Kunst online  Pandemie der Bilder

 Foto: Nestor Barbitta

Mit der Corona-Pandemie haben Künstlerinnen und Künstler ihre Ausstellungsmöglichkeiten verloren. Dadurch gewannen digitale Plattformen an neuer Relevanz. Doch schon lange vor der Pandemie entwickelten Künstlerinnen und Künstler zielgerichtet Arbeiten für digitale Plattformen wie Instagram. Was macht diese Werke aus? 

Wenn im Internet entstandenen Kunstwerken eines gemeinsam ist, dann sicher die Lust, andere, unkonventionelle Räume zu besetzen, Alternativen zu suchen zu einschränkenden Systemen der Institutionen oder des Kunstmarkts. So war es auch zu Beginn der net art, die sich in den 1990er-Jahren explosionsartig verbreitete, noch unter dem Einfluss der technologischen Utopie des Jahrzehnts davor. Damals hielt man das Internet noch für ein demokratisches Umfeld, das es ermögliche, völlig frei kreativ zu sein und ein vielfältigeres Publikum zu erreichen. Schon wenige Jahre später stellte es sich völlig anders dar: Große Unternehmen schickten sich an, das Terrain zu kolonisieren und informatische Räume sahen kaum noch anders aus als wirkliche.

Was aber geschieht, wenn von einem Moment auf den anderen das Internet als der einzig mögliche Ort für künstlerische Erfahrungen bleibt und die Trennung zwischen dem, was wir vorher real oder virtuell nannten, zu einer obsoleten, abstrakten Diskussion geworden zu sein scheint? Dies war der erste Eindruck im März 2020, zu Beginn der Quarantäne, die sich ja nun, zumindest in Brasilien, schon über Monate hinzieht. Plötzlich wurden wir überrannt von einem nicht enden wollenden Programm von Livestreams aller Art, und es blieb kaum noch Zeit, ein kulturelles Leben in der sogenannten wirklichen Welt zu vermissen.

In der zeitgenössischen Kunst war es schon vor der Pandemie schwer, mit der Fülle an Messen und Ausstellungen Schritt zu halten. Während die Welt nun zum Stillstand kam, schien eine seltsame Normalität weiterzugehen: Ausstellungen wurden – wie etwa die Biennale des Mercosur – ins Netz gestellt, ohne sich die Zeit zu nehmen, etwas Spezifisches für dieses Format zu entwickeln. Auf einmal gab es listenweise Führungen durch Ausstellungen und Hashtags, denen man nun, da die Welt sich in die sozialen Medien verlagerte, folgen konnte. Und ein wahres Fieber an Mitmachkampagnen von Museen brach aus, mit täglichen Aufforderungen, berühmte Werke zu Hause als Zeichnungen oder Fotos nachzustellen.

Exzessive Produktion und ausgiebiges Zurschaustellen

Wer sich mit Bildern von Kunstwerken und künstlerischer Produktion in sozialen Netzwerken beschäftigt oder als Künstlerin oder Künstler länger schon diese Medien als Produktionsraum nutzt, bekam das Gefühl, dass die plötzliche Verlagerung von allem Erdenklichen und Undenkbaren auf diese Plattformen diese schon längst überfüllten Räume noch unwirtlicher werden ließ. Wer will denn tatsächlich so viele Kunstwerke sehen, während man gleichzeitig mit Arbeitslosigkeit oder anderen, noch größeren, von der Pandemie verursachten Sorgen zu kämpfen hat? Der von Daniel Jablonski und Flora Leite verfasste Aufsatz Hört sofort auf mit dem Wettbewerb!, der im April 2020 in der brasilianischen Kunstzeitschrift seLecT veröffentlicht wurde, fragt, ob es wirklich nötig ist, so viel zu produzieren und sich so ausgiebig in Zeiten wie diesen zur Schau zu stellen. Der Beitrag bringt einige wichtige Punkte zur Sprache, wenn er auch vor allem eine ganz andere Diskussion ausgelöst hat, nämlich über das Privileg, nicht für mehr Sichtbarkeit kämpfen zu müssen.

Eine umfassende Historiografie der künstlerischen Produktion in sozialen Netzwerken gibt es noch nicht, aber einige Merkmale sind schon erkennbar. Im Jahre 2010 entstanden, ist Instagram nach wie vor wichtigstes Beispiel dafür, wie eine Plattform sowohl das Entstehen einer neuen visuellen Kultur aus Memes, Selfies, Fotos von Tieren und Essen beeinflusst als auch künstlerische Werke hervorgebracht hat, die diese Sprache verarbeiten und sich mit all dem vermischen.

