„Ich mache mir niemals ein Bild, wenn ich ein Haus bauen will“, sagte Mies van der Rohe im Interview mit der Bauwelt 1964. Dennoch schuf er eine Vielzahl von Collagen und Montagen. Diese Raumbilder gehören zu den interessantesten und schönsten Werken der Moderne.
Mies van der Rohe, Ludwig (1886-1969) | Georg Schaefer Museum Project, Schweinfurt, Germany, Interior perspective with view of site, 1960-1963. New York, Museum of Modern Art (MoMA) Mies van der Rohe Archive. | © The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence / VG Bild-Kunst, Bonn, 2016 Als dessen letzter Direktor etablierte Mies van der Rohe am Bauhaus eine systematische Architekturlehre. Mit Klarheit im Aufbau sollte die neue Baukunst dem Chaos der modernen Welt entgegentreten. Erst spät verließ Mies van der Rohe das von den Nationalsozialisten regierte Deutschland und entwickelte in Chicago seine Idee einer Architekturausbildung weiter. Gebäude von abstrakter Eleganz machten Mies van der Rohe endgültig weltweit bekannt. Als letzter großer Bau entstand in Berlin seine 1968 eröffnete Neue Nationalgalerie. Zeit seines Lebens entwickelte der Architekt seine Entwürfe aus einer Überlagerung konkreter Bedingungen und allgemeiner Einsichten. Selten zeigt sich das deutlicher als in seinen zahlreichen Montagen und Collagen. Besonders in den Zeiten der Neuorientierung entstanden Bildarchitekturen, deren Faszination bis heute nicht nachgelassen hat.
Unbestimmtheit von Raum und Zeit
Die Collagen und Montagen offenbaren ein Neben- und Miteinander von Kontinuität und Neuanfang. Mies van der Rohe orientierte sich früh an den fantasievollen Collagen der künstlerischen Avantgarde. Reklame und zeitgenössische Experimente mit Film präsentierten die moderne Metropole als Ort der Bewegung. 1922 entstanden die suggestiven Fotomontagen für sein Hochhaus an der Berliner Friedrichstrasse. Sie wirken wie eingefrorene Kamerafahrten und vermitteln so ein dynamisches Bild der Stadt sowie der Gesellschaft als Ganzes. Mit der Emigration nach Amerika wichen die stadträumlichen Darstellungen zunehmend innenräumlichen Abbildungen. Diese großformatigen Perspektiven beziehen den Betrachter unmittelbar mit ein. In zahlreichen Collagen Mies van der Rohes finden sich Reproduktionen von Kunstwerken.Ludwig Mies van der Rohe | Museum for a Small City,1942-43. Interior Perspective. New York, Museum of Modern Art (MoMA) The Mies van der Rohe Archive | © The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence / VG Bild-Kunst, Bonn, 2016 Figuren von Aristide Maillol und Wilhelm Lehmbruck stehen frei im Raum. Wandgroße Gemälde von Picasso und Klee werden zu integralen Bestandteilen der Architektur. Die Präsenz der Skulpturen und Bildwände setzen Betrachter und Bildraum in ein pulsierendes Spannungsverhältnis. Der Blick des Betrachters wandert in die Tiefe der Raumkomposition und bleibt doch gefangen an der Oberfläche. Dabei zeigen sich die Größenverhältnisse allerdings vage. Sind die Skulpturen tatsächlich lebensgroß? Auf dieser Ambivalenz des Maßstabs beruht die Fähigkeit der Collagen, die Dynamik zwischen Präsenz und räumlicher Weite aufrechtzuerhalten und den Betrachter wieder und wieder in ihren Bann zu ziehen. Durch diese ruhelose Verschiebung von Größenverhältnissen und die Auflösung gewohnter Beziehungen fängt Mies van der Rohe das Gefühl der Unbestimmtheit von Raum und Zeit ein. Der Betrachter wird hineingesogen in den sich weitenden Bildraum der neuen Architektur und damit auch in den Mahlstrom der modernen Zeit.
Innovativ und enigmatisch
Im Detail und aus großer Nähe betrachtet, zeigt sich bei den Collagen und Montagen folgendes Wechselspiel: Einerseits wird mit technischer Präzision eine moderne Zukunft angekündigt, während andererseits die Spuren der handwerklichen Bildproduktion noch deutlich sichtbar bleiben. Hin und wieder sind sorgfältig zugeschnittene Furnierstücke in exakte Strichzeichnungen eingefügt.Mies van der Rohe, Ludwig (1886-1969) | Convention Hall. Chicago, Illinois, 1952-54. Interior perspective. Preliminary version, 1953. New York, Museum of Modern Art (MoMA). Mies van der Rohe Archive | © 2016. The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence Im Kontrast zur rationalen Ordnung eines weitgespannten Dachtragwerks überrascht die intensive Farbigkeit einer goldgelben Wandfläche ebenso wie die kleine Flagge aus Stoff, die über einer aus Zeitschriftenfotos zusammengesetzten Menschenmenge schwebt. Gelegentlich sind Spuren von Ironie und Mies’ trockenem Humor zu entdecken: Ein Kandinsky-Bild ist gedreht, ein antiker Buddha sitzt gelassen zwischen modernen Skulpturen, der Blick durch das Panoramafenster in einem der frühen amerikanischen Projekte zeigt ein paar Filmcowboys.
Ludwig Mies van der Rohe | Project for Concert Hall, 1942 New York, Museum of Modern Art (MoMA) Mies van der Rohe Archive | © The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence / VG Bild-Kunst, Bonn, 2016 In Mies van der Rohes Raumdarstellungen überlagern sich die Sachlichkeit des konstruierenden Architekten und die Sensibilität eines bildenden Künstlers. Die künstlerische Arbeitsweise des Montierens hat den Architekten sein Leben lang begleitet. Schon in den Collagen hat Mies van der Rohe Teil und Ganzes präzise aufeinander abgestimmt. Genauso drückt sich in seinen konstruktiven Details die Struktur des gesamten Gebäudes aus. Jenseits des Zweckmäßigen behaupten die Collagen und Montagen Mies van der Rohes ihre künstlerische Eigenständigkeit. Noch heute gelten sie als innovativ und enigmatisch. Die modernen Raumbilder Mies van der Rohes gehörten zur künstlerischen Avantgarde, schon bevor seine Bauten ähnlich bahnbrechend für die Architektur wurden.
Zur Ausstellung „Mies van der Rohe: Die Collagen aus dem Museum of Modern Art, New York“ im Ludwig Forum in Aachen und im Museum Georg Schäfer in Schweinfurt vom 26. Februar bis 28. Mai 2017 ist ein reich illustrierter und sorgfältig kommentierter Katalog erschienen. MIES VAN DER ROHE: MONTAGE. COLLAGE, Aachen, Ludwig Forum. Andreas Beitin, Wolf Eiermann & Brigitte Franzen (Hg.). Aachen/Schweinfurt 2016/17.
März 2017