzusehen. Manchmal kam dann die Inspiration ganz unerwartet wieder zurück.

Was hast du am letzten Tag des Monats gegessen, wann war Sparen angesagt?
Sparen muss ich nicht. Doktorand*innen in meinem Fachgebiet werden hier oft sehr gut bezahlt. Das gilt auch für mich, deshalb war Geld für mich zum Glück nie ein Problem.

Welche Frage hörst Du auf Familienfeiern jedes Mal?
Ist es dort sehr kalt? Isst du genug? Sind die Deutschen komisch? Brauchst du irgendetwas aus Spanien? Diese Art von Fragen. Häufig interessiert es sie auch, wie es mit meiner Doktorarbeit läuft. Ich weiß nie, wie ich das beantworten soll, und es ist auch irgendwie merkwürdig, mit Verwandten über komplexe Forschung zur mathematischen Optimierung für die Luft- und Raumfahrt zu sprechen.

Auf was bist du stolz?
Ich habe gelernt, ein richtig gutes Sauerteigbrot zu backen. Nein, ehrlich gesagt bin ich stolz darauf, dass ich diese Chance bekommen habe und dass ich das durchziehe, obwohl es wirklich schwer ist. Ich werde voraussichtlich in der Regelzeit fertig werden. Und ich bin stolz darauf, dass ich es geschafft habe, in Deutschland anzukommen. Bevor ich hierher zog, hatte ich große Angst, weil ich nicht wusste, was mich erwartet. Doch ich habe mir hier ein eigenes Leben aufgebaut und großartige Freund*innen gefunden.
 
Was war der teuerste Preis für eine gute Note?
Noten im klassischen Sinne bekomme ich nicht. Aber die ersten Konferenzen, auf denen ich vortragen musste, waren sehr nervenaufreibend. Ich habe viel vorbereitet und mich sehr beobachtet und auf dem Prüfstand gefühlt. Einen Artikel zu schreiben, ist immer viel mühsamer als man denkt. Da sind zum Beispiel die Grafiken, die ich dafür erstellen muss. Man geht davon aus, dass das schnell erledigt ist, aber dann dauert es doch Stunden, weil es ja am Ende auch schön aussehen soll. Und dann merkt man manchmal, dass die Daten falsch waren und muss noch einmal ganz von vorne anfangen.

Uni heißt auch: Lernen fürs Leben. Was hat Dir Dein Studienfach für Deinen weiteren Weg mitgegeben?
Ich habe viel darüber gelernt, was ich gerne und was ich nicht gerne tue. Ich arbeite zum Beispiel ungern allein, aber mir bereitet es Freude, zu programmieren. Die Promotion war für mich der Spagat zwischen dem Wunsch, wieder zu studieren und aus Spanien wegzuziehen und dem Versuch, herauszufinden, was ich mit meinem Berufsleben anfangen will – und ich glaube, das habe ich geschafft. Ich habe viel über meinen weiteren Karriereweg nachgedacht. Ich konnte mit vielen Dingen experimentieren, viele verschiedene Leute kennenlernen. Außerdem habe ich gelernt, mit wirklich nervigen Menschen umzugehen und gleichzeitig geduldig zu bleiben. Das ist eine sehr wertvolle Fähigkeit.
 

Survival-Kit Studium

Wo in Deutschland kann man gut studieren? Wie lässt es sich als Student gut leben? Und wie übersteht man die erste Fachschaftsparty und die Fragen auf Familienfeiern?

Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen erzählen von ihren Erlebnissen an den Unis in Deutschland, ihrem Alltag – und was sie manchmal zur Verzweiflung bringt.