Eines der bekanntesten Werke ist Excellences & Perfections der in New York ansässigen argentinischen Künstlerin Amalia Ulman. Ohne es klar als Performance zu kennzeichnen, schlüpfte sie sechs Monate lang in die Rolle eines It-Girls aus Los Angeles in unterschiedlichen Phasen und bekam Tausende Follower und Followerinnen, die nicht wussten, dass es sich um eine Parodie handelte. Auch wenn es die Urheberin etablierte und sie inzwischen als Referenz für im Netz entstandene Werke gilt, genoss das Werk erst ab dann weitere Anerkennung, als es in die Ausstellungen großer Institutionen aufgenommen wurde, wie Whitechapel Gallery oder Tate Modern in London.

Selbstdarstellung als Performance

Wie anschließend in ihrem Projekt Privilege, zwischen 2015 und 2016 ebenfalls auf Instagram, demarkierte Ulman so eine Art künstlerischer Produktion im Netz, für die sie fiktive Identitäten schuf – eine Spielart der Autofiktion oder Selbstdarstellung als Performance. Ihr jüngstes Werk – Sordid Scandal im Auftrag der Tate Modern und nur auf deren Website zu sehen – ist eben nicht mehr auf Instagram, sondern inkorporiert die Kultur dieser Medien, in denen tagtäglich neue Identitäten aufgebaut und wieder aufgelöst werden. Aufgemacht als ein Video-Essay vermischt die Handlung Ereignisse aus Ulmans Biografie mit anderen, fiktiven Fakten, einschließlich eines Familienstreits und Hinterlassenschaften einer kolonialen Vergangenheit.

Die brasilianische Künstlerin Aleta Valente ist ein weiteres Beispiel für eine Selbstdarstellungsperformance auf Instagram. Ihre Figur ex_miss_febem3 –, heute auf dem dritten Account, nachdem zwei vorherige wegen zu vieler Meldungen gesperrt wurden – durchlief mittlerweile verschiedene Phasen und hat mit Ulman den bitteren Humor gemeinsam und die Parodie auf Stereotypen im Netz. Am Anfang setzte Valente noch mehr auf ihr eigenes Bild, dokumentierte den Alltag in der Vorstadt Bangu im Westen von Rio de Janeiro und verlegte die erotische Darstellung des weiblichen Körpers in ein eher verstörendes Umfeld – wie in der Folge, in der sie sich menstruierend zeigt.

Schnittstelle von Netz und öffentlichem Raum

Das Projekt #CóleraAlegria, eine politische Mitmachaktion unter diesem Hashtag, ist eines der interessantesten jüngeren Beispiele, denn es findet Formen, das Netz quer zu den im digitalen Raum vorherrschenden moralisierenden Diskursen zu besetzen. Das Projekt findet hauptsächlich über Bilder im Netz statt und verzweigt sich dort auch über weitere Hashtags, ebenso wichtig ist jedoch die Präsenz im öffentlichen Raum.

Eine weitere kollektive künstlerische Aktion, die nur im Dialog mit physischen Räumen gelingt, ist Tubinambá Lambido, deren Arbeiten in Rio de Janeiro wild plakatiert werden. Die sich als ästhetisch-politisch definierenden Aktionen basieren auf dem Gedanken einer medialen Infiltration gut frequentierter Orte der Stadt mit Protestbotschaften und deren Verbreitung durch Bilder unter dem Hashtag #tupinambalambido. Dazu kommt das Hacken großer Kommunikationsmarken, eine Strategie aus den Anfangszeiten der net art, wie etwa ein Plakat mit dem Schriftzug im Stil der Zeitung O Globo, der zu O Golpe [der Putsch] abgewandelt wurde.

Neue Art des Kolonialismus

Die Logik der taktischen Infiltration scheint die beste Strategie für den Umgang mit der Besetzung der Netzwerke, den zunehmend kommerziellen Plattformen und dem fragwürdigen Umgang mit Daten zu sein. Nick Couldry und Ulises A. Mejias bezeichnen diese Praxis in The Costs of Connection als neue Art des Kolonialismus, wo soziale Beziehungen zum großen Ziel lukrativer Ausbeutung werden.

Auch wenn es noch zu früh ist, endgültige Schlüsse zu ziehen, ist doch mehr als wahrscheinlich, dass der Umgang mit diesen Medien durch Künstlerinnen und Künstler sich eher als temporär und lediglich provisorisch im Sinne einer Annäherung an ein Publikum in Zeiten der Ausgangssperre erweist – was das Netz mehr zu einem Informations- und Dokumentationsraum macht als zu einem der tatsächlich schöpferischen Arbeit. Selbst Amalia Ulman, die als erste Künstlerin gilt, die Instagram als Medium nutzte, erklärte inzwischen, Privilege sei ihre letzte Performance auf dieser Plattform. Dennoch wird die dort entstandene visuelle Kultur über die Grenzen der Plattform hinausgehen und für eine ganze Weile noch die künstlerische Praxis auch außerhalb dieses Raums beeinflussen, auch wenn sie nicht mehr dort stattfindet.
 

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