Latinos in den USA  Die Stimme der Zukunft

Musikalbum Fania All Stars – Our LatinThing 1971
Musikalbum Fania All Stars – Our LatinThing 1971 Foto: Privates Bild vom Album-Cover, HDCaro

Über die Geschichte, Gegenwart und Zukunft der US-Latinos, die in den Vereinigten Staaten längst zu einem bedeutenden Teil der Gesellschaft geworden sind.

Als Donald Trump, Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur in den Vereinigten Staaten, vor einigen Monaten seine Wahlkampagne startete, versicherte er, er würde an der Grenze zu Mexiko eine Mauer bauen: „Verbrecher, Drogenhändler und Vergewaltiger“ wolle der Republikaner damit aus dem Land fernhalten. Die populistischen Äußerungen Trumps sorgten für gehörigen Aufruhr, für Gefühlsausbrüche und großes Ärgernis. Darüber hinaus stellten sie klar – wenn auch in zweifellos unglücklicher Weise –, dass „die Latinos“ heute zu einem wichtigen Thema in den Vereinigten Staaten geworden sind.

55 Millionen von ihnen leben in den Vereinigten Staaten. Diese Zahl zeigt deutlich, dass die Diskussion über die lateinamerikanische Immigration viel komplexer sein muss, als es die verschrobene Idee vom Mauerbau nahelegt, mit dem der Kontakt zwischen Süden und Norden unterbunden werden soll. Über US-Latinos zu sprechen beinhaltet nicht nur den Gedanken an ein immenses und notwendiges Aufgebot an Arbeitskräften. Die Lateinamerikaner sind außerdem eine Bevölkerungsgruppe, die in dem nordamerikanischen Land seit jeher anzutreffen ist, die dessen Wirtschaft und Kultur bereichert und immer größeren Einfluss gewinnt.

US-amerikanische Landbesitzer und mexikanische Landarbeiter: eine lange Geschichte

Diese Geschichte beginnt schon mit den Anfängen der Vereinigten Staaten selbst. Der lateinamerikanische Einfluss auf die US-amerikanische Kultur und Gesellschaft ist allerdings erst seit einigen Jahrzehnten besonders stark – ebenso wie leider auch das negative Bild von den Lateinamerikanern. Trumps polemische Äußerungen stellen keine Neuheit dar. 1954 führte die US-Regierung mit der infamen „Operation Wetback“ die Abschiebung tausender mexikanischer Arbeiter durch und förderte eine rassistische Propaganda gegen diejenigen, die mit dem Bracero-Programm ins Land gekommen waren. Dieses bilaterale Abkommen zwischen den Regierungen Mexikos und der Vereinigten Staaten sollte den enormen Bedarf an Arbeitskräften, besonders im Agrarsektor, während des Zweiten Weltkriegs befriedigen.

Von 1942 an ließen sich fast fünf Millionen mexikanische Landarbeiter mit dem Versprechen eines guten Gehalts als „braceros“ anwerben. Den Landwirten in Texas, New Mexico, Kalifornien und Arizona bescherten sie dank ihrer gewaltigen Arbeitskraft riesige Gewinne. Oft ausgebeutet und diskriminiert, organisierten sich die braceros, um ihre Arbeitgeber anzuklagen. Die Antwort der US-Regierung fiel schonungslos aus. Trotzdem wurde dadurch nicht verhindert, dass die US-amerikanischen Landbesitzer weiterhin Arbeiter beschäftigten, die sich an der Westküste der Vereinigten Staaten ansiedelten. Heutzutage bilden die sogenannten „Chicanos“ (US-amerikanische Mexikaner) eine der größten Gruppen unter den lateinamerikanischen Einwanderern, die ihre Gastronomie, Religion und Sprache so anzupassen wussten, dass eine neue, reiche Kultur daraus entstanden ist.

Asylsuchende aus Kuba

Zwischen April und Oktober 1980 öffnete Fidel Castro den Hafen Mariel im Westen Havannas, damit die Kubaner, die auszureisen wünschten, die Insel verließen. Über 125.000 regierungskritische Kubaner schifften sich nach Florida ein, darunter der Schriftsteller Reinaldo Arenas, der bei seiner Ankunft in den Vereinigten Staaten schrieb: „Jede Diktatur ist lust- und lebensfeindlich; jeder, der ein bisschen Lebensfreude zeigt, gilt in einem dogmatischen Regime schon als Feind.“ Nach der Revolution 1959 stieg die Zahl kubanischer Immigranten von 71.000 in den 1950er Jahren auf 163.000 in den sechziger und 638.000 in den siebziger Jahren.

Im Moment stellen die Kubaner einen Anteil von 7,2 Prozent an der lateinamerikanischen Bevölkerung in den Vereinigten Staaten. Unter allen US-Latinos sind sie die wirtschaftlich und gesellschaftlich erfolgreichsten. So haben 25 Prozent der Kubaner und Kubanoamerikaner zumindest ein grundständiges Studium abgeschlossen. Schlagkräftiges Beispiel hierfür: Marco Rubio und Ted Cruz, zwei der republikanischen Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur, sind kubanischer Herkunft. Paradoxerweise sprechen auch sie sich in den Debatten um eine Amnestie für illegale lateinamerikanische Arbeiter für eine harte Hand aus.

Aus Puerto Rico für die Welt

Die puerto-ricanische Wirtschaft, ganz auf den Zuckeranbau ausgerichtet, hat schon mehrere Rezessionen erlebt. Die Kinder dieser Karibikinsel – seit 1917 sogenanntes Außengebiet der Vereinigten Staaten und den Gesetzen des US-Kongresses verpflichtet – haben von ihrer US-Staatsbürgerschaft Gebrauch gemacht und sind vor allem nach New York emigriert. Heute werden die in den Vereinigten Staaten lebenden Puerto-Ricaner auf mindestens fünf Millionen geschätzt, eine beträchtliche Zahl gemessen an den 3,6 Millionen Einwohnern der Insel.

Einer der wichtigsten kulturellen Beiträge der puerto-ricanischen Bevölkerung in New York ist die Salsa-Musik. Das Zusammentreffen der verschiedenen US-Latinos hat einen Rhythmus hervorgebracht, der unter anderem karibische Klänge, afrokubanischen Jazz und Mambo kombiniert. Anfang der 1970er Jahre verwandelte sich New York in den Stammsitz von puerto-ricanischen Salsa-Legenden wie Héctor Lavoe, Cheo Feliciano, Richie Ray und Bobby Cruz.

Zentralamerika im Auge des Sturms

Durch die gewaltsamen politischen Auseinandersetzungen in den zentralamerikanischen Staaten in den achtziger Jahren schossen die Migrantenzahlen in den Vereinigten Staaten in die Höhe. Mit den Migranten kamen jedoch leider auch kriminelle Organisationen wie die „Mara Salvatrucha“ ins Land, die Los Angeles als eines ihrer Hauptquartiere betrachten.

Die Migranten aus Zentralamerika sind eines der am heftigsten diskutierten Themen, dem sich die Regierung von Präsident Obama stellen muss. Während die Partei der Republikaner eine härtere Migrationspolitik anstrebt, liefern sich in den letzten Jahren immer mehr Kinder aus den zentralamerikanischen der Grenzpolizei aus, um vor der Gewalt in ihrer Heimat zu fliehen und politisches Asyl zu bekommen. Sollte Obama einer härteren Reform nachgeben, könnten viele dieser Kinder nicht einmal den Status eines politischen Flüchtlings wählen und müssten in ihre von Gewalt regierten Länder zurückkehren.

Die lateinamerikanische Zukunft der Vereinigten Staaten

Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts brachte viele südamerikanische Einwanderer, besonders aus Chile, Kolumbien und Venezuela, mit einem hohen Bildungsgrad in die Vereinigte Staaten. Der sogenannte Brain-Drain hat die Zahlen von Einwanderern aus diesen Ländern damit verdoppelt. Dieser Ansturm ist der Expansion verschiedener Wirtschaftsaktivitäten geschuldet, die sich auf den hispanischen Markt richten und auf das Bedürfnis dieser Fachleute, sich außerhalb ihres Landes nach besseren Beschäftigungsmöglichkeiten umzusehen. Insgesamt 18 Prozent der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten sind heute lateinamerikanischer Herkunft. Für das Jahr 2065 erwartet das Pew-Forschungszentrum einen Anstieg auf 24 Prozent, eine wesentlich höhere Zahl im Vergleich zu anderen Minderheiten wie Afroamerikanern (14 Prozent) und Asiaten (13 Prozent).

Die US-Latinos sind sowohl wirtschaftlich als auch kulturell zu einer relevanten Kraft geworden. Der Zugang zu Bildung und einem besseren Lebensstandard steht immer mehr Einwanderern offen, was ihnen in den nächsten Jahrzehnten auch in politischer Hinsicht entscheidendes Gewicht geben wird. Die Kinder dieser Einwanderer werden in der Zukunft eine vielfältige Wählerschaft bilden, die die Migrationspolitik dieses Landes bewusst verfolgt und ihre Stimme unüberhörbar einbringen wird. Diese neue Generation wird in der Zukunft eine Führungsperson wählen, die alle Nuancen und Unterschiede innerhalb ihrer Bevölkerungsgruppe verstehen kann. Eine durchsetzungsstarke Führungspersönlichkeit, die sich Politikern entgegenstellt, die mit ihrem Populismus die komplexen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen dem Süden und dem Norden des amerikanischen Kontinents gar zu grob vereinfachen wollen.

